Stig Förster / Dierk Walter / Markus Pöhlmann (Hgg.): Kriegsherren der Weltgeschichte. 22 historische Portraits, München: C.H.Beck 2006, 415 S., ISBN 978-3-406-54983-0, EUR 24,90
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Kriegsherren? Ist das nicht die Übersetzung für jene ubiquitären Condottieri, die auf eigene Rechnung (und mit sozialer Basis an Landsknechten etc.) in Europa, Asien und anderswo Krieg führten? Falsch! "Feldherren" haben im deutschen Sprachgebrauch wegen ihrer Überhöhung mit Heldentum einen schlechten Klang. Auch die sind nicht gemeint. Wohl aber geht es in diesem gut gemachten und ebenso ausgestatteten Band um Persönlichkeiten, die im politischen und militärischen Bereich gleichermaßen präsent waren und historische Bedeutung erlangten. "Alle Staatsverfassung ist schließlich Kriegsverfassung, Heeresverfassung", behauptete Otto Hintze wegweisend 1906. Das gibt eine gewisse Leitlinie ab, auch wenn sich die Herausgeber einer Primatsdiskussion nicht unterwerfen, wie sie etwa vor einem halben Jahrhundert mit der Frage nach "Staatskunst und Kriegshandwerk" Gerhard Ritter in großem Stil geführt hatte. Sie machen vielmehr ein Spannungsverhältnis von Politik und Militär aus, das allerdings erst auf der neuzeitlichen Scheidung dieser Sphären beruht. Wenn dann schon Unterscheidungen angesagt sind, dann sollte vielleicht auch die charismatische und damit oft auch sakrale Ebene von Herrschaftsbegründung eingeführt werden. Das ergäbe eine ganz andere Mischung und würde vielleicht dazu führen, weitere Kriterien von Herrschaft, charismatischer Herrschaft vielleicht, einzubeziehen. Allerdings hätte das den hier vorgefassten Rahmen sicher gesprengt.
Insgesamt sehr viel pragmatischer gingen die Herausgeber dieses Bandes an ihr Unterfangen: einem vorausgegangenen Band über Schlachten in der Weltgeschichte (München: C.H. Beck 2001) lassen sie einen über diese Schlachtenlenker folgen und können gut begründen, dass eine Personalisierung sinnvoll ist: Die Kontingenzerfahrung von Krieg habe generell den einzelnen Personen oft große Bedeutung zukommen lassen. Das meint keine Untersuchung von, geschweige denn Glorifizierung der großen Männer (zwei Frauen sind auch dabei), sondern einen leserfreundlichen Bericht über Bedingungen und Grenzen von Wirksamkeit - eben doch im Anschluss an Hintzes Aussagen über die Entstehung von Staatlichkeit überhaupt.
Ein weltgeschichtlicher Zugriff steht und fällt mit der Auswahl. Vollständigkeit ist nie zu erreichen, sektoraler und unvermuteter Zugriff ist erforderlich und wie immer bestreitbar. Warum dieser, warum jener nicht? Enzyklopädisches nervt den Leser zumal eines so dem Publikum zugewandten Verlages wie C.H. Beck, der Biografien als einen der Wege für historische Erkenntnis im breiteren Publikum erkannt hat. Beginnen wir hier mit der Kritik. Xerxes I. (Josef Wiesehöfer), Alexander der Große (Hans-Joachim Gehrke), Hannibal (Pedro Barceló), Cäsar (Heinz E. Herzig): Über dieses klassische Quartett der Antike lässt sich kaum streiten. Marc Aurel (Michael Alexander Speidel)? Auch er entgegen den Erwartungen ein Feldherr, Tschingis Khan (Stig Förster) - war er auch eine politische Größe?
Wenn Leser von Tecumseh gehört haben, dann wohl zumeist aus den Indianerbüchern Fritz Steubens. "Roter Napoleon der Neuen Welt", titelt Stephan Maninger und verdirbt mit dieser Boulevard-Schlagzeile dem Leser schon jede Freude am Lesen. Kriegsherr? Nun ja, wenn man denn die Organisation von Native Americans und ihre missglückte Selbstbehauptung als Kriterium dafür sehen will. Jedenfalls war er ein weitsichtiger Vertreter nicht nur militärischer Gegenwehr. Abraham Lincoln (Jörg Nagler, der eine Monografie über ihn vorbereitet) führte auch Krieg. An die chinesische Kaiserin Cixi dürfte erst recht kaum jemand gedacht haben, wenn es zum Thema geht. "Kriegsherrin wider Willen", ist angemessen der Titel von Sabine Dabringhaus' hoch spannender Darstellung des chinesischen Teils der Auseinandersetzungen um den Boxerkrieg und weitere Entwicklungen.
