Holger Th. Gräf / Lena Haunert / Christoph Kampmann (Hgg.): Krieg in Amerika und Aufklärung in Hessen. Die Privatbriefe (1772-1784) an Georg Ernst von und zu Gilsa (= Untersuchungen und Materialien zur Verfassungs- und Landesgeschichte; 27), Marburg: Hessisches Landesamt für geschichtliche Landeskunde 2010, XXVII + 488 S., ISBN 978-3-921254-82-0, EUR 37,00
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2007 wurden im Privatarchiv der Familie von und zu Gilsa 129 Briefe gefunden, die überwiegend hessische Offiziere aus Nordamerika an Georg Ernst von und zu Gilsa geschrieben hatten. Der Adressat war Spross einer alteingesessenen hessischen Adelsfamilie, seit 1767 Kriegsrat und seit 1768 ritterschaftlicher Obereinnehmer in Treysa. So gut wie alle Schreiber waren mit dem Empfänger verwandt; viele gehörten zudem einer hessischen Freimaurerloge an. Die Briefe umfassen einen Zeitraum von 1772 bis 1784; über die Jahre sind die Briefe ungleich verteilt: 1772 (1), 1774 (6), 1775 (19), 1776 (45), 1777 (21), 1781 (10), 1782 (16), 1783 (10), 1784 (8); die Pakete der Briefe der Jahre 1778 bis 1780 seien zwar, wie die Herausgeber berichten, in einem Verzeichnis aufgeführt, aber aus unbekannten Gründen nicht mehr vorhanden.
Diese zeitliche Verteilung erklärt die Themen, die in den Briefen behandelt werden. Die Briefe der ersten drei Jahre diskutieren Magazine und Bücher, die die Korrespondenten untereinander austauschten oder lasen - dies sind die Texte, die mit dem Begriff "Aufklärung" im Titel gemeint sind; die meisten Briefe aus dem Jahr 1776 thematisieren die Überfahrt nach New York und die Eroberung von New York und Fort Washington; Hauptinhalt der Briefe des folgenden Jahres sind der Marsch nach Philadelphia, Eroberung und Besetzung von Newport und Rhode Island, die Schlachten am Brandywine und bei Germantown in der Nähe von Philadelphia sowie Washingtons Überfall am Weihnachtstag auf hessische Truppen in Trenton, New Jersey. Die Briefe für das Jahr 1781 beschreiben das etwas langweilige Leben in New York und Lagern in der Umgebung, 1782 endlich die militärische Entwicklung hin bis zur Kapitulation von Cornwallis bei Yorktown in Virginia. Die letzten achtzehn Briefe behandeln die Folgen der Kapitulation, erörtern Gründe für das militärische Versagen der Engländer (nicht der hessischen Truppen!) und endlich die Probleme bei der Rückkehr aus Amerika nach Hessen.
Bisher gab es zwar eine Reihe von Tagebüchern hessischer Offiziere, die am Krieg in Nordamerika teilgenommen hatten. Doch von einzelnen Briefen abgesehen, ist keine größere Sammlung von Privatbriefen aus der Feder von nicht-englischen oder nicht-amerikanischen Offizieren oder Soldaten bekannt, die über den Unabhängigkeitskrieg berichteten. Und genau darin liegt auch der Wert dieser Edition.
Was tragen die Briefe Neues zu unserer Kenntnis und unserem Bild der hessischen Truppen in Nordamerika bei? Einige Aspekte seien genannt: Sie bringen eine Reihe neuer Details zu George Washingtons Überfall auf die hessischen Truppen in Trenton, New Jersey, zu Weihnachten 1776 (210-212, 220-224, 239); der hessische Kommandeur der Truppen wird scharf kritisiert und für die schmähliche Niederlage verantwortlich gemacht. Überraschenderweise fehlt in diesen Briefen, sieht man von einigen kritischen Kommentaren zum englischen Versagen, Lord Cornwallis bei Yorktown zu Hilfe zu eilen (307-308), so gut wie jeder negative Kommentar zur englischen Armee oder der englischen Generalität - wenn es Spannungen zwischen hessischen und englischen Soldaten gegeben haben sollte, dann finden sie in diesen Briefen so gut wie keine Erwähnung. Die Schreiber machen eine Reihe von Angaben zu dem in der Forschung kontrovers diskutierten Problem der Desertion hessischer Soldaten (z. B. 74) und zur Frage, wie viele Soldaten 1783 vor der Rückkehr nach Europa desertierten und in Amerika blieben (354, 370, 390f.). Schließlich dokumentiert die Sammlung, wie zu erwarten, die pro-britische, aber nicht unkritische Haltung der hessischen Offiziere (z. B. 321) zu Amerika. Ihr Amerikabild freilich ist gespalten: Sie bewundern die Fruchtbarkeit des Bodens, lehnen aber den ungezügelten Freiheitsdrang der "Rebellen" rundweg ab (147ff, 154, 188, 211, 251).
