Maria Brutti: The Development of the High Priesthood during the pre-Hasmonean Period. History, Ideology, Theology (= Supplements to the Journal for the Study of Judaism; Vol. 108), Leiden / Boston: Brill 2006, xvii + 342 S., ISBN 978-90-04-14910-6, EUR 109,00
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Das Interesse am jüdischen Hohepriestertum hat in den letzten Jahren sprunghaft zugenommen. Nachdem die Thematik über Jahrzehnte nur marginal oder im Kontext anderer Fragestellungen behandelt wurde, haben Deborah Rooke und James Vanderkam 2000 bzw. 2004 mit je unterschiedlichen Herangehensweisen zwei systematisch angelegte Abhandlungen zum jüdischen Hohepriestertum vorgelegt. [1] Zudem liegen nun zwei Studien zu einzelnen Hohepriestern in hellenistischer Zeit vor: Otto Mulders umfangreiche Arbeit zu Jesus Sirachs Lob für Simon (Sir. 50) und Benjamin Scolnics 2004 erschienene Abhandlung zu Alkimos. [2] In den Kontext dieses neubelebten Forschungsfeldes ist auch Maria Bruttis Studie einzuordnen - die überarbeitete Fassung ihrer theologischen Dissertation, die sie bei Joseph Sievers in Rom geschrieben und 2004 verteidigt hat.
In einem knappen Vorwort (XI-XIII) umreißt Brutti ihren Gegenstand ein wenig genauer. Es geht ihr um eine Analyse der Institution des Hohepriestertums in prähasmonäischer Zeit, d. h. vom Beginn des Hellenismus bis zur Hohepriesterschaft des Makkabäers Jonathan (301-152 v. Chr.). Im Zentrum ihrer Analyse soll folgende Frage stehen: "In particular, this study attempts to establish whether there was a development or rather a decline in the Jewish institution of the high priesthood, during a period strongly influenced by Greek culture" (XII). Mehr als diese sehr allgemeine Frage gibt Brutti dem Leser nicht an die Hand. Problemaufrisse, eine ausdifferenzierte Fragestellung, Ausführungen zu Vorgehen und Methodik oder eine grundsätzliche Selbstverortung in der Forschungslandschaft fehlen.
Der erste Teil der Studie trägt den Titel "Preliminary Issues" (3-118). Er umfasst zunächst eine breit angelegte Diskussion der Quellen, die für den von Brutti anvisierten Zeitraum in Frage kommen: die ersten beiden Makkabäerbücher, die Schriften des Flavius Josephus, Hekataios von Abdera, der Aristeasbrief, Jesus Sirach, das Buch Daniel sowie das wenige vorhandene epigraphische Material (3-55). Ferner werden die in den Quellen erscheinenden Begrifflichkeiten für das Hohepriesteramt behandelt (56-75). Schließlich wendet sich Brutti dem komplexen Problemfeld der Rekonstruktion der Priesterliste im von ihr behandelten Zeitraum zu, das von Fragen nach der Identität Simons des Gerechten bis hin zum umstrittenen Intersacerdotium der 150er Jahre reicht; angeschlossen ist ein kurzer Exkurs zur Frage nach der Abstammungstradition der Hohepriester vom biblischen Zadok (76-118).
Schon in diesem ersten Teil wird die grundsätzliche Problematik der Studie deutlich. So werden zunächst auf über 50 Seiten unterschiedliche Aspekte der Quellen - etwa Fragen zur Struktur der Makkabäerbücher - diskutiert, die für Bruttis Themenstellung häufig nicht relevant sind. Zudem bleibt bisweilen unklar, welche Position Brutti in den umfangreichen Diskussionen einnimmt (z. B. 19). Dieses Problem tritt noch deutlicher in ihren Untersuchungen zur Priesterliste zutage, die im Wesentlichen aus der Nachzeichnung von Forschungsdiskursen zu einzelnen Problemen bestehen, ohne dass Brutti in die Argumentationen eingreift oder eine eigene Position bezieht: Immer wieder bleiben die einzelnen Punkte einfach offen (besonders die Abschnitte 79-107). Wichtig für den weiteren Gang der Studie ist wohl schon in diesem ersten Teil die nur unzureichend hervorgehobene und allgemein gehaltene Feststellung, dass die Quellen ideologisch und theologisch stark überformt sind (116).
Den zweiten Teil ihrer Studie hat Brutti mit "Reconstruction" überschrieben (121-247). Er umfasst chronologisch angelegte Untersuchungen zur Geschichte Judäas und der Hohepriester im von ihr eingegrenzten Zeitraum. Zunächst werden die Administration Syrien-Phoinikiens sowie die spezifischen Zeugnisse zur Situation Judäas unter ptolemäischer Herrschaft diskutiert (121-155). Der bei weitem umfangreichste Abschnitt ist den gut 40 Jahren von der seleukidischen Eroberung der Levante um 200 v. Chr. bis einschließlich der Hohepriesterschaft des Alkimos gewidmet (156-247). Wiederum werden Fragen der allgemeinen Administration und der spezifischen Situation Judäas diskutiert (156-175), wobei ein besonderer Schwerpunkt auf der Religionsverfolgung unter Antiochos IV. liegt (175-199). Daran anschließend nimmt Brutti nacheinander die Hohepriesterschaften des Simon, Onias III., Jason, Menelaos und Alkimos in den Blick (199-247).
