Rezension über:

Thomas Winkelbauer: Ständefreiheit und Fürstenmacht 1522-1699. Länder und Untertanen des Hauses Habsburg im konfessionellen Zeitalter. Teil 1, Wien: Ueberreuter 2003, 621 S., ISBN 978-3-8000-3528-1, EUR 51,90
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Thomas Winkelbauer: Ständefreiheit und Fürstenmacht 1522-1699. Länder und Untertanen des Hauses Habsburg im konfessionellen Zeitalter. Teil 2, Wien: Ueberreuter 2003, 567 S., ISBN 978-3-8000-3987-6, EUR 51,90
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Rezension von:
Andrea Pühringer
Philipps-Universität, Marburg
Redaktionelle Betreuung:
Michael Kaiser
Empfohlene Zitierweise:
Andrea Pühringer: Thomas Winkelbauer: Ständefreiheit und Fürstenmacht 1522-1699 (Rezension), in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 5 [15.05.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/05/10811.html


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Thomas Winkelbauer: Ständefreiheit und Fürstenmacht 1522-1699

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Mit den beiden Bänden von Thomas Winkelbauer hat die als achter Teil der ursprünglich auf zehn Bände konzipierten, mittlerweile jedoch auf zwölf Bände angewachsenen und von Herwig Wolfram herausgegebenen österreichische Geschichte nun als letztem chronologischen Teil ihren Abschluss gefunden. [1] Die beiden vorliegenden Bände behandeln den Zeitraum von 1521 bis 1699. Beginnend mit der Teilung der habsburgischen Linien und der Herrschaft Ferdinand I., endet diese Zeitspanne mit dem Frieden von Karlowitz. Dieser stellte nur eine Etappe in den auch weiter andauernden Kriegen gegen das Osmanische Reich dar - allerdings eine wichtige, denn das Kriegsglück begann sich nach langem Ringen nun der Habsburgermonarchie zuzuwenden und ihren Aufstieg zur Großmacht einzuleiten.

Es war sicherlich kein einfaches Unterfangen, gerade diese Zeit der frühmodernen Staatsbildung, die in den einzelnen Territorien auf teils sehr unterschiedliche Weise und mit verschiedener Ausprägung erfolgte, auf relativ knappem Raum zu behandeln. Dies mag zwar aufgrund der Umfänglichkeit des Werkes widersprüchlich klingen, ist jedoch, die Weiten des geographischen Raumes sowie die dynastischen Zusammenhänge und die Zeitgeschehnisse bedenkend, ernst gemeint. Besonders die Heterogenität, die sich wie ein roter Faden durch Zeit und Raum zieht und einen Großteil der Komplexität der Thematik zu verantworten hat, erschwert es dem einzelnen Forscher - ganz abgesehen von den Sprachkenntnissen -, die Übersicht zu behalten. Wie der Autor im Vorwort anmerkt, besteht sein Hauptanliegen "in der Vermittlung einer möglichst anschaulichen Vorstellung und solider Informationen über die große politische, rechtliche, soziale und konfessionelle Vielfalt, die für das Länderkonglomerat in Ostmitteleuropa [...] charakteristisch ist"; er versucht dabei "vor lauter Ländern das [politische] System der entstehenden Habsburgermonarchie [nicht] aus dem Blick zu verlieren" (9). Dies ist ihm sehr wohl gelungen, denn Thomas Winkelbauer schafft es, überaus konzise die Entstehung des habsburgischen Herrschaftsgebietes auf den unterschiedlichen Ebenen in den einzelnen Territorien und mit ihrer je eigenen Geschichte zu beschreiben, wobei er in seiner Darstellung gerade eben auf diese Heterogenität Wert legt.

Der erste Band umfasst vier große Blöcke, deren erster ganz grundsätzlich und als strukturelle Basis die Bevölkerungsentwicklung sowie Wanderungsbewegungen in den Blick nimmt. Hierbei erfahren die bisher in der deutschsprachigen Forschung eher nur marginal behandelten Teile der östlichen Reichshälfte besondere Beachtung. Der Zusammensetzung der drei Ländergruppen - der österreichischen Erbländer, der böhmischen Länder sowie Ungarns, Kroatiens und Siebenbürgens - ist der zweite Teil gewidmet. In diesem Abschnitt wird sowohl der Versuch unternommen, alle Länder gleichermaßen zu behandeln, als auch das Grenzgebiet und den Grenzkonflikt mit dem Osmanischen Reich besonders zu berücksichtigen - eine Konstellation, die ja während des gesamten Untersuchungszeitraumes prekär war. Hier kommen allerdings neben dem Verhältnis zu den Landständen allgemein die Funktion des "Systems Habsburg" als politisches, höfisches und familiäres Faktum ebenso zur Sprache wie etwa die unterschiedlichen Rechtssysteme.