Die Lektüre der Briefe bereitet auch dem Fachmann Vergnügen - soweit er über spezifische Kenntnisse nicht nur der hessischen Geschichte, sondern auch zur Geschichte der amerikanischen Revolution verfügt. Bei aller Akribie, die die Herausgeber auf die korrekte Transkription der Texte verwandt haben, und dabei auch beinahe jedes Wort, welches einen fremdländischen Klang hatte, annotierten, vermisst der Leser schmerzlich so gut wie jeden Versuch, die Briefe in ihre historischen Kontexte einzubetten. Der Leser erfährt nur, dass es einige Arbeiten zu Lesegesellschaften (28f.) und zur Freimaurerei (28, 41) in Hessen gibt. Dabei wird die erste Anmerkung zu Lesegesellschaften (21) auf den Seiten 29 und 40 einfach wortwörtlich wiederholt! Sobald aber England und Amerika in den Briefen auftauchen - und sie tun dies mit dem Beginn der Verhandlungen um die Subsidientruppen -, hört jeder Versuch, die Kontexte zu benennen und die Forschung mit einzubeziehen, auf. Auf Seite 39 taucht ohne weitere Erklärung oder Identifikation der englische Unterhändler als "Obrist Fosset" auf, kurz darauf (42) ist der Obrist "Fosseck" wenigstens als "Fawcett" in der Anmerkung identifiziert, auf Seite 47 ist er wieder zu "Obrist Faucit" umgetauft, ohne Anmerkung; dasselbe gilt für "Fausset" auf Seite 50, mit dem auch der englische Unterhändler gemeint ist. Dies ist ärgerlich.
Ärgerlicher ist, dass die Herausgeber jedwede deutsche, englische oder amerikanische Forschung zur amerikanischen Revolution allgemein und zu den hessischen Truppen im Unabhängigkeitskrieg schlichtweg entweder nicht kennen oder ignorieren. Im Literaturverzeichnis werden aus der umfangreichen Literatur zu den hessischen Hilfstruppen in Nordamerika nur sieben Arbeiten genannt; hingegen scheint die gesamte englischsprachige Forschung zum Krieg selbst unbekannt. Zum politischen Kontext wird nur als englischsprachige Arbeit die von Francis D. Cogliano aufgeführt. [1] Von den deutschen Arbeiten zur Amerikanischen Revolution wurde mit der des Rezensenten zumindest die dickste ausgewählt, was Rezensent natürlich als Ehre empfindet, aber doch meint, dass seine Arbeit nicht die Kölner Dissertation von Horst Dippel oder den vorzüglichen und hier wahrlich einschlägigen Aufsatz von Christoph Mauch ersetzt, um nur einige Titel zu nennen. [2]
Fazit: Dies ist eine wichtige Quellenveröffentlichung, deren Wert für die Forschung dank der bemerkenswert mangelhaften Annotation und vor allem der fehlenden Kontexte schwer geschmälert wird.
Anmerkungen:
[1] Francis D. Cogliano: Revolutionary America, 1763-1815. A political history, London / New York 2000.
[2] Horst Dippel: Germany and the American Revolution 1770-1800. A sociohistorical investigation of late eighteenth-century political thinking, Chapel Hill 1976; Christoph Mauch: Images of America - Political Myths - Historiography: "Hessians" in the War of Independence, in: Amerikastudien / American Studies 48 (2003), 411-423.
Hermann Wellenreuther