Heung-Sik Park: Krämer- und Hökergenossenschaften im Mittelalter. Handelsbedingungen und Lebensformen in Lüneburg, Goslar und Hildesheim (= Göttinger Forschungen zur Landesgeschichte; Bd. 8), Bielefeld: Verlag für Regionalgeschichte 2005, 312 S., 7 Abb., ISBN 978-3-89534-528-9, EUR 29,00
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Mit den Krämern und Hökern des späten Mittelalters kommt in dieser Göttinger Dissertation, erst sechs Jahre nach Abschluss veröffentlicht, ein Stück mittelalterlicher Urbanität in den Blick, das bislang eher unterbelichtet war. Die Forschungsinteressen richteten sich bisher vorwiegend auf die Fernkaufleute bzw. die großen Handelshäuser sowie deren Organisationen auf der einen Seite sowie die Entwicklung der handwerklichen Zünfte auf der anderen Seite. Weniger Berücksichtigung fand die innerstädtische Versorgung mit den Gütern des täglichen Bedarfs in kleinen Mengen. Hier liegt das Plus dieser Arbeit. Mit Lüneburg, Hildesheim und Goslar wurden drei mittelgroße, heute niedersächsische Städte ausgewählt, in der aufgrund ihrer verkehrsgeographischen Lage bzw. eines besonderen Handelsproduktes sich eine einflussreiche Gruppe von Fernhändlern bzw. Großkaufleuten entwickelt hatte. Nicht diese, sondern die Detailhändler bestimmten jedoch das alltägliche Marktgeschehen für die Bewohner der Stadt.
Die jeweiligen einleitenden Abschnitte zu den Kapiteln über Markt und Marktordnungen, Händler und ihre Genossenschaftsbildungen, Organisationsformen und Handel, religiöse und gesellige Lebensformen, Einfluss und Ansehen der Händler bieten in der Zusammenfassung der gängigen Literatur insgesamt nichts grundlegend Neues (das 22seitige Literaturverzeichnis erfasst die Forschung bis ca. 1999). Wohl aber geben sie einen soliden, gut lesbaren Überblick zu den genannten einzelnen Aspekten, wenn auch mit einigen, aufgrund der gewählten Vorgehensweise kaum zu vermeidenden Redundanzen.
Bereits das Einleitungskapitel macht deutlich, dass sowohl die sprachliche wie wirtschaftsgeschichtliche Abgrenzung von Hökern, Hausierern, Detailhändlern etc. von den übrigen Kaufmannstypen einer Stadt als auch die Differenzierung innerhalb dieser Gruppe Schwierigkeiten bereitet, da sich ihre Aktionsradien häufig überschnitten.
Die Untersuchung konzentriert sich auf die Auswertung normativer Quellen wie Urkunden und Statuten, die überwiegend in edierter Form vorliegen. Darüber hinaus wurden aber auch städtische Rechnungen, Chroniken und Testamente herangezogen. Leider verlieren die Auswertungen durch ein eher ungeordnetes Nebeneinanderstellen von Belegstellen zu den drei Städten Lüneburg, Goslar und Hildesheim für die einzelnen bearbeiteten Aspekte manchmal an Übersichtlichkeit.
Insbesondere das Kapitel V, lapidar mit Handel überschrieben, schildert mit vielen Belegen die alltägliche Praxis und Aktivitäten von Detailhändlern in der spätmittelalterlichen Stadt. Sie erscheinen als diejenigen, die den Bürgern und Einwohnern, auch denjenigen mit geringen finanziellen Ressourcen, die vielfältigen Alltags- und Luxusgüter eines fast unerschöpflich wirkenden städtischen Warensortiments anboten. Die erstellten Tabellen zu den in den drei Städten nachzuweisenden Waren mit ihren jeweiligen Quellenbezeichnungen in niederdeutscher Sprache differenzieren zwischen Gewebe- und Textilwaren (Stoffe, Gewebe, Tuche, Decken, Kleidungsstücke, Garn, Zwirn, Kleidungszubehör, Kopfbedeckungen, Handschuhe, Hosen), Metallwaren (Rohmetalle, Draht, Band, Ahlen, Nägel, Nadeln, Scheren, Messer, Zubehör, Dekoration, Haushaltsgerät), Lederwaren (Lederstoffe, Beutel, Taschen, Handschuhe, Riemen, Gürtel, Bänder), Lebensmittel und Gewürze (Pflanzen, Apothekerwaren, Genusswaren, Früchte, Öle), sonstige Krämerwaren (Schreibwaren, Färbemittel, Spiele, Pfeifen, Hörner, Kämme, Bürsten, Kunsthandwerk, andere Waren). Für die Händler ging es bei den selbstauferlegten und den durch die städtische Ratsautorität gesetzten Reglementierungen um die Art, Beschaffung, Lagerung und Kontrolle der zu verkaufenden Waren, um Maße und Preise, um Geschäftszeiten und Konkurrenzen. Auf diese Weise entsteht ein sehr plastisches Bild eines lebhaften innerstädtischen Warenverkehrs mit einer kontinuierlichen Anpassung an die Erfordernisse des lokalen Marktes und seiner Organisation.
Die allgemeinen Ergebnisse der Untersuchung halten keine Überraschungen bereit. Sie schließen aber für die wirtschaftliche und genossenschaftliche Organisation des Detailhandels eine bisher bestehende Lücke. Die Kleinhändler einer spätmittelalterlichen Stadt konnten wirtschaftlich wie verfassungsrechtlich sowohl zur führenden Schicht einer Stadt gehören - dann waren sie in der Regel auch genossenschaftlich organisiert. Manche von ihnen mussten jedoch auch um die blanke Existenz kämpfen. Ansässige Händler drängten normalerweise zum Zusammenschluss, der ihnen eine stadtpolitische Vertretung erleichterte und sie gleichzeitig vor auswärtiger Konkurrenz durch fahrende Händler schützen konnte. Ein solcher Zusammenschluss beinhaltete stets auch ein Ineinandergreifen von wirtschaftlichen Regelungen und gesellschaftlichem Zusammenleben. Zu letzterem zählten die soziale Kontrolle einerseits und eine Art 'Versicherungsnetz' andererseits ebenso wie das gemeinschaftliche, religiöse Tun. Gleichzeitig behinderte eine genossenschaftliche Ausrichtung jedoch auch einen freieren Wettbewerb. Den Ratsorganen oblag nach mittelalterlichem urbanem Verständnis sowohl die Kontrolle als auch der Schutz der eigenen, in der Stadt ansässigen Händler. Diese Arbeit zu drei ausgewählten niedersächsischen Städten bietet für alle diese Aspekte reiches, die alltägliche Lebensgestaltung der Höker und Krämer spiegelndes Material.
Gudrun Gleba