Christopher De Bellaigue: Im Rosengarten der Märtyrer. Ein Portrait des Iran, München: C.H.Beck 2006, 341 S., ISBN 978-3-406-54374-6, EUR 24,90
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Man fragt sich: Was treibt diesen Mann an? Mit seinen anti-zionistischen Bemerkungen hält der iranische Präsident die Welt in Atem und kaum weniger erschreckend sind seine Äußerungen über die angeblich baldige Wiederkehr des 12. Imams. Dieser ist eschatologisch dem jüdischen Messias vergleichbar. Er entschwand im 8. Jahrhundert in die so genannte Verborgenheit; seither warten die Schiiten auf seine Rückkehr. Ahmadinejad hat diese Rückkehr nun für die nahe Zukunft angekündigt. In seinen Visionen, sagt er, habe er diese Wiederkehr gesehen. Und damit nicht genug: Als er vor der UN-Vollversammlung gesprochen habe, habe er, so berichtet der iranische Präsident, einen Heiligenschein um seinen eigenen Kopf gesehen. Es hört sich bestenfalls seltsam an, was ein Mensch wie Ahmadinejad sagt und denkt.
Wer verstehen will, woher dieses Denken stammt, sollte "Im Rosengarten der Märtyrer" von Christopher de Bellaigue lesen. Der ehemalige Iran-Korrespondent des britischen "Economist" hat eine faszinierende Hintergrundanalyse vorgelegt. Beispielsweise beschreibt er, mit welchen Nöten, Hoffnungen und Erwartungen die Generation, zu der Ahmadinejad gehört, in den Krieg gezogen ist. In dem Glauben, eine gerechtere Welt zu erschaffen, hatte sie eine Revolution gemacht. Ein Gesprächspartner erzählt: "Natürlich, Chomeini! Er hatte etwas an sich, das einen ansprach. Es war unmöglich, keine Angst vor Chomeini zu haben - stellen Sie sich vor, er würde Sie anstarren, wie eine Fackel, die schwarzes Licht verbreitet. Bei seinem Anblick schämte man sich, die gleiche Luft zu atmen wie die Beamten des Königs der Könige. Die Leute nannten ihn Meister und warteten darauf, dass er zurückkam, ersehnten mit aller Kraft ihrer Seele seine Rückkehr aus dem Exil" (40).
Kurz darauf ging es darum, das Land vor einem Aggressor zu schützen - vor Saddam Hussein. Ausgerüstet mit schlechten Waffen, aber viel Ideologie schlug diese Generation den Feind zurück. Junge Menschen, die freiwillig in den Krieg zogen - falls man bei ideologisierten Jugendlichen von Freiwilligkeit sprechen kann -, ließen sich über die von den Irakern verminten Felder schicken, um den Weg für die Panzer frei zu räumen. De Bellaigue erklärt, wieso sie bereit waren, dies zu tun: Mit einem Schlüssel für das Paradies um den Hals wurden sie ausgerüstet. Als Märtyrer würden sie in den Himmel eingehen, wenn sie stürben, sagte man ihnen. De Bellaigue beschreibt auf anschauliche Weise die Ängste und Sehnsüchte dieser Menschen, erzählt beispielsweise die Geschichte eines Jungen, der sich mit einer Mine vor einen Panzer warf.
Viele Geschichten sind tragisch wie die von Alavi-Tabar. Auch er gehört zu dieser verlorenen Generation, die eine Revolution gemacht hat, weil sie Freiheit wollte, und dann einen Krieg durchstehen musste, weil sie Freiheit wollte. "Ein andermal träumte ich, dass ich irgendwohin rannte, und ich bückte mich, um meinen Rucksack aufzuheben, der heruntergefallen war. Er explodierte. Dann wachte ich auf. Kurze Zeit später, als ich in einen irakischen Schützengraben eindrang, sah ich einen Rucksack und bückte mich, um ihn aufzuheben. Da fiel mir mein Traum wieder ein, und statt ihn aufzuheben, untersuchte ich ihn etwas genauer. Da sah ich, dass der Rucksack mit einer Zündvorrichtung verbunden war" (106).
