Rezension über:

Nils Büttner / Thomas Schilp / Barbara Welzel (Hgg.): Städtische Repräsentation. St. Reinoldi und das Rathaus als Schauplätze des Dortmunder Mittelalters (= Dortmunder Mittelalter-Forschungen; Bd. 5), Bielefeld: Verlag für Regionalgeschichte 2005, 295 S., ISBN 978-3-89534-585-2, EUR 24,00
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Rezension von:
Antje Diener-Staeckling
Graduiertenkolleg "Gesellschaftliche Symbolik", Westfälische Wilhelms-Universität, Münster
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Laux
Empfohlene Zitierweise:
Antje Diener-Staeckling: Rezension von: Nils Büttner / Thomas Schilp / Barbara Welzel (Hgg.): Städtische Repräsentation. St. Reinoldi und das Rathaus als Schauplätze des Dortmunder Mittelalters, Bielefeld: Verlag für Regionalgeschichte 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 7/8 [15.07.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/07/10111.html


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Nils Büttner / Thomas Schilp / Barbara Welzel (Hgg.): Städtische Repräsentation

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Es sind nicht nur die schriftlichen Quellen, die uns ein Bild von der Vergangenheit übermitteln. Gerade für das Mittelalter liefern Bau- und Kunstwerke wichtige Eindrücke für die Beschäftigung mit dem Gewesenen. Da sie sich in aller Regel an ihrem ursprünglichen Standort finden, können sie eingebettet in den historischen Kontext anschaulich Zeugnis von vergangenen Lebens- und Vorstellungswelten liefern. Dortmund mit seinen vier Innenstadtkirchen und den darin erhaltenden mittelalterlichen Kunstwerken bietet in diesem Zusammenhang eine gute Gelegenheit dazu, sich aus unterschiedlichen Perspektiven mit der Geschichte einer mittelalterlichen Stadt zu beschäftigen. Dies wurde anlässlich des "4. Dortmunder Kolloquium zur Kunst, Kultur und Geschichte in der spätmittelalterlichen Stadt" getan, dessen Beiträge hiermit vorliegen.

Gemeinsam ist allen Aufsätzen in diesem Band die Beschäftigung mit der spätmittelalterlichen Stadt im Reich, ihrer baulichen Gestalt und ihrer politischen und sozialen Verfassung, eine Thematik, die in den letzten Jahrzehnten in der Forschung vor allem in einzelnen regionalen Untersuchungen aufgegriffen wurde. Um eine solche, die vor allem und allein die Stadt Dortmund in den Mittelpunkt stellt, handelt es sich bei der vorliegenden Publikation allerdings nicht.

Die alte westfälische Reichsstadt Dortmund bietet mit ihrer reichhaltigen Überlieferung Einblick in das städtische Leben in historischer Perspektive. Die städtische Überlieferung ist insbesondere dazu geeignet, Fragen der städtischen Repräsentation zu beleuchten, die das Alltagsleben in einer Stadt genauso betraf wie die städtische Verfassung als politisches Zentrum der eigentlichen Stadtgemeinde. Als Ziel der Veröffentlichung erscheint der Versuch, dem Leser mit allen Sinnen die Stadt des Mittelalters erfahrbar zu machen.

Nach diesem Prinzip der dreifachen Sinneswahrnehmung erscheinen die Beiträge der vorliegenden Publikation gegliedert. Gerhard Dohrn-van Rossem führt in seinem Beitrag in das mittelalterliche Zeitverständnis ein, das sich grundlegend von dem heutigen unterschied. Die Erfindung der mechanischen Uhr bedeutete eine Veränderung im Leben der Menschen, deren Tagesablauf bis dahin besonders durch die Glocken der Kirchen und das Licht strukturiert gewesen war. Dohrn-van Rossem stellt heraus, das die Einführung bzw. die Anbringung einer Uhr in der Öffentlichkeit für die Stadt auch eine Herrschaftsrepräsentation bedeutete. Wer eine Uhr, d. h. die Zeit selbst, kontrollierte, stellte damit seine Fähigkeit, sich selbst zu regieren, unter Beweis.

Die Beträge von Thomas Schilp und Michael Stegemann befassen sich einerseits mit der Musik in der mittelalterlichen Stadt, die durchaus etwas Besonderes und doch Alltägliches war: Ihr Einfluss auf die Memoria der Bürgerschaft bedeutete die Verbindung der Lebenden und Toten zur städtischen Gemeinschaft, wie Schilp herausstellt, und damit eine Repräsentation des einzelnen Bürgers genauso wie der einzelnen Bereiche der Verfassung einer Stadt. Michael Stegemann verweist mit dem Glockenschlag zunächst auf die einfachste städtische Klangeinheit, wodurch nicht nur zum Gottesdienst gerufen und das Arbeitsleben strukturiert wurde. Die Glocke war ein für jeden innerhalb der Mauern hörbares Instrument der städtischen Repräsentation, dessen Symbolik für alle verständlich war. Der Verfasser geht auch auf die Bedeutung der mittelalterlichen Musik in der Stadt ein und empfiehlt dabei zahlreiche "Hörproben" oder Klangbeispiele, die bis in die Neuzeit reichen.

