Stefanie Rüther: Prestige und Herrschaft. Zur Repräsentation der Lübecker Ratsherren in Mittelalter und Früher Neuzeit (= Norm und Struktur. Studien zum sozialen Wandel in Mittelalter und Früher Neuzeit; Bd. 16), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2003, IX + 243 S., ISBN 978-3-412-15501-8, EUR 34,90
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In ihrer Dissertation "Prestige und Herrschaft" widmet sich Stefanie Rüther mehreren Problemen, die eng mit den Forschungsschwerpunkten ihrer beiden Betreuer Dietrich Poeck und Gerd Althoff verbunden sind: Zum einen der symbolischen Dimension politischer Kommunikation in der Vormoderne und zum anderen dem Thema ratsherrlich-städtischer im Gegensatz zu höfischer Repräsentation, wobei beide einen wichtigen Schwerpunkt ihrer Untersuchungen auf die politischen Rituale legen. [1] Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich Stefanie Rüther mit der Repräsentation von Lübecker Ratsherren in Kirchen und Klöstern. An unpublizierten Quellen zieht sie dazu die wegen ihrer kriegsbedingten Rückführung bislang unausgewerteten Testamente der Ratsherren aus dem Zeitraum vom 15. bis zum 17. Jahrhundert im Archiv der Freien und Hansestadt Lübeck heran.
In ihrer Einleitung wirft Stefanie Rüther die Frage auf, inwieweit die Festlegung der Ratsherrenschicht mit einem einheitlichen Lebensstil dieser Gruppe zusammenhängt. Hierin sieht sie eine mögliche Lösung für die bisher in der Forschung umstrittene Einordnung der Lübecker 'Patrizier'. Auch wenn es sicherlich sinnvoll ist, die zahlreichen wirtschafts- und sozialgeschichtlich vorgehenden Studien zu städtischen Oberschichten durch die Frage nach Kultur und Mentalität dieser Gruppe zu ergänzen, besteht in der engen Verknüpfung des speziellen Forschungsproblems der Definition des Lübecker Patriziats mit der Erforschung der "Handlungs- und Deutungsmuster" dieser Gruppe die Gefahr eines Zirkelschlusses: Jeder, der diese Mentalität teilte, hatte Zugang zum Rat, und also hatte auch jeder Ratsherr diese Mentalität. Ein Vergleich mit anderen, nicht ratsässigen Gruppen wäre hier eventuell sinnvoll gewesen, musste aber wohl aufgrund der Materialfülle unterbleiben.
Die Entscheidung Stefanie Rüthers für die Untersuchung ratsherrlicher Repräsentation in Klöstern und Kirchen ist sinnvoll, besonders, da sie hierfür auf die Auswertung der Testamente zurückgreifen kann. Sie trägt damit auch der engen Verflechtung politischer und religiöser Herrschaftslegitimation in der Vormoderne Rechnung. Außerdem hat sie mit der Wahl dieses Vorgehens die Möglichkeit, Strukturen und Wandlungen der Repräsentation in enger Verbindung mit den religiös-kirchlichen Veränderungen des 16. Jahrhunderts zu analysieren.
Stefanie Rüther stellt ihr Vorgehen in einen relativ weit gefassten soziologischen Rahmen, indem sie es mit einer Übernahme des Bourdieu'schen Modells vom inkorporierten, objektivierten und institutionalisierten religiösen Kapital begründet (13-14). Die Grundsteinlegung für den Lübecker Dom durch Heinrich den Löwen im Jahr 1173 stellt sie dank einer relativ vorbehaltlosen Bourdieu-Adaption dann folgendermaßen dar: "Die Stiftung von 100 Mark Silber für den Kirchenbau transformierte sein ökonomisches Kapitel in religiöses Kapitel. Sie zeigte den Herzog als christlichen Herrscher und wurde somit zu einem Teil seines symbolischen Kapitals, das seine Position im Machtgefüge des Reiches kennzeichnete" (22-23). Fraglich ist, ob Bourdieus Kapitalmodell zur Analyse ratsherrlicher Repräsentation im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Lübeck beiträgt, kommt Rüther doch in der Anwendung dieses Modells immer zu demselben Ergebnis, nämlich einem Kreislauf von inkorporiertem, objektiviertem und institutionalisiertem religiösen Kapital, einem Ergebnis, das in dem Modell selbst als Voraussetzung schon angelegt ist.