Und wofür das alles? Heute blickt Alavi-Tabar auf eine mehrjährige Gefängnisstrafe zurück. Denn er hatte eine Zeitung gegründet und darin kritische Fragen über den Zustand der Islamischen Republik gestellt. Diese Republik war irgendwann nicht mehr nicht die Republik, für die er gekämpft hatte. Ein Land, in dem jede abweichende Meinung an den Pranger gestellt wird, eine falsche Bemerkung eine Gefängnisstrafe oder gar den Tod zur Folge haben kann. Es ist eine enttäuschte Generation, zu der sowohl Alavi Tabar als auch Ahmadinejad gehören. Allerdings sind die Gründe für ihre Enttäuschung denkbar unterschiedlich. Alavi Tabar hielt andere Ziele der Revolution für nicht erfüllt als Ahmadinejad. Alavi Tabar wollte Demokratie, Ahmadinejad dagegen trat im Wahlkampf mit der Losung an: "Wir haben diese Revolution nicht gemacht, um Demokratie einzuführen."
Aber was man ihm wohl glauben kann, ist, dass er bis heute für ein anderes Ideal einsteht, in dessen Namen die Revolution gemacht wurde: für soziale Gerechtigkeit. Im Wahlkampf hat er sich den "Straßenkehrer des Volkes" genannt, hat sich als einfachen Mann präsentiert gegenüber den Bonzen, die an der Revolution reich geworden sind. Dass ein System in erster Linie gerecht sein muss, ist eine urschiitische Idee. Daran knüpft Ahmadinejad im Moment erfolgreich an. Und de Bellaigue beschreibt, woher diese Idee kommt und wie verwurzelt sie im Volke ist. So wird der Gedanke daran beispielsweise beständig durch Passionsspiele und Geißelungen wach gehalten, die im 11. Monat des islamischen Jahres, dem Todesmonat des Imam Hussein, stattfinden. Auch sie werden von de Bellaigue einfühlsam dargestellt. Zudem ist sein Buch die erste Darstellung der Erfahrung iranischer Kriegsveteranen. Es ist der erste Bericht darüber, wie dieser Krieg von den Teilnehmenden wahrgenommen wird, der auf Deutsch vorliegt.
Schaurig, aber wichtig für das Verständnis iranischer Politik ist auch de Bellaigues Darstellung des Mordes an dem Politikerehepaar Forouhar. Und damit sind wir wieder bei der Demokratieidee von Iranern wie Alavi Tabar und bei der Zweispaltung der iranischen Gesellschaft, für die Alavi Tabar und Ahmadinejad als Gegenpole stehen und die de Bellaigue so empathisch beschreibt: Regimekritische Intellektuelle und Politiker wurden 1998 Opfer einer Mordserie, den so genannten Kettenmorden. Diese Morde, für die - wie sich später herausstellte - eine Abteilung im Geheimdienst verantwortlich war, sollten das System destabilisieren. Zu den ersten Opfern dieser Mordserie wurden Darioush Forouhar und seine Frau Parwaneh Eskandari, zwei politische Aktivisten der "Partei des Iranischen Volkes". Der Mord an ihnen glich einer Hinrichtung. Mit über zwanzig Messerstichen in der Brust war Parvaneh Eskandari in ihrer Wohnung aufgefunden worden.
Seither, seit dem Jahre 1998, kämpft Parastou Forouhar, die in Deutschland lebende Tochter der Ermordeten für die Aufklärung der Fälle. Dass die Verantwortlichen für die Kettenmorde nie wirklich zur Rechenschaft gezogen wurden, ist ein Grund, warum viele Reformanhänger heute so mutlos sind. Die Justiz hatte eine Aufklärung von Anfang an eher erschwert als gefördert. Aber immerhin wurden die Fälle in der Öffentlichkeit diskutiert. All dies beschreibt de Bellaigue mit großer Sachkenntnis - und es bleibt immer spannend.
Anmerkung der Redaktion:
Für eine komplette Darstellung der arabischen Umschrift empfiehlt es sich, unter folgendem Link die Schriftart 'Basker Trans' herunterzuladen: http://www.orientalische-kunstgeschichte.de/orientkugesch/artikel/2004/
reichmuth-trans/reichmuth-tastatur-trans-installation.php
Katajun Amirpur