Erich Ludendorff - für viele der wild gewordene Militär, der versuchte die Reichspolitik zu bestimmen: Ein Politiker war er eher wider Willen und Kompetenz, ob ein "moderner Alexander" - wie Markus Pöhlmann (mit einem Schlieffen-Zitat) das nennt, ist und bleibt aber doch mehr als zweifelhaft. Paul von Lettow-Vorbeck, der Mann, der in der deutschen Legende den ganzen Ersten Weltkrieg gegen britische Übermacht in Afrika aushielt, war wohl eher ein Vorläufer totaler Kriegführung mit seiner Strategie der verbrannten Erde - aber wenig lässt sich über dessen politische Bedeutung sagen (Tanja Bührer). Dutzende von Proconsuls oder eben Warlords herkömmlicher Art ließen sich an seine Seite stellen. Churchill (Alaric Searle), Stalin (Evan Mawdsley) - warum nicht Roosevelt? - , Hitler (Jürgen Förster), Mao Zedong (Marc Frey) - das sind die üblichen Verdächtigen des 20, Jahrhunderts, die hier nicht fehlen dürfen. Dass Richard Nixon ein Kriegsherr war, der in Vietnam scheiterte, lässt sich nicht leugnen (Bernd Greiner), aber John F. Kennedy und Lyndon B. Johnson führten doch auch in den politischen Sumpf hinein - was zählt da mehr?
Soviel Skepsis über die Komposition ist aber nur die geringere Seite des Buches. Die Beiträge sind durchweg gut bis glänzend geschrieben. Der Band versammelt ausgewiesene und bekannte Historiker ebenso wie jüngere oder "Nachwuchs"-Wissenschaftler in sehr geglückter Mischung. Überall ist der Forschungsstand bestens bekannt und wird ohne einen größeren methodischen Aufwand eingearbeitet. Einige Aufsätze schreiben primär über die zumeist längeren Kriege, viele betten aber die politischen, sozialen, kulturellen Voraussetzungen mit leichter Hand ein, bestimmen Entscheidungsprozesse, Konkurrenzsituationen, auch internationale Interaktion, Koalitionen. Und sie machen vor allem den sozialen und politischen Wandel deutlich, von denen die Kriegsherren einen gewichtigen Teil darstellten.
Natürlich können die 22 Beiträge nicht alle angemessen vorgestellt werden. Erfreulich stark vertreten ist die Antike mit sechs Beiträgen. Dann ist aber fast ein Jahrtausend Pause - wenn man nicht Stig Försters innovativen Beitrag über Tschingis Khan und die "Militarisierung der Steppe" nennt. Viele Autoren nehmen auf andere Kriegsherren Bezug. Die Querverweise reichen fast an parallel zu lesende Doppelbiografien heran, wie sie ja seit Plutarch herkömmlich sind - so etwa bei Maria Theresia (die ja eigentlich keine Kriegsherrin war - Günther Kronenbitter) und Dennis Showalter über Friedrich II. (von Preußen).Dieser Autor bezieht auch am klarsten "kulturelle Parameter" ein und wendet sich gegen die - doch wohl schon länger überholte - Heldendeutung, die er John Keegan noch heutzutage vorwirft. Für das 19. Jahrhundert und danach gilt, dass die Kriegsherren im Zeitalter der Massenheere nicht mehr auf dem Feldherrenhügel standen (so Dierk Walter über Kaiser Wilhelm I, von Pöhlmann über Ludendorff nachdrücklich bestätigt). Diese Änderung des Typus dürfte durchschlagend gewesen sein und gilt nicht zuletzt für Richard Nixon, den letzten in der Reihe, den Bernd Greiner brillant entfaltet - auch und gerade in seinen Konflikten mit den Militärs.
Stig Förster und seine Mitstreiter haben einen schönen Band zu einem ganz und gar nicht schönen Thema vorgelegt. Sie und ihre Mitautoren nehmen eine hoffentlich breite Leserschaft an die Hand, um ihnen deutlich zu machen, wie eine moderne Militärgeschichte nicht mehr glorifiziert, sondern Bedingungen menschlichen Handelns mit großen, zerstörerischen Folgen aufzeigt. Das Zeitalter der Gewalt ist noch längst nicht überwunden, wie nicht zuletzt die jüngste Vergangenheit und Gegenwart zeigt, eher im Gegenteil.
Jost Dülffer