Entfernt sich die Autorin jedoch von diesem Interpretationsmuster, gelingt es ihr teilweise sehr überzeugend, das Stiftungsverhalten der Ratsherren mit den Makrostrukturen Lübecker Kirchengeschichte zu verbinden. So weist sie im ersten Teil ihrer Dissertation nach, wie sich das Repräsentationsverhalten des Rates in den Kirchen im 16. Jahrhundert änderte: Die Repräsentation der Ratsherren in der memoria ihrer Grablegen wurde individualisierter. Im Kirchenbau hingegen wirkte sich die immer weiter gehende Trennung von öffentlicher und privater Sphäre dahingehend aus, dass die finanzielle Unterstützung immer mehr in den Bereich der Amtsgeschäfte des Rates und nicht mehr in den des persönlichen Stiftungsverhaltens fiel (104-109). Im zweiten Teil der Arbeit hingegen zieht sie aus der Auswertung der Testamente den Schluss, dass die Klöster auch nach ihrer Umwandlung in städtische Einrichtungen wie Schule, Hospital oder Armen- und Werkhäuser gleichmäßig von den Ratsherren testamentarisch bedacht wurden: Hier lässt sich also eine Kontinuität über die Reformation hinweg beobachten (176-177). Den Wandel von einer spätmittelalterlichen, hauptsächlich in der kirchlichen Sphäre verankerten Repräsentation zu einer mehr auf den öffentlichen Raum zentrierten, republikanischen Selbstdarstellung weist Stefanie Rüther auch anhand der Untersuchung einzelner ratsherrlicher Familien im letzten Teil ihrer Arbeit nach. So waren zum Beispiel die Mitglieder der Familie Brömse auch nach der Reformation mit Gräbern, Wappen und Stiftungen weiterhin in mehreren Lübecker Kirchen prominent vertreten. Doch ließ Dietrich Brömse sein Porträt auch 1589 im Rathaus der Stadt aufhängen, wo es bis heute zu sehen ist (214-215). Besonders überzeugend ist an diesem Teil die Hinzuziehung gut ausgewählter Bildquellen, an denen sehr konkret der Wandel der spätmittelalterlichen Gruppenrepräsentation und des Memoriaverhaltens hin zu einer individualisierten, stark barockisierenden Repräsentation deutlich wird.
In Stefanie Rüthers Untersuchung werden Kontinuität und Wandel ratsherrlicher Repräsentation in Kirchen und Klöstern Lübecks vor und nach der Reformation in den Grundlinien sehr gut herausgearbeitet. Dennoch stellt sich die Frage nach dem typisch Ratsherrlichen dieser Repräsentation: Worin liegen hier Unterschiede und Gemeinsamkeiten zur Repräsentation anderer städtischer Gruppen wie etwa der Kaufleutecompagnien und der Zünfte? An dieser Stelle wäre auch von der Außenwirkung einer ratsherrlichen Repräsentation zu sprechen gewesen. Von der politisch-sozialen Kommunikation durch Epitaphien und Wappen in den Kirchen ist nur in Ansätzen die Rede. Der Bourdieu'sche Kapitalbegriff schärft auch nicht den Blick für Widersprüche und Konflikte des jeweiligen Gruppenverhaltens. Die Lübecker Ratsherren, gerade im 16. Jahrhundert nicht für ihr Harmoniebedürfnis berühmt, scheinen relativ einig über ihre Repräsentation gewesen zu sein: Die Autorin spart somit den in Stadtrepubliken strukturell angelegten Grundkonflikt zwischen städtischer Verfassung und familiär-persönlichem Macht- und Prestigestreben aus. Dies ist auch der Konzentration auf die Quellengattung Testament geschuldet. In vielem mag dieser Eindruck dem Umstand zu verdanken sein, dass die Dissertation nicht einen leserfreundlichen Umfang überschreiten sollte. Mit ihrer Studie hat Stefanie Rüther jedenfalls entscheidende Anregungen zu weiteren Untersuchungen der bis jetzt kaum analysierten ratsherrlichen Repräsentation in den Hansestädten und darüber hinaus geliefert.
Abschließend sei noch vermerkt, dass das Buch leider über kein Register verfügt. Als Ergänzung zu den sehr gut ausgewählten Bildbeispielen wäre einem Nicht-Lübeck-Spezialisten mit einer Karte über die Lage der erwähnten Kirchen und Klöster sowie deren Grundrissen geholfen gewesen, um zum Beispiel die erwähnten Gräber besser verorten zu können.
Anmerkung:
[1] Vergleiche zum Beispiel Gerd Althoff (Hg.): Formen und Funktionen öffentlicher Kommunikation im Mittelalter (= Konstanzer Arbeitskreis für Mittelalterliche Geschichte; 51), Stuttgart 2001; Dietrich W. Poeck: Rituale der Ratswahl. Zeichen und Zeremoniell der Ratssetzung in Europa (12.-18. Jahrhundert), Wien / Köln / Weimar 2004.
Ruth Schilling