Susan J. Barnes et al. (eds.): Van Dyck. A Complete Catalogue of the Paintings, New Haven / London: Yale University Press 2004, XII + 692 S., 450 b/w, 150 colorplates, ISBN 978-0-300-09928-7, GBP 125,00
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Dieses Buch beeindruckt schon durch die physische Präsenz seiner äußeren Erscheinung. Ein farbig bedruckter Schuber und ein starker Schutzumschlag umschließen einen knapp vier Kilo schweren, in schwarzes Leinen gebundenen Folianten. Der gewichtige Band verzeichnet insgesamt 827 Gemälde und Ölskizzen Antoon Van Dycks (1599-1641), von denen 745 als eigenhändige Arbeiten vorgestellt werden. Dieser seit langem erwartete kritische Œuvrekatalog löst das 1988 von Erik Larsen edierte zweibändige Verzeichnis und den 1931 durch Gustav Glück herausgegebenen Band aus der Reihe "Klassiker der Kunst" ab, dem sich die Autoren des neuen Werkkataloges nach eigenem Bekunden zutiefst verpflichtet fühlen. [1] Den Traditionen der kennerschaftlichen Van Dyck-Forschung ist auch die von den Verfassern zu Grunde gelegte Periodisierung des Œuvres geschuldet, die insgesamt vier Werkphasen unterscheidet. Den äußeren Anlass für diese traditionelle Einteilung bilden die jeweiligen Aufenthaltsorte des Künstlers.
Dem eigentlichen Œuvrekatalog vorangestellt ist ein Lebenslauf van Dycks, der die bislang bekannt gewordenen Quellen zu seiner Biografie auflistet, wobei Urkunden und Dokumente genauso genannt werden wie die datierten Gemälde. Die darauf folgenden vier Abschnitte des Kataloges werden jeweils durch einen Essay eröffnet, in dem biografische Details und die Grundzüge einer stilistischen Entwicklung skizziert werden. Den Anfang macht Nora de Poorter mit "Van Dyck in Antwerp and London", es folgen Susan J. Barnes mit "Van Dyck in Italy", Horst Vey mit "Van Dyck in Antwerp and Brussels" und zum Schluss Oliver Millar mit "Van Dyck in England". An diese knapp gehaltenen einleitenden Texte schließt jeweils das in jedem Kapitel mit neuer Zählung beginnende Verzeichnis der Gemälde an, wobei innerhalb der einzelnen Abschnitte die Chronologie zu Gunsten einer thematischen Ordnung aufgegeben ist. So stehen jeweils die religiösen Gemälde am Anfang, gefolgt von mythologischen und allegorischen Historienbildern. Daran schließen die alphabetisch geordneten Porträts bekannter Personen an, darauf folgen anonyme Bildnisse von der Ganzfigur bis zur Darstellung einzelner Köpfe, erst die Männer, dann Frauen und Kinder. Sämtliche besprochenen Werke Van Dycks sind dabei (teils farbig) abgebildet. Die einzelnen Katalognummern verzeichnen neben den technischen Daten der Bilder zumindest in knapper Form deren Provenienz (Horst Vey ist hier ausführlicher), sowie relevante Literatur. Die teils vorhandenen originalen Inschriften werden vollständig wiedergegeben und gegebenenfalls ins Englische übersetzt. Ergänzend treten im Katalogtext lakonische Bemerkungen über die Erhaltung der Gemälde hinzu, in denen Übermalungen und andere Veränderungen der Gemäldeoberfläche benannt werden. Den einzelnen Werken und ihren Bildgegenständen entsprechend variieren die Texte in ihrer Länge und dem jeweiligen Schwerpunkt, der teils auf der malerischen Faktur, dem Stil, der Komposition oder der Datierung liegt, teils auf der Ikonografie oder bei Porträts auf der Identifizierung der Dargestellten und deren Biografie. Wo die einzelnen Texte nicht alle Fragen beantworten können und wollen, vermögen die bibliografischen Hinweise zumindest der weiteren Recherche den Weg zu weisen. Abgerundet wird der Band durch ein zwölfseitiges Literaturverzeichnis und ein 37(!) Seiten umfassendes Register, das Namen und Orte genauso verzeichnet wie Bildtitel und relevante Begriffe.
