Carol Bakhos (ed.): Ancient Judaism in its Hellenistic Context (= Supplements to the Journal for the Study of Judaism; Vol. 95), Leiden / Boston: Brill 2005, vii + 244 S., ISBN 978-90-04-13871-1, EUR 83,00
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David Noy / Alexander Panayotov / Hanswulf Bloedhorn (eds.): Inscriptiones Judaicae Orientis. I. Eastern Europe, Tübingen: Mohr Siebeck 2004
Sara Raup Johnson: Historical Fictions and Hellenistic Jewish Identity. Third Maccabees in Its Cultural Context, Oakland: University of California Press 2004
Maria Brutti: The Development of the High Priesthood during the pre-Hasmonean Period. History, Ideology, Theology, Leiden / Boston: Brill 2006
Der vorliegende Sammelband hat seinen Ursprung in einer Tagung, die unter dem Titel "Jewish Civilization between Athens and Jerusalem" an der University of California, Los Angeles im Juni 2003 abgehalten wurde und den gesamten Zeitraum von Antike bis Neuzeit umfasste. Der Band selbst ist nun ganz der Antike gewidmet und setzt sich zu etwa gleichen Teilen aus überarbeiteten Tagungsvorträgen und neu hinzugekommenen Aufsätzen zusammen, die sich mit dem Judentum während hellenistischer Zeit bis weit in die Spätantike beschäftigen. Der im Titel erscheinende "Hellenistic Context" ist also - etwas irreführend - nicht politisch, sondern in einem weiten kulturellen Sinn zu verstehen.
In einer knappen Einleitung umreißt Carol Bakhos im Anschluss an neuere Forschungsansätze [1] die Zielsetzung des Bandes: "The essays of this collection attempt to explore the ways in which the Jews lived within the Hellenistic and Greco-Roman contexts, and how they negotiated their religious and social boundaries in their own distinctive manner" (3). Eine spezifischere Fragestellung oder Methodik liegt den Aufsätzen nicht zu Grunde. Auch die Anordnung der Studien wird nicht näher begründet, sodass der Band eher wie ein lose zusammenhängendes Konglomerat wirkt. Die folgende Durchsicht der Einzelstudien folgt deswegen einer eigenen Anordnung, die meines Erachtens eine bessere Erschließbarkeit des Buches als Ganzes ermöglicht.
In der Erforschung des Judentums im Hellenismus nimmt seit jeher der Makkabäeraufstand (168-165 v. Chr.) einen zentralen Platz ein. Zu seinen umstrittenen Hintergründen versucht Brent Nongbri in seinem wichtigen Aufsatz "The Motivations of the Maccabees and Judean Rhetoric of Ancestral Tradition" (85-111) einen neuen Zugang zu schaffen. Seine erste These läuft darauf hinaus, dass die Makkabäer nicht die frommen Wahrer der jüdischen Tradition und Religion gewesen seien, als die sie in den makkabäisch geprägten Quellen erscheinen, sondern eine von mehreren um die Macht in Judäa konkurrierenden Sippen. Ein Vergleich mit den ideologischen Debatten um die väterliche Verfassung in Athen nach 410 und 404 v. Chr. dient der Untermauerung seiner zweiten These, dass es sich bei dem Pochen auf die Rettung der väterlichen Gesetze um eine rhetorische Strategie zur Legitimierung der makkabäischen Position handelte.
Zu Nongbris Thesen passen gut Seth Schwartz' luzide Untersuchungen über "Hebrew and Imperialism in Jewish Palestine" (53-84). Schwartz geht es um eine neue Sozialgeschichte des Hebräischen, wobei er Sprache als einen möglichen Faktor zur Konstruktion kollektiver Identität begreift, der auch ideologisch instrumentalisiert werden kann. So kann er in einem weiten Ausgriff zeigen, dass Hebräisch im Gegensatz zum Griechischen in der Zeit vor dem Alexanderzug als Identitätskriterium keine wesentliche Rolle spielte. Aufgrund der persischen Herrschaftspraxis, lokale Traditionen wie Tempel und Torah zu fördern, ging das Hebräische in der Aramäisierung des Perserreiches dennoch nicht unter. Im Hellenismus und vor allem unter den Makkabäern habe das Hebräische dann als Symbol jüdischer Identität an Bedeutung gewonnen. Sieht man Nongbris und Schwartz' Thesen zusammen, könnte man die Rhetorik der väterlichen Gesetze und das Wichtigerwerden des Hebräischen als Seiten ein und derselben Medaille begreifen: der ideologischen Etablierung des Hasmonäerreiches.
