Rezension über:

Alfried Wieczorek / Mamoun Fansa / Harald Meller (Hgg.): Saladin und die Kreuzfahrer. Begleitband zur Sonderausstallung im Landesmuseum für Vorgeschichte Halle (Saale), Mainz: Philipp von Zabern 2006, 517 S., ISBN 978-3-8053-3513-3, EUR 39,90
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Rezension von:
Dirk Jäckel
FernUniversität Hagen
Redaktionelle Betreuung:
Christine Reinle
Empfohlene Zitierweise:
Dirk Jäckel: Rezension von: Alfried Wieczorek / Mamoun Fansa / Harald Meller (Hgg.): Saladin und die Kreuzfahrer. Begleitband zur Sonderausstallung im Landesmuseum für Vorgeschichte Halle (Saale), Mainz: Philipp von Zabern 2006, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 2 [15.02.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/02/11543.html


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Alfried Wieczorek / Mamoun Fansa / Harald Meller (Hgg.): Saladin und die Kreuzfahrer

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Wenige muslimische Herrscher des Mittelalters besitzen einen festen Platz im kollektiven Gedächtnis des 'Westens'. Neben dem Kalifen Harun ar-Rašid und dem osmanischen Sultan Mehmed II. gehört hierzu ohne Zweifel der Ayyubidensultan Saladin (Salah ad-Din; 1138-1193), hatte doch dessen Sieg von Hattin 1187 und die Rückeroberung Jerusalems aus der Hand der Kreuzfahrer unmittelbare Rückwirkungen auf die lateinische Christenheit. Bereits mancher Zeitgenosse sah in ihm jedoch einen "edlen Heiden", dessen Großmut sich von der vermeintlichen Grausamkeit seiner muslimischen Glaubensgenossen abhob. Die Aufklärung erhob ihn zum Gegenbild der fanatisierten Kreuzfahrer; im Zeichen der deutsch-osmanischen Annäherung unter Wilhelm II. äußerte der Kaiser an Saladins Grab 1898 seine Bewunderung für einen der "ritterlichsten Herrscher aller Zeiten". Zur selben Zeit setzte die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Sieger von Hattin ein, die gerade in den vergangenen Jahren einen neuerlichen Aufschwung erlebte (für die deutschsprachige Forschung sind hier vor allem die Untersuchungen von Hannes Möhring zu nennen). Die neuere Forschung zeichnet freilich ein nüchterneres Bild von Saladin, sieht ihn weniger als exzeptionelle Gestalt und beleuchtet insgesamt stärker die religiöse, kulturelle und politische Umwelt der Kreuzfahrerstaaten.

Die Ausstellung "Saladin und die Kreuzfahrer", die 2005/6 an drei verschiedenen Standorten (Halle, Oldenburg, Mannheim) gezeigt wurde, versuchte einem nach wie vor wachsenden öffentlichen Interesse an den Kreuzzügen allgemein und der Gestalt Saladins im Besonderen entgegenzukommen, zugleich aber ein dem aktuellen Forschungsstand entsprechendes Bild zu vermitteln. Allerdings konnten nicht an allen Standorten sämtliche Exponate gezeigt werden, sodass der Begleitband dem Betrachter ein weit vollständigeres Panorama darbietet als die Ausstellung selbst.

Der Titel "Saladin und die Kreuzfahrer" darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Blickwinkel von Ausstellung und Begleitband weit umfassender ist; die Epoche der Kreuzzüge wird insgesamt abgedeckt. Saladin und seine Kontrahenten bilden allerdings den Angelpunkt der Betrachtung der Situation vor und nach der Schlacht von Hattin und dem 3. Kreuzzug. Ein eigenständiges Profil gegenüber vergleichbaren Projekten (Mainzer Kreuzzugsausstellung von 2004) ergibt sich auch durch die stärkere Betonung der Binnenperspektive: Im Fokus stehen weniger die Kreuzzüge als solche, sondern in erster Linie die Folgen für den Nahen Osten, wobei gleichermaßen politische, gesellschaