Monika Fehse: Dortmund um 1400. Hausbesitz, Wohnverhältnisse und Arbeitsstätten in der spätmittelalterlichen Stadt (= Dortmunder Mittelalter-Forschungen; Bd. 4), Bielefeld: Verlag für Regionalgeschichte 2005, 397 S., 12 Farb-, 12 s/w-Abb., ISBN 978-3-89534-544-9, EUR 29,00
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Dortmund im Mittelalter hat Konjunktur. Das ehemalige Zentrum der Schwerindustrie, wie so viele Ruhrgebietsstädte in einem tief greifenden strukturellen Wandel begriffen, besinnt sich nach längerer Pause und den Arbeiten von Karl Rübel um 1900 und Luise von Winterfeld in den 30er-Jahren seit einigen Jahren verstärkt auf seine mittelalterlichen Anfänge. Stadtarchiv, Stadtmuseum und historisch interessierte Vereinigungen forcieren dies z. B. durch Publikationen, wie es die 7 Bände der Reihe zu den Dortmunder Mittelalterforschungen zeigen, die bislang schwerpunktmäßig kunstgeschichtlich ausgerichtet waren, oder auch die seit mehreren Jahren stattfindenden Kolloquien zum Stadtpatron, dem Heiligen Reinoldus.
Monika Fehses in Bielefeld betreute Dissertation beschäftigt sich nun mit ganz alltäglichen Fragen des Dortmunder spätmittelalterlichen Stadtlebens - mit Hausbesitz, Wohnverhältnissen und Arbeitsstätten -, doch sie ordnet sich vor allem in die Debatte um die Haltbarkeit der Brunner'schen Konzeption des "ganzen Hauses" ein. Um ein wichtiges Ergebnis gleich vorwegzunehmen: Wie schon für andere Städte an Einzeluntersuchungen nachgewiesen, lässt sie sich auch für Dortmund nicht aufrechterhalten. Fehse erstellt - bezogen auf das Dortmunder Kerngebiet, die so genannte Borgbauerschaft - einen akribischen Abgleich zwischen dem edierten Vermögenssteuerregister von 1393 (Puntingsbuch) und den unedierten Schossbüchern von 1406 bis 1422 sowie weiteren, insbesondere klösterlichen Rechnungsbüchern. Wieder einmal offenbart sich, wie aussagekräftig diese Quellengattung, die bislang stets hinter den Zeugnissen zu städtischen Rechts- und Verfassungsfragen zurückstand, nicht nur für die Wirtschafts-, sondern auch für die Sozialgeschichte sein kann.
Fehse kommt unter Berücksichtigung der Unterscheidung von Immobilienwerten (dem tatsächlichen Wert einer Immobilie) und Vermögenswerten (das, was von einer Immobilie nach Abzug der Rentenbelastungen tatsächlich versteuert wurde) zu einer Fülle von Ergebnissen: Das 'ganze Haus' erscheint um 1400 als eine Lebensform, die höchstens, und auch da nur eingeschränkt, im Dortmunder Patriziat zu finden war. Trotzdem hatte Hausbesitz eine "Leitbildfunktion" und bestimmte die soziale Position innerhalb der Stadtgesellschaft deutlich mit. Von jedweder finanziellen Belastung freie Häuser zur eigenen Wohnnutzung fanden sich allerdings auch hier fast ausschließlich im Patriziat. Ganz üblich war dagegen eine z. T. sehr hohe Rentenbelastung eigen bewohnter Häuser der stadtbürgerlichen Oberschicht ebenso wie der Handel und Handwerk treibenden Mittelschicht, die ihre Häuser also mehrheitlich als Kreditquelle nutzten. Aber auch dann, wenn diese Häuser hoch belastet waren, galten sie immer noch als eine Abgrenzungsmöglichkeit 'nach unten'. Andererseits bedeutete ein Wohnen zur Miete noch lange nicht die Zugehörigkeit zur mittellosen Unterschicht. Mietverhältnisse