Auch dieser zweite Teil ist von breiten Forschungsdiskussionen dominiert, die Lösungen und eigene Positionen vermissen lassen. Auch wenn man die extrem schwierige Quellenlage in Rechnung stellt, bleiben im Reigen der Forschungsmeinungen sowohl der administrative Hintergrund des ptolemäischen Syrien-Phoinikien als auch die Rolle des Hohepriesters im dritten Jahrhundert unklar. Die breit angelegte Diskussion der Religionsverfolgung Antiochos' IV. trägt zur Erhellung der Hohepriesterthematik über viele Seiten nur wenig bei. Zudem sind die umfangreichen Forschungsreferate zur Religionsverfolgung in nicht nachvollziehbarer Weise eklektisch und nicht auf dem Stand der Forschung - die zentrale Studie von Bringmann sowie neuere Überlegungen zum Thema finden keinerlei Erwähnung [3], während Bickermanns klassische Thesen erst merkwürdig deplaziert gegen Ende des Buches richtig zur Sprache kommen (195, vor allem aber 295ff.). Ähnlich auseinander gerissen wirkt auch die Betrachtung der so bedeutsamen Hohepriesterschaft des Menelaos, die zunächst lediglich unter dem Gesichtspunkt seines Verhältnisses zur Akra von Jerusalem "rekonstruiert" (225-230) und dann ebenfalls erst gegen Ende wieder aufgegriffen wird (296ff.).
Der dritte Teil der Studie trägt die Überschrift "Synthesis: Development and Decline of an Institution" (251-305) und lässt eine Klärung der einleitend aufgeworfenen Frage erwarten. Tatsächlich argumentiert Brutti zunächst dafür, dass sich ein Niedergang der hohepriesterlichen Institution im von ihr behandelten Zeitraum beobachten lasse (251, 264f., 302ff.). Doch dann vollzieht der Abschnitt eine Wende zu einem "ideological und theological re-reading" (269-305). Im Kern geht es Brutti dabei um den Nachweis, wie sehr das Bild des Hohepriesters in den Quellen des dritten und zweiten Jahrhunderts durch theologische und ideologische Positionen bestimmt ist. Es macht ein wenig den Eindruck, als lege Brutti endlich ihre eigentliche Fragestellung offen, wenn sie auf der letzten Seite ihrer Untersuchungen schreibt: "Is it the case, then, that because of the ideological bias of the sources and the lack of historical sources for the period examined, we cannot in any way reconstruct the history of the Hellenistic high priesthood prior to the Hasmonean period?" (305).
Formal ist der dritte Teil sicher der beste der Studie, da er deutlich argumentativer angelegt ist und weniger in Forschungsdiskussionen aufgeht. Dennoch weist er schwerwiegende Mängel auf - zugespitzt könnte man sogar sagen: Er steht auf dem Kopf. Denn kann es nach einem umfangreichen Quellenkapitel und rund 300 Seiten der Ausbreitung von Einzelproblemen und Forschungsmeinungen angehen, dass am Ende des Buches die Möglichkeit historischer Rekonstruktion durch das Aufzeigen des ideologischen und theologischen Charakters der Quellen in Frage gestellt wird? Hätte die Herausarbeitung dieser quellenkritischen Probleme nicht eigentlich den Ausgangspunkt der ganzen Studie bilden müssen? Hätten anhand dieser Feststellung nicht Kriterien zur Lesung der Quellen entwickelt werden müssen? Oder hätte man dem Leser nicht zumindest von Anfang an den eigenen Ansatz systematischer Dekonstruktion vor Augen stellen und dann deutlicher und prägnanter verfolgen müssen?
In der abschließenden "Conclusion" resümiert Brutti noch einmal die einzelnen Teile ihrer Studie (306-312). Letztlich bleibt sie dabei, dass sich in den Quellen zwar eine als Niedergang beschreibbare Entwicklung beobachten lasse, diese aber aufgrund der Verquickung von Geschichte, Ideologie und Theologie in den Quellen hypothetisch bleiben müsse. Das Buch endet somit ohne These, "the question of the political authority of the high priest that had been the starting point of this investigation still remains an open question." (312).
Abschließend lässt sich festhalten, dass Bruttis Buch über weite Strecken den Charakter eines Forschungsüberblicks hat. Angesichts der Komplexität der Forschungslage hat dies durchaus einen Wert und Nutzen. Mit Blick auf Anlage, Positionierung und Thesenbildung ist es hingegen unbefriedigend. Wer auf der Suche nach einer thesenfreudigen und revisionistischen Studie zur politisch-religiösen Rolle der Hohepriester zur Zeit des zweiten Tempels ist, sollte zum eingangs genannten Buch von Rooke greifen. Wer auf der Suche nach einer umfassenden Abhandlung ist, wird in dem ebenfalls schon genannten Buch von Vanderkam fündig.
Anmerkungen:
[1] D. Rooke: Zadok's Heirs. The Role and Development of the High Priesthood in Ancient Israel, Oxford 2000; J. Vanderkam: From Joshua to Caiaphas. High Priests after the Exile, Minneapolis 2004.
[2] O. Mulder: Simon the High Priest in Sirach 50. An Exegetical Study of the Significance of Simon the High Priest as Climax to the Praise of the Fathers in Ben Sira's Concept of the History of Israel, Leiden 2003 (Holländische Fassung 2000); B. Scolnic: Alcimus, Enemy of the Maccabees, Lanham 2004.
[3] K. Bringmann: Hellenistische Reform und Religionsverfolgung in Judäa. Eine Untersuchung zur jüdisch-hellenistischen Geschichte (175-163 v. Chr.), Göttingen 1983. Vollständig fehlen etwa die Arbeiten E. Gruens (z. B. Hellenism and Persecution: Antiochos IV. and the Jews, in: P. Green (ed.): Hellenistic History and Culture, Berkeley 1993, 238-264) oder die wichtige und für Brutti eigentlich hochrelevante Studie von S. Weitzman: Plotting Antiochus' Persecution, JBL 123 (2004), 219-234.
Johannes Bernhardt