In seinem Aufsatz "Anti-Semitism in Antiquity? The Case of Alexandria" (9-29) wendet sich John Collins den Ausschreitungen gegen Juden 38 n. Chr. in Alexandria zu; für die Beurteilung des Verhältnisses von Juden und Griechen in der Diaspora kommt diesen - ähnlich dem Makkabäeraufstand für Palästina - zentrale Bedeutung zu. Zunächst zeigt Collins, dass die Urheber der Unruhen nicht der römische Kaiser oder sein Statthalter gewesen sind, sondern alexandrinische Rädelsführer. Im Kern sei es bei dem Konflikt um die Privilegierung der Juden im Vergleich zu den Alexandrinern gegangen. Diesen Konflikt verknüpft Collins mit den spezifischen Bedingungen der römischen Herrschaft und relativiert die Vorstellung, ein antiker Antisemitismus habe die Ausschreitungen motiviert: Es ließen sich in hellenistischen Quellen zwar durchaus Ressentiments gegenüber den Juden nachweisen, mit dem rassisch definierten Antisemitismusbegriff des späten 19. Jahrhunderts seien diese aber falsch bezeichnet.
Alle Studien zu einem "Antisemitismus" in der Antike arbeiten mit Josephus' Schrift gegen Apion, in der zahlreiche Angriffe griechischer Autoren auf die Juden zitiert und widerlegt werden. Erich Gruen konzentriert sich in "Greek and Jews: Mutual Misperceptions in Josephus' Contra Apionem" (31-51) auf Inkonsistenzen in dieser Schrift und wirft die Frage auf, ob Josephus die griechischen Autoren nicht manipulierend wiedergegeben und die scheinbare Konfrontation zugespitzt hat. Denkbar sei dies, da Josephus für seine früheren Werke scharfe Kritik geerntet und seine Schrift gegen Apion vor allem für ein jüdisches Publikum geschrieben habe. Die These: Josephus habe eine Konfrontation beschworen, in der er als Verteidiger des Judentums antreten konnte - die Schrift gegen Apion als rhetorisches Meisterstück. Ob diese These geeignet ist, den Text und die dort enthaltenen griechischen Vorwürfe gegen Juden vollständig zu erklären, scheint eher fraglich. Ohne Zweifel aber fügt sie dem Gesamtverständnis der Schrift eine neue Facette hinzu.
Um die grundsätzlichen Voraussetzungen der jüdischen Aneignung griechischer Kultur geht es Martha Himmelfarb in "The Torah between Athens and Jerusalem: Jewish Difference in Antiquity" (113-129). Zunächst skizziert sie, dass sich die Torah in vorhellenistischer Zeit zu einer zentralen Institution entwickelt habe: Wie bei den Griechen mit Homer habe bei den Juden mit der Torah ein Text im Zentrum des kulturellen Selbstverständnisses gestanden. Diese Voraussetzung habe es jüdischen Autoren ermöglicht, ihre Tradition unter griechischen Vorzeichen neu zu begreifen, ohne das spezifisch Eigene aus dem Blick zu verlieren. Autoren wie der Phöniker Philo von Tyros oder der Ägypter Chairemon seien hingegen ganz dem Muster griechischer Interpretation verfallen - ihnen habe schlicht eine Torah gefehlt. Auch wenn Himmelfarb ihre Überlegungen eher als Anregung für weitere Studien sieht, ihr kontrastierender Vergleich mit nichtjüdischen Autoren im Hellenismus ist zu kursorisch, um stichhaltig zu sein.
Der spezifischeren Untersuchung des Einflusses griechischer Philosophie auf jüdische Exegesetraditionen gilt Gregory Sterlings Aufsatz "'The Jewish Philosophy': The Presence of Hellenistic Philosophy in Jewish Exegesis in the Second Temple Period" (131-153). Um an Exegesetraditionen zu kommen, die über intellektuell-elitäre Kreise hinausreichen, legt Sterling eine geografisch, zeitlich und thematisch weit ausgreifende Textauswahl zu Grunde. Auf dieser Textgrundlage versucht er, in Exegesetraditionen der Theologie, der Schöpfungsvorstellungen und Ethik Einflüsse griechischer Philosophie nachzuweisen, wobei er besonders in der Ethik fündig wird. Da Sterlings These letztlich in der Feststellung besteht, dass der Einfluss griechischer Philosophie auf weite jüdische Kreise ernst genommen werden müsse, wäre nun weiterführend die Frage, was dieser Einfluss - etwa für jüdische Identitäten - zu bedeuten hat.
