Gabriela Signori: Räume, Gesten, Andachtsformen. Geschlecht, Konflikt und religiöse Kultur im europäischen Mittelalter, Ostfildern: Thorbecke 2005, 180 S., ISBN 978-3-7995-3422-2, EUR 49,00
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Signori beginnt mit einer doppelten Klage, nämlich zum einen, dass das 15. Jahrhundert von der deutschen Mediävistik als eine farblose Übergangszeit betrachtet wird, und zum anderen, dass das 15. Jahrhundert in Deutschland stets nur aus dem Blickwinkel der Reformation angegangen wird. Beides versucht Signori anhand ausgewählter Untersuchungen zur Kirchen- und Frömmigkeitsgeschichte zu korrigieren. Wichtiger noch als die gewählte Blickrichtung sind die betrachteten Quellen, da die Verfasserin ausdrücklich und in großer Zahl bildliche Quellen wie Retabeln und Holzschnitte in Ergänzung zu Schriftquellen auswertet. In dieser Quellenvielfalt liegt die Stärke des mit vielen Abbildungen versehenen Buches.
Wie im Buchtitel angegeben, zerfällt das Werk in drei annähernd gleich große Teile. Im Kapitel zu den Räumen konzentriert sich Signori auf den Innenraum spätmittelalterlicher Kirchen und geht dem Aufkommen und der Bedeutung von (Predigt-)Kanzeln im 15. Jahrhundert ebenso nach wie der Frage nach der zunehmenden Verwendung von Büchern und Texten, von Schrift an den Kirchenwänden und in Bildern. Sie kommt dabei zu dem Ergebnis, dass im Verlauf des späten Mittelalters in den Kirchen immer mehr Tafeln und Texte beispielsweise zur Katechese oder zur Erhöhung der Kirchenzucht aufgehängt wurden, woraus sie schließt, dass die Lesefähigkeit ab der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts bereits recht weit verbreitet war (73). Das zweite Kapitel über die "Gesten" ist dem Aufkommen von Stühlen und Bänken gewidmet, auf denen die Gemeindemitglieder während der Messen saßen. Signori formuliert pointiert und zutreffend, dass die Reformation die Kirchen zunächst "entstuhlte" (95), also Kirchengestühl im 15. Jahrhundert bereits weit verbreitet war und im Zuge der Einführung der Reformation zunächst abgeschafft und später dann wieder neu beschafft wurde. Hieran schließt Signori einen Untersuchungsabschnitt zur Frage an, ob und mit welchen Kopfbedeckungen Männer wie Frauen die Kirche betraten. Im dritten Kapitel unter der Überschrift "Andachtsformen" verlässt Signori den bisherigen Untersuchungsraum des Reichs und bezieht in wachsender Anzahl Beispiele aus Frankreich ein. Zum einen fragt sie nach Gegenständen individueller Frömmigkeit in Form von Hausaltären, Grabmälern, Andachtsbildern und Rosenkränzen. Zum anderen geht sie der Frage nach, in welchem Maß und an welchen Orten insbesondere Frauen im späten Mittelalter religiöse Texte lasen. Dabei gerieten lesende Frauen häufig in einen Widerspruch zur Lehrmeinung der Kirche, die ihnen insbesondere den Psalter empfahl und die Lektüre der Bibel verbot.
Das Buch stellt die Menschen, die die Kirche füllten, ebenso wie ihr Verhalten in den Mittelpunkt. Ein Thema dieser Größe und Komplexität lässt sich nicht erschöpfend darstellen, doch erhebt Signori auch gar nicht diesen Anspruch. Die drei Hauptteile stehen allerdings weitgehend unverbunden nebeneinander. Es gibt lediglich kurze Zusammenfassungen der einzelnen Kapitel, ohne dass ein Gesamtfazit oder Forschungsausblick vorgelegt wurde. Die innere Stringenz des Werks ergibt sich vielmehr vorwiegend aus den Quellen. Signori stellt völlig zu Recht einleitend fest, dass sie an vielen Stellen auf der bisherigen Forschung aufbaut. Dabei gelingen Signori deutliche neue Akzente, indem sie das Quellenspektrum erweitert und etwa die von der Genderforschung entwickelten Methoden gewinnbringend einsetzt. Auf indirektem Weg eröffnet das Werk damit spannende Forschungsperspektiven, denn in einem zweiten Schritt kann nun beispielsweise der Frage nach der Finanzierung von Kanzeln, Stühlen und Büchern oder auch der Frage nach der Umsetzung und Einhaltung der konstatierten Verhaltensweisen nachgegangen werden. Der Ansatz, die Kirche als Raum zu betrachten und die Menschen, also ihre "Gesten" und "Andachtsformen", zu untersuchen, ist damit nicht nur gewinnbringend, sondern stellt auch einen wichtigen Beitrag zur Erforschung nicht nur des 15. Jahrhunderts dar.
Arnd Reitemeier