Colin Cruise: Love Revealed: Simeon Solomon and the Pre-Raphaelites, London / New York: Merrell 2005, 192 S., 130 ill., ISBN 978-1-85894-311-4, GBP 29,95
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Der hier zu besprechende Katalog erschien begleitend zu einer von zwei ausgewiesenen Spezialisten der Viktorianischen Malerei, Colin Cruise und Victoria Osborne, kuratierten Ausstellung des Birmingham Museums & Art Gallery. Die vom 9. März bis 18. Juni 2006 auch in der Villa Stuck in München gezeigte Schau ist die erste umfassende Retrospektive zu Simeon Solomon seit über 100 Jahren. Die drei im Zusammenhang mit dem Werk des Malers immer wieder angesprochenen Aspekte bilden seit einigen Jahren Hauptinteressensfelder der Forschung: Solomons Beziehung zu den Präraffaeliten und ihren Nachfolgern, seine Position als jüdischer Künstler in einem noch immer von antisemitischen Vorurteilen bestimmten Milieu sowie schließlich seine 1873 spektakulär öffentlich gewordene Homosexualität, die das faktische Ende seiner Karriere bedeutete. Wenn es um die präraffelitische Bruderschaft und die nachfolgenden Vertreter des Ästhetizismus geht, droht das zuweilen voyeuristische Interesse an den Biografien und dem häufig von Skandalen begleiteten Privatleben der Maler das wissenschaftliche Interesse zu überlagern - es sei hier nur an Rossetti erinnert. Dies ist bei dem vorliegenden Buch nicht der Fall.
Den Auftakt bilden sechs Aufsätze, die sich aus unterschiedlichen Perspektiven dem 1840 geborenen und in den 1860er-Jahren als "next big thing" gehandelten, heute jedoch nahezu vergessenen Solomon nähern. Der Katalog selbst ist wiederum in sechs Abschnitte unterteilt, die weitgehend chronologisch seiner Werkevolution folgen (Frühwerk und erste Ausstellungen, Die Präraffaeliten und frühe Erfolge, Das Schöne, Die Dudley Gallery und Ritualdarstellungen, Visionen der Liebe sowie Die späten Jahre). Eine Einführung informiert den Leser jeweils knapp über die wichtigsten Punkte im anschließenden Katalogteil und bietet eine gute Orientierungshilfe.
In den Katalogteilen selbst begleiten durchweg hervorragende Farbabbildungen die ikonografische und kunsthistorische Einordnung des einzelnen Bildes. [1] So vorhanden, werden zeitgenössische Kritiken zitiert, eventuelle Ausstellungen oder Nachstiche aufgeführt, bisweilen auch Studien oder anderes ergänzendes Bildmaterial gezeigt. Solomons Gemälde, Zeichnungen, Grafiken, seine Tätigkeit in der Buchillustration u. Ä. sind gleichberechtigt präsentiert. Hervorzuheben ist die Ergänzung des Katalogs (und der Ausstellung) um Werke von Solomons Künstlerkollegen. Hier seien nur erwähnt: mehrere Bilder Rossettis, darunter eine Version der 'Beata Beatrix' (Kat. 149), Werke von Edward Burne-Jones (Kat. 121, 122, 151), Ferdinand Khnopff (Kat. 155, 157) und selbst Frederick Sandys' mittlerweile zur viktorianischen Ikone avancierte 'Medea' aus Birmingham (Kat. 97). Den Kuratoren ist es gelungen, kapitale Hauptwerke der Malerei zusammenzutragen, die ein Panorama der komplexen englischen Bildkunst nach ca. 1860 präsentieren. Die Ergänzung durch weitere nationale (Watts) und internationale Künstler (Redon) hätte diese auch in der Münchner Ausstellung hervorragend aufbereitete Gegenüberstellung, die einen spannenden Dialog der Werke Solomons und denen seiner Künstlerkollegen bot, noch weiter vertieft. Eine Biografie des Malers (184-185), ein umfassendes Literaturverzeichnis (186-188) sowie ein benutzerfreundlicher Index runden den Band ab.
Gayle M. Seymours Aufsatz widmet sich dem Einfluss von Solomons jüdischer Identität auf sein Schaffen. Sie konzentriert sich dabei vor allem auf das zwischen 1854 und 1863 entstandene Frühwerk des Künstlers, in welchem alttestamentarische Szenen im Mittelpunkt stehen. Seymours Interpretation solcher Sujets ist stellenweise etwas zu weit getrieben: Man kann zumindest darüber streiten, ob Solomons 'Mother of Moses' wirklich die "ambivalence felt by many middle-class Jews as they struggel to retain elements of their traditional heritage while enjoying a measure of freedom and equality in the secular and Christian culture of Victorian London" vermitteln soll (16). Die Autorin skizziert das Leben von Juden in England zu einer Zeit, in welcher der Zugang zu Staatsämtern und Einfluss durch eine veränderte Gesetzeslage langsam auch Nicht-Anglikanern ermöglicht worden war. Der dabei unternommene Versuch einer Stilisierung des Malers zum ersten wichtigen und sich öffentlich "bekennenden" jüdischen Künstler in London ist problematisch: Auch wenn sich z.B. Solomon Alexander Hart als Maler englischer Geschichte profilierte und nicht, wie Solomon, offensiv mit "Jewish history painting" seine Religionszugehörigkeit betonte (15), war Hart doch als Professor für Malerei an den Royal Academy Schools tätig und damit durchaus etabliert und renommiert. Fast als würde es Solomons Bedeutung schmälern, erfährt der Leser erst in den Fußnoten von weiteren jüdischen Malern im England jener Zeit, darunter die Geschwister Solomons (Fußnote 10, 20). Internationale Vergleichsbeispiele sucht man hier vergebens - der prominente, in Frankfurt situierte jüdische Künstler Moritz Daniel Oppenheim, der ebenfalls jüdische Zeremonien und Rituale ins Bild setzte, findet erst in Colin Cruses erhellendem Aufsatz zu eben dieser Thematik in Solomons Schaffen Erwähnung (59)!