Martin Goodman betont in "Jews and Judaism in the Mediterranean Diaspora in the Late-Roman Period: The Limitations of Evidence" (177-203) mit Recht, dass die rabbinische Literatur Palästinas für die Untersuchung der Diaspora in Kaiserzeit und Spätantike nicht repräsentativ sei; der palästinische Patriarch werde kaum normierenden Einfluss auf die Diasporajuden gehabt haben. [2] Mit den dann verbleibenden archäologischen und epigrafischen Zeugnissen sei weder die Vorstellung eines liberal offenen noch eines strikt exklusiven Diasporajudentums zu begründen. Vielmehr sei eine Vielfalt von "Judaisms" wahrscheinlich, da sich dahingehende Tendenzen noch bei Josephus beobachten lassen. Zudem seien archäologische Befunde, an denen weit reichende Interpretationen hängen, oftmals nicht sicher Juden zuzuweisen: Zu wenig werde die Möglichkeit berücksichtigt, dass solche Befunde auch von paganen Sympathisanten, den so genannten Gottesfürchtigen, stammen könnten.
Claudia Setzer untersucht in "'Talking their Way into Empire': Jews, Christians and Pagans Debate Resurrection of the Body" (155-175) Teilhabe an der Wiederauferstehung als wichtiges Symbol von Gruppenzugehörigkeit. In verschiedenen frührabbinischen Texten finden sich harsche Urteile über Epikureer, denen eben diese Teilhabe abgesprochen wird. Ursache für diese Ausgrenzung sei die epikureische Vorstellung, dass die Götter keinen Einfluss auf die Menschen haben, eine Vorstellung, die die gesamte rabbinische Gottes- und Religionsvorstellung infrage stelle. Im christlichen Kontext finde sich ein exakt gegenteiliger Diskurs: Christliche Autoren wie Athenagoras versuchen pagane Vorbehalte gegenüber dem Wiederauferstehungsglauben rhetorisch und durch philosophische Imprägnierung zu entkräften.
Kommen bei Setzer rabbinische Abgrenzungen aus dem palästinischen Kontext in den Blick, behandelt Richard Kalmin in "Between Rome and Mesopotamia: Josephus in Sasanian Persia" (205-242) ein Abgrenzungsphänomen im babylonischen Talmud. Dort finden sich merkwürdigerweise scharfe Angriffe gegen die Sadduzäer. Nach Kalmin sind diese Angriffe auf die Rezeption der Sadduzäerdarstellung bei Josephus oder dessen Quellen zurückzuführen. Diese Josephusrezeption sei als Teil eines größeren Kulturtransfers zwischen Rom und Mesopotamien anzusehen, der neben demjenigen "between Athens and Jerusalem" verstärkt untersucht werden müsse. Man mag Kalmins Studie, die auch bei weiter Definition nicht mehr viel mit einem "Hellenistic Context" zu tun hat, im Sinne eines Ausblicks akzeptieren. Insgesamt ist sie aber hochgradig hypothetisch und kann kaum als stichhaltiges Argument für die Kulturtransferthese gelten.
Was lässt sich also abschließend zu dem Band sagen? Natürlich schwanken die Aufsätze in ihrer argumentativen Qualität: Manches überzeugt, manches weniger, und vor allem hätte man die Texte und Thesen besser anordnen und aufeinander abstimmen können. Insgesamt liefert der Band aber zahlreiche bedenkenswerte und weiterführende Einsichten zum antiken Judentum in seiner Auseinandersetzung mit der hellenistischen Kultur und Umwelt.
Anmerkungen:
[1] Bezug genommen wird vor allem auf E.S. Gruen: Heritage and Hellenism. The Reinvention of Jewish Tradition, Berkeley, Los Angeles / London 1998.
[2] Der Aufsatz ist zuerst im Journal of Mediterranean Studies 4 (1994), 208-224 erschienen. Dem unveränderten Neudruck ist ein kurzes Postskriptum zu relevanten Neuerscheinungen beigegeben.
Johannes Bernhardt