Leider werden bekannte Kopien der behandelten Gemälde nicht im Kopf der einzelnen Katalognummern systematisch aufgeführt, sondern nur im Fließtext benannt. Die Hinweise auf diese Bilder sind leider teils so knapp gehalten, dass es schwer sein dürfte sie aufzufinden, so wenn Oliver Millar zum Beispiel verschiedentlich nur auf "another in a private collection" verweist. Mit den Kopien und Werkstattwiederholungen ist dabei zugleich ein Problem angesprochen, denn tatsächlich werden einige Bilder als eigene Katalognummern aufgeführt, an deren Ausführung Van Dyck selbst wohl nur geringsten Anteil gehabt haben dürfte (z. B. Kat. Nr. IV.135/136 oder IV.163/164). Denn wie Horst Vey zu Recht anmerkt (240), waren - zumal in den dreißiger Jahren - alle Werke, die aus Van Dycks Atelier hervorgingen, zumindest zu Teilen in gemeinschaftlicher Arbeit entstanden. Wiederholungen eigener Bilder entstanden unter Van Dycks Aufsicht in dessen Werkstatt und wurden mit einem eigenhändigen "finish" versehen, das für einen fließenden Übergang zwischen Kopien und Varianten sorgte. Diese abschließende Überarbeitung ließ das fertige Produkt als typischen Van Dyck erscheinen und wirft die Frage nach dem Stellenwert auf, den man der Eigenhändigkeit seinerzeit zusprach. Zugleich fragt man sich, wie denn die Zusammenarbeit des Meisters und seiner Mitarbeiter konkret aussah. Hier mag der vorliegende Band weitere Forschungen anstoßen, denn ein vollständiges Verzeichnis aller belegten Mitarbeiter Van Dycks fehlt genauso wie eine Aufstellung der bekannten Gemäldepreise und daraus abgeleitete Überlegungen zu seiner Preisgestaltung. Doch derartigen Fragen nachzugehen war weder Anspruch noch Ziel der Verfasser. Sie wollten vielmehr auf der Basis des kennerschaftlichen Urteils einen Catalogue Raisonné der erhaltenen oder zumindest in Kopien überlieferten Gemälde Van Dycks vorlegen, der den aktuellen Forschungsstand berücksichtigend zur Grundlage weiterführender Überlegungen werden kann.
Die Frage allerdings, was einen Van Dyck zum Van Dyck macht, ist zumal für das Frühwerk von entscheidender Bedeutung. Nora de Poorter ist die schwierige Aufgabe zugefallen, das Frühwerk darzustellen und die Arbeiten Van Dycks von den Rubens-Werken zu separieren. Für die Rekonstruktion der historischen Bedingungen der künstlerischen Anfänge Van Dycks will de Poorter dabei ausschließlich archivarisch dokumentierte Fakten gelten lassen - und die sind bekanntermaßen spärlich. Im Oktober des Jahres 1609 begann Van Dyck seine Lehre bei Hendrik van Balen, im Februar des Jahres 1618 wurde er Freimeister der Antwerpener Lukasgilde. Jenseits dessen bleibt viel Raum für Konjekturen und durchaus fruchtbare Überlegungen, die de Poorter jedoch rigoros ablehnt. Auch die grundlegenden Archivstudien Kathlijne van der Stighelens bleiben in ihrem Ergebnis leider unberücksichtigt. [2] Das Verdienst de Poorters bleibt es, mit guten Argumenten jene Werke zusammengestellt zu haben, in denen sich tatsächlich die Grundzüge der weiteren stilistischen Entwicklung abzeichnen. Die Begründungen für Zu- oder Abschreibungen bleiben dabei - auch in den anschließenden von Susan J. Barnes, Oliver Millar und Horst Vey verantworteten Teilen des Werkverzeichnisses - eher knapp gehalten. Doch entwickelt die in der Abfolge der beinahe durchweg guten Abbildungen spürbare visuelle Argumentation eine beinahe suggestive Überzeugungskraft. So werden auch die in den kommenden Jahren unvermeintlichen Diskussionen um die Eigenhändigkeit einzelner Gemälde nur noch einmal den Rang dieses Buches als unverzichtbares Standardwerk unterstreichen.
Anmerkungen:
[1] Gustav Glück: Van Dyck. Des Meisters Gemälde (Klassiker der Kunst in Gesamtausgaben, 13), 2. völlig neu bearbeitete Auflage, Stuttgart [u. a.] 1931; Erik Larsen: The Paintings of Anthony van Dyck, 2 Bde., Freren 1988.
[2] Katlijne Van der Stighelen: Young Anthony: Archival Discoveries Relating to Van Dyck's Early Career, in: Susan J. Barnes u. Arthur K. Wheelock (Hg.): Van Dyck 350 (Studies in the History of Art, 46), Washington 1994, 17-48.
Nils Büttner