Andrew Fitzmaurice: Humanism and America. An Intellectual History of English Colonisation, 1500-1625 (= Ideas in Context; 67), Cambridge: Cambridge University Press 2003, X + 216 S., ISBN 978-0-521-82225-1, GBP 40,00
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Die interessante, bemerkenswerte und problematische Arbeit von Andrew Fitzmaurice wirft mehrere grundlegende Fragen auf. Die erste hängt unmittelbar mit der Kernthese des Autors zusammen, die im Titel des Buches schon formuliert wird: Das Reden über die Kolonisierung der Neuen Welt sei bestimmt und geprägt gewesen durch das humanistische Gedankengut der Antike im Allgemeinen und durch die Regeln der antiken Rhetorik im Besonderen. Diese These ist sicherlich überzeugend. Aber ist sie auch neu und aufregend? Wissen wir nicht schon lange, dass die Wiederentdeckung der Antike in entscheidender Weise das Reden und Denken der frühen Neuzeit bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts in Europa, und damit auch in England, bestimmte und prägte - in England im Übrigen dank der engen Bindungen zu Italien ganz besonders. Immerhin war einer der bedeutendsten Historiografen Heinrichs VII. kein geringerer als der italienische Gelehrte Polydore Vergil (?1470-?1555). Und wenn dem so ist, ist es dann wirklich verwunderlich, dass Werbeschriften für Kolonisationsprojekte Konzepte und Begriffe der Antike für ihre Ziele und Absichten benutzten? Ist es wirklich erstaunlich, dass Begriffe wie "Tugend", "Gemeinwohl" und "Ehre" für die Werbung für Kolonisationsunternehmen von Rastell bis zu den Autoren der Virginia Company zwischen 1606 und 1620 ebenso benutzt wie Begriffe wie "Profit" und "Korruption" als negative Begleiterscheinungen der Kolonisationsunternehmen getadelt wurden?
Die zweite grundlegende Frage ist: Wen erreichten diese Schriften? Der Autor stellt sich diese zur Absicherung seiner Kernthese wichtige Frage nur im Zusammenhang mit seiner interessanten Diskussion über den Zusammenhang von Sprache, Alterität, rhetorischer Struktur und den Thesen von Stephen Greenblatt (123-131). Zweierlei wird hier deutlich: Erstens waren sich die Autoren der Werbeschriften des Zusammenhangs zwischen Sprache und sozialem Status bewusst und appellierten deshalb im Zweifelsfall eher an die Emotionen des potenziellen Lesers denn an seine Vernunft (119-120). Zweitens hebt Fitzmaurice gegen Greenblatt hervor, dass Autoren des 16. Jahrhunderts die Neuigkeiten aus der Neuen Welt nicht einfach in einem "process of linguistic appropriation [...] through the categories of the familiar" (112) wahrnahmen, sondern sich darum bemühten, das Neue der anderen Welt mit Hilfe der Rhetorik in die Erfahrungswelt der potenziellen Leser zu übertragen. Und neben anderen Belegen zitiert Fitzmaurice hier John Donne: "Rhetorique will make absent and remote things present to your understanding" (116); oder anders formuliert: Die Erfahrungen der Neuen Welt werden in den Schilderungen der Autoren so dargestellt, dass sie vom Leser aus seiner eigenen Erfahrungswelt heraus begriffen werden können (117).
Diese Kritik an Greenblatt ist wichtig und macht den Weg frei für eine genaue Analyse der Texte des 16. und frühen 17. Jahrhunderts. Irritierend bleibt jedoch, dass Fitzmaurice sich - sieht man von den unzureichenden Bemerkungen auf Seite 15 einmal ab - nirgendwo die Frage stellt, wer eigentlich die Werbeschriften für die Kolonisationsunternehmen lesen konnte. Hätte er sich dies gefragt, dann wäre er sehr schnell zu dem Ergebnis gekommen, dass diese Schriften nur von einem sehr kleinen Kreis von Gebildeten rezipiert werden konnten. Das von Autoren wie den Pfarrern Richard Eburne und Thomas Churchyard (116-117) erwähnte "people" kam allenfalls als Zuhörer von Predigten in den Genuss der Texte - lesen konnte das gemeine Volk im 16. Jahrhundert ebenso wenig wie der größte Teil des Adels; was übrig blieb, waren Juristen und Kleriker. Die Thesen der Arbeit wären überzeugender, wenn Fitzmaurice in seinem einleitenden Kapitel die Frage der sozialgeschichtlichen Reichweite seiner geistesgeschichtlichen Einsichten erörtert hätte.
Die Arbeit ist in sechs Kapitel gegliedert: Nach einer knappen Einleitung diskutiert Kapitel zwei die "moral philosophy of Tudor colonisation" (20-57). Das Kapitel schildert erstens die einzelnen englischen Kolonisationsunternehmungen; zweitens wird hier die Grundthese formuliert, dass der ideologische Inhalt der Werbeschriften für Kolonisationsunternehmungen "dominated by humanism" gewesen sei (57). Der Autor hält es für erwiesen: "Humanism shaped colonisation in characteristic ways. The highest aim of the projects was honour and glory. It was consistently argued that expedience, and profit, should be subordinated to honour and the common good. Moreover, opponents of New World adventures employed the same humanist ideology"(57). Im nachfolgenden Kapitel werden die Kolonisationsunternehmen der Herrschaft von Jakob I. und die damit verbundenen Werbe- und Rechtfertigungsschriften ebenso wie die Kritik an den Unternehmungen untersucht. Im Unterschied zur Forschung, die bis jetzt die Meinung vertreten habe, "that the Elizabethan idea of the conquest of the New World was abandoned for a colonisation of commerce" (100) und dass dies eine Reaktion auf die Krise in der Kolonisation Virginias im Jahr 1609 gewesen sei, betont Fitzmaurice dass "the shift from Elizabethan ideas of empire and the civic ideology of what would become England's first permanent American colony, did not anticipate an individualistic America or a British commercial Empire. Rather, as Robert Gordon revealed, the Virginia Company and its immediate successors walked in the footsteps of the Italian republics" (101).