waren zahlreich; in den ausgewerteten Quellen lassen sich jedoch nur solche Bewohner fassen, die durch bestehende Vermögenswerte immer noch zur Steuer herangezogen wurden. Untermietverhältnisse oder Schlafplätze sind nicht erfasst. Fehse konstatiert, dass ein Wohnen zur Miete stets eine höhere finanzielle Belastung bedeutete, als wenn man ein Haus zu Besitz hatte, und dass diese Belastung wuchs, je kleiner der angemietete Wohnraum war. Hier dürfte sich auch die größte Mobilitätsrate finden lassen. Angestrebt wurde dagegen Wohnkontinuität, z. B. auch durch den Kauf von zuvor angemieteten Häusern. Angehörige der Mittelschicht nutzten beides gleichermaßen: das Wohnen zur Miete und im eigenen Haus. Lohnarbeiter hatten mit Sicherheit keine Wahl: Sie wohnten zur Miete, denn ihr Verdienst reichte in der Regel nicht aus, um auch nur das relativ kleine Vermögen anzusparen, das für den Kauf eines Hauses in Dortmund notwendig war. Ausschlaggebend für Investitionen in höherwertige, möglicherweise auch repräsentative Häuser - Fehse verwendet den Begriff der "Luxurierung" - war vor allem ihre gute Verkehrslage: entweder zentral am Markt oder entlang der Einfallsstraßen oder sogar in der Nähe des Borgtors, was der üblichen Vermutung, die Häuser der mittelalterlichen Stadt würden zu Stadtrand und Mauer hin immer kleiner und unansehnlicher, für Dortmund widerspricht.
Des Weiteren konstatiert Fehse eine häufige Umnutzung von Häusern, z. B. durch wechselnde Besitzer mit unterschiedlichen Handwerksberufen, und vermerkt einige Häuser, die gleichzeitig in ihren verschiedenen Teilen öffentlich und privat genutzt wurden. Das Umland befand sich fest in der Hand Dortmunder Bürger, nicht nur um einer gesicherten Selbstversorgung willen, sondern durchaus zur intensiven verkaufsorientierten landwirtschaftlichen Nutzung.
Was durch die Fülle an Einzeldaten im Fließtext nicht immer gleich gut nachvollziehbar ist, wird am Ende der Ausführungen durch eigens erstellte Karten anschaulich und augenfreundlich visualisiert. Schade nur, dass die Karten mit in das Buch eingebunden sind. Die Vergleichbarkeit und die Nachvollziehbarkeit der verschiedenen Frageansätze und der Ergebnisse wären deutlich besser gewährleistet, wenn man sie nebeneinander legen könnte.
Auch wenn sie es selbst nicht so ausspricht: Fehse stellt am Beispiel Dortmunds einen neuen Ansatz zu einer differenzierten Sozialtopografie der mittelalterlichen städtischen Ober- und Mittelschichten vor. Dieser Ansatz orientiert sich nicht an den Erwerbsformen (Handel, Handwerk etc.) oder am Grad politischer Partizipation, sondern an dem Aspekt der räumlichen Gestaltung des Alltagslebens: im eigenen Haus, im gemieteten Haus, in einem wie auch immer gearteten Mietverhältnis. Und er macht deutlich, dass diese Verhältnisse im Laufe eines jeden individuellen Lebens häufig erzwungenen oder selbst bestimmten Veränderungen unterlagen. So eröffnet dieser Ansatz inklusive der mühevollen Auswertung einer bislang zu wenig berücksichtigten Quellenart nicht nur neue Differenzierungsangebote, sondern zeigt auch die notwendige und gelebte Flexibilität stadtbürgerlicher Lebensorganisation. Weitere Untersuchungen zu anderen Fallbeispielen wären wünschenswert!
Gudrun Gleba