Mit der visuellen Erfahrung beschäftigen sich die Beiträge von Evelyn Bertram-Neunzig und Judith Zepp, die in unterschiedlicher Weise die erhaltene Ausstattung der Reinoldikirche, insbesondere hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Präsentation der Stadt, behandeln. Darüber hinaus sind es die mittelalterliche Kunst und ihr deutsch-niederländischer Austausch in Westfalen, der von diesen und dem Beitrag von Nils Büttner in den Blick genommen wird. Insgesamt wird somit die Bedeutung der Kunst deutlich gemacht. Kunst bedeutete für die Bürger dabei stets auch eine Möglichkeit der Eigen- bzw. Statusdemonstration.

Auf seinem weiteren Gang durch die Stadt wird dem Leser auch die Architektur der mittelalterlichen Stadt vorgestellt. Die Beiträge von Ulrich Meier und Matthias Ohm zeigen, was wo in einer Stadt gebaut wurde, und welche Funktion die einzelnen Bauwerke hatten. Sie zeigen die Wichtigkeit der Architektur nicht nur in Bezug auf die Repräsentation, sondern auch in Bezug auf die Kommunikation aller Einwohner und damit auf die Grundlage der städtischen Verfassung. Matthias Ohm beschäftigt sich dabei mit dem Dortmunder Rathaus und seiner Geschichte, das im 19. Jahrhundert zu einem Symbol einer bereits in der Frühen Neuzeit verblichenen mittelalterlichen Ausstrahlung der Stadt gemacht wurde.

Unterfüttert wird das Konzept der sinnlichen Wahrnehmung "Stadt" durch die Beiträge von Barbara Welzel und Klaus Niehr. Auch hier steht das Sehen des Betrachters im Zentrum, wenn auch unter anderen Gesichtspunkten. Die Verfasser versuchen zu zeigen, wie sich der Eindruck des mittelalterlichen Dortmund im 19. Jahrhundert und in der Gegenwart veränderte. Einmal mehr zeigt sich, dass der Blick des modernen städtischen Betrachters auf vormoderne Figurationen selten ungeleitet von zeitbedingten Voreinstellungen ist. So werden die Kirchen der Stadt heute als rein sakrale Räume wahrgenommen, dabei waren auch hier, wie so oft im Mittelalter, die Grenzen zwischen Sakralität und Profanität fließend. Für die weiteren Beiträge der Publikation wirken diese Texte hilfreich, denn sie ermöglichen eine Einordnung der Gegebenheiten in einen weiteren historischen Kontext, der über die Grenzen des Mittelalters in die Gegenwart wirkt.

Darüber hinaus werden dem Leser Materialien im wortwörtlichen Sinn zum Sehen an die Hand gegeben (113-154). Dies geschieht etwas unvermittelt und wirkt uneingebunden, obwohl die anderen Beiträge durchaus auf die Bilder und Quellentexte Bezug nehmen. Hier hätte eine konkretere Verortung und Anbindung an den Kontext erfolgen können. Aber schließlich wird mit der "Dokumentation" die Gruppe der Sinneswahrnehmungen, des Hörens, Sehens und Lesens, abgerundet.

Als Abschluss und konzeptioneller Endpunkt befasst sich schließlich Birgit Franke auf der Grundlage von Chroniken mit den kaiserlichen Besuchen in der Reichsstadt Dortmund im 14. Jahrhundert. Hier wird dann noch einmal das aufgezeigt, was eine mittelalterliche Reichsstadt zu ihrer Repräsentation gegenüber ihrem Stadtherren nutzte. Die Chroniken spiegeln das mittelalterliche Dortmund, wie es sich selbst sehen wollte, anhand der farbenprächtigen Festprozession aller Einwohner wider, in der sich die Ordnung der Stadt als Sakralgemeinde manifestierte.

Ingesamt gelingt es der Publikation, die aktuellen Fragen und Probleme in der mittelalterlichen Stadtgeschichte, speziell in der städtischen Verfassungsgeschichte, herauszustellen. Dortmund steht zwar im Mittelpunkt aller Beiträge, doch erscheinen die dort gemachten Aussagen allgemein gültig zu sein. Der Leser könnte also die vorgestellten Sinneseindrücke und Zusammenhänge auch in jeder anderen mittelalterlichen Stadt erfahren, zu Recht ist also der Titel "Städtische Repräsentation" für die ganze Publikation gewählt.

Antje Diener-Staeckling