Frank C. Sharp zeichnet in seinem Beitrag ein interessantes Bild von Solomons Freundeskreis während seiner Ausbildung an den Londoner Royal Academy Schools. Hier lernte der junge Mann wichtige angehende Künstler kennen, so William De Morgan, Albert Moore oder William Blake Richardson. Darüber hinaus knüpfte er früh Kontakte zur damaligen "Avantgarde" - Maddox Brown, Holman Hunt, Rossetti, Burne-Jones und Morris, um nur einige zu nennen, zählten zu seinen Bekannten. Er war für Morris, Marshall, Faulkner & Co. tätig, und einige seiner Frauengestalten tragen die Züge damals allgegenwärtiger Modelle wie Gaetano Meo oder Jane Morris (27). Viele dieser Kontakte hielten auch nach Solomons tragischer Verhaftung 1873, einzelne Kollegen suchten dem Maler finanziell zu helfen. So zieht Sharp vollkommen zu Recht den Schluss, Solomon sei eine "central figure" in einer Gruppe junger Künstler gewesen, die um 1855 ihre professionelle Ausbildung begannen (29).
Debra N. Mancoffs Aufsatz setzt diese Beobachtungen fort und widmet sich mit der Frage nach Solomons "Pre-Raphaelite Identity", einem äußerst komplexen Problem. Sie charakterisiert die persönlichen Beziehungen des Malers zu den Präraffaeliten und ihren Nachfolgern, die sich zuweilen in witzigen Karikaturen (Abb. 11, 35) mitteilen. Anders als Rossetti oder Burne-Jones stellte der Maler bis 1872 regelmäßig in den Schauen der Royal Academy aus, wurde somit bald als wichtigster "offizieller" Exponent der aktuellen Malerei betrachtet. Die Autorin setzt sich auch mit dem zeitgenössischen Urteil auseinander, Solomon sei nach 1873 als "iredeemable Brother who squandered his artistic potential" angesehen worden (31). Ob seine Kategorisierung als später Präraffaelit berechtigt ist, bleibt ein umstrittenes und diffiziles Problem, wie Mancoffs Werkanalysen belegen.
Elizabeth Prettejohns Aufsatz zu Solomons Klassizismus ist ein Höhepunkt in diesem Band: Virtuos geht sie von der in der Viktorianischen Zeit verfochtenen These einer doppelten Wurzel der abendländischen Zivilisation in der klassischen Antike und im Judentum/Christentum aus und zeigt die Virulenz dieser Aspekte für Solomon auf. Es ist für den deutschen Rezipienten wichtig daran erinnert zu werden, dass die von Nietzsche so prominent verfochtene Parallelität des Apollinischen und Dionysischen als einer der Kultur inhärenten Dualität auch anderweitig vertreten wurde; so von Matthew Arnold, Algernon Swinburne oder Walter Pater. Das Ineinandergreifen dieser Traditionslinien und Solomons Versuch einer Synthese demonstriert Prettejohn pointiert an einigen Werken und deren zeitgenössischer Rezeption.
Roberto C. Ferrari schließlich beleuchtet am Beispiel von Solomons Briefen an seine Mäzene James Leathart und Frederick Leyland, beide Großindustrielle und bedeutende Sammler viktorianischer Kunst, die Probleme eines zunehmend selbstbewusst und autonom agierenden Künstlers mit den Wünschen und Vorstellungen seiner Auftraggeber. Schwierigkeiten, seine komplexen Ikonografien und seinen virtuosen Malstil zu vermitteln, teilte Solomon mit seinen Zeitgenossen; die Situation wurde zusätzlich kompliziert durch die Androgynität seiner Figuren, die mit einer damals noch vermuteten Homosexualität des Malers verknüpft wurden und zumal bei Leyland auf wenig Gegenliebe stießen. Wenn Solomon seine künstlerischen Konzepte unter Verweis auf Platonismus und Neoplatonismus erläutert, und auf eine spirituelle Überwindung der Geschlechtertrennung vermittels der Androgynität als movens seiner Kunst verweist, klingt dies im konkreten Zusammenhang zwar wie eine Rechtfertigung (52). Es deutet aber zugleich die ungemeine Komplexität und den Anspruch eines bis heute zu Unrecht wenig beachteten Œuvres an.
Der hervorragend gestaltete Band - die erste übergreifende moderne Studie, die dem Maler gewidmet wurde - wird ein Standardwerk zu Solomon werden; dessen zumindest in den 1860er-Jahren von den Zeitgenossen gefeierte künstlerische Qualität dokumentiert er jedenfalls uneingeschränkt. Es bleibt zu hoffen, dass ausgehend von dieser Arbeit weitere detaillierte Betrachtungen der Werke Solomons folgen werden.
Anmerkung:
[1] Wie so häufig im Zusammenhang mit Künstlern des späteren 19. Jahrhunderts wird jedoch leider auch in dieser Publikation auf eine Wiedergabe der häufig wichtigen Bilderrahmen durchweg verzichtet.
Ekaterini Kepetzis