Aus meiner eigenen Lektüre der Werbeschriften des 16. und 17. Jahrhunderts kann ich diese These nicht nachvollziehen. Ich will mich nur auf eine Schrift konzentrieren: Richard Hakluyts A Discourse of Western Planting, der erst im 19. Jahrhundert veröffentlich wurde und nicht, wie Fitzmaurice meint, schon 1584 (152), aber sicherlich nicht nur von Elizabeth I., sondern auch von anderen führenden Politikern und mit Kolonisationsunternehmen Beschäftigten gelesen wurde, betont die Bedeutung neuer "Kolonien als Absatzmärkte für englische Waren, als künftige Lieferanten von Rohstoffen und von landwirtschaftlichen Erzeugnissen, die England bisher aus anderen Ländern einführen müsse - Gründe, die nach Hakluyt nicht nur zu einer Stärkung der englischen Schifffahrt, sondern vor allem auch zu einer Vergrößerung englischer Macht in Europa führen mussten."[1] Und diese Begründungen formulierte Hakluyt natürlich nicht als Erster, sondern sie ziehen sich wie ein roter Faden durch die Werbeschriften des 16. Jahrhunderts. [2] Die These von Fitzmaurice müsste umformuliert werden: Humanismus formte nicht die Kolonisation, sondern das Reden in England über Kolonisation!
Die Bemerkungen zu Hakluyt deuten auf ein weiteres grundlegendes Problem der Argumentationsweise von Fitzmaurice hin: das der selektiven Lesart der untersuchten Werbeschriften. Natürlich beachteten Prediger des 16. Jahrhunderts die Regeln der klassischen Rhetorik und Begriffe wie "Tugend", "Ehre" und "Gemeinwohl" flossen ihnen wie selbstverständlich aus den Federn. Aber bedeutet dies auch, dass sie damit allein Kolonisationsunternehmen in der Neuen Welt begründeten? Sicherlich nicht: Wirtschaftliche Gründe standen in diesen Schriften im Vordergrund. Schon Rastell argumentierte in seiner Schrift von 1519 mit spezifischen englischen Wirtschaftsinteressen; Richard Eden ging weiter: In seinem Vorwort zu seiner englischen Übersetzung der Schrift des spanischen Historikers Pietro Martire d'Anghiera, De rebus oceanicis et orbe novo decades tres betonte Eden 1555, es sei "unwichtig, ob Europäer die Neue Welt aus schnöder Gewinnsucht oder aus edlen christlichen Motiven besetzten. Die Heiden würden sich auf jeden Fall daran gewöhnen und letztlich gar zum Christentum bekehren, während die Kolonisatoren, Engländer ebenso wie Spanier, aus dem Unternehmen schönen materiellen Profit zögen."[3] Die Gegenbeispiele zu Fitzmaurice' Thesen ließen sich fortsetzen.
Ebenso skeptisch bin ich gegenüber der These des Autors, dass "most promoters preferred to appeal to the Roman law doctrine of just war" (147). Nach meiner Lesart der Texte, auf die sich Fitzmaurice stützt, zieht sich als roter Faden durch die Argumente des 16. und frühen 17. Jahrhunderts die Ansicht, dass es nach dem Völkerrecht berechtigt war, Heiden mit Krieg zu überziehen, wenn diese Europäern das Recht des Zutritts zu ihrem Land verweigerten. John Winthrop argumentierte 1628 härter, biblisch und mit langfristigen Folgen: Indianer hätten kein Besitzrecht am Land in Nordamerika; nur das Land, welches sie unmittelbar bearbeiteten, besaßen sie nach Winthrops biblischem Verständnis.
Meine gravierenden Einwände gegen die Studie von Fitzmaurice haben nicht zum Ziel, diese höchst gelehrte Arbeit insgesamt zu verwerfen. Im Gegenteil: Der Autor hat sicherlich Recht, dass der Einfluss des humanistisch-antiken Denkens auf die Werbeschriften der Kolonisatoren bisher noch nicht systematisch untersucht worden ist. Fitzmaurice holt dies nach - allerdings in zum Teil einfach ungenügender und wenig überzeugender Weise. Ich will meine Kritik in drei Punkten zusammenfassen: Erstens, wie viele andere Arbeiten der "intellectual history" liest Fitzmaurice die Schriften nur einseitig auf humanistisch-antikes Gedankengut und blendet in seiner Argumentation andere gewichtige Aussagen der Quellen aus. Zweitens verknüpft er so gut wie nie konkrete Erfahrungen und Verhaltensweisen der Kolonisatoren in Nordamerika, über die etwa von Thomas Hariot oder von John Smith berichtet wurde, mit dem humanistisch-antiken Denken und ihrer Begrifflichkeit. Und drittens hätte eine umsichtige Bestimmung des Wirkungsgrades der Schriften ihm erlaubt, die Reichweite seiner Thesen präziser zu bestimmen.
Anmerkungen:
[1] So habe ich den Inhalt zusammengefasst in: Hermann Wellenreuther: Niedergang und Aufstieg. Geschichte Nordamerikas vom Beginn der Besiedlung bis zum Ausgang des 17. Jahrhunderts, Münster, 2000, 154.
[2] Ebd., 152-154.
[3] Ebd., 152-153.
Hermann Wellenreuther