Der dritte Teil ist dann sozusagen dem Westen zugewandt und befasst sich mit dem Verhältnis, das laut Winkelbauer weder der Innen- noch der Außenpolitik zuzuordnen ist, nämlich mit demjenigen von Heiligem Römischen Reich und habsburgischen Erblanden. Hier analysiert er zum einen die Institutionen und Strukturen des Reiches und untersucht zum anderen das Zusammenspiel von Reich und Erblanden unter dem Aspekt einer Kommunikationsgemeinschaft anhand von Medien und Postsystem. Das Verhältnis von Kaiser und Reich im konfessionellen Zeitalter war wohl nicht unbedingt als spannungsfrei zu bezeichnen, und die Kriege gegen das Osmanische Reich wie auch die Konfessionalisierung und in der Folge der Dreißigjährige Krieg werden dementsprechend in den Blick genommen. Der vierte Teil, der den ersten Band beschließt, befasst sich dann auch mit Kriegswesen und Finanzen. Denn bei diesen handelte es sich gerade um jene beiden Bereiche des frühmodernen Staates, die in der Umbruchszeit vom 16. zum 17. Jahrhundert nicht nur gravierende Umwandlungen und Neuerungen unterschiedlichster Art, sondern darüber hinaus auch noch eine bedeutende Ausweitung erfuhren. Überdies wird bei diesem Themenkomplex auf das Zusammenwirken von Reich und Monarchie rekurriert, wie es insbesondere die Reichskriege demonstrieren.

Im zweiten Band als dem fünften Teil des Gesamtwerkes werden nun das Zusammenspiel von Religion, Staat und Gesellschaft mit einem der wichtigsten Prozesse des Untersuchungszeitraumes, der Konfessionalisierung, sowie ihre Folgen in den einzelnen Ländern dargestellt. Gerade diese Zusammenschau bietet einerseits einen Einblick auf die ungleiche Entwicklung in den einzelnen Ländern; andererseits zeigt sie aber auch, dass es sich bei der allseits bekannten und beliebten Gleichung habsburgisch = katholisch um einen Trugschluss handelt. Denn die ansonsten streng katholischen Habsburger duldeten - so es ihnen konvenierte - selbst in den eigenen Ländern sehr wohl Untertanen anderer Konfession. Ausgehend von dieser heterogenen Konstellation behandelt der Autor die jeweiligen Akteure von Reformation wie auch von Gegenreformation und katholischer Reform und kommt zu dem Ergebnis, dass sowohl religiöse Vielfalt als auch konfessionelle Intransigenz nebeneinander Bestand haben konnten. Im Anschluss werden - als "Folgen" oder Auswirkungen des Konfessionalisierungsprozesses - dem Barockkatholizismus ebenso wie dem Zusammenspiel von Sozialdisziplinierung und guter landesfürstlicher Policey in Ablösung des grundherrschaftlichen "Absolutismus" jeweils ein eigenes Kapitel gewidmet. Dass sich all dies nicht in "aufklärerischem Wohlwollen" auflöste, zeigt der abschließende Punkt der Zauberei- und Hexenprozesse, wo sich nicht nur Magie und Aberglauben, sondern ebenso renitentes Untertanenverhalten zu eigentümlichen Verhaltensweisen vermengten und die Prozesse obrigkeitlicherseits auch als Maßnahmen der Sozialdisziplinierung verstanden wurden.

Ein kurzes Schlusskapitel zur Frage, ob es sich beim 17. Jahrhundert um eine "formative Phase" der modernen österreichischen Geschichte handle, rundet den Band ab. Darin geht der Autor auf die oftmals konstatierte österreichische Befindlichkeit ein, die eine bruchlose Kontinuität vom Barockkatholizismus bis zur Gegenwart herstellt und die Ursachen für die gegenwärtige gesellschaftliche Verfasstheit in Gegenreformation und Geheimprotestantismus sucht. [2]

Eine Zeittafel, ein ausgesprochen umfängliches Quellen- und Literaturverzeichnis sowie ein Personen- und Ortsregister, das auch als Konkordanz für die unterschiedlichen Schreibweisen von Orten und Personen zu verwenden ist, beschließen den Band.

Insgesamt liegt ein umfassendes Werk vor, das nicht nur aufgrund seiner Umfänglichkeit, sondern aufgrund der erschöpfend behandelten Thematik sicherlich als Erfüllung eines Desiderats der österreichischen Frühneuzeitforschung und unverzichtbares Nachschlagewerk gesehen werden kann. Ähnliches hätte man sich in dieser Ausführlichkeit und Präzision von manch einem anderen bereits in der Reihe erschienen Band, sei es zur Ökonomie oder zum 20. Jahrhundert, gewünscht.


Anmerkungen:

[1] Thematisch angelegte Ergänzungsbände, wie jener zur Geschichte der Juden in Österreich, der Mitte 2006 erscheint, vervollständigen die Reihe.

[2] Wie tiefgehend diese Wurzeln sind und wie schwierig gegen diese Vorurteile anzukämpfen ist, zeigte sich u.a. in den Diskussionen - vor allem den öffentlichen - anlässlich der Tagung "Staatsmacht und Seelenheil - Gegenreformation und Geheimprotestantismus in der Habsburgermonarchie" im November 2004 im Wiener Stadt- und Landesarchiv. Die Beiträge befinden sich im Druck.

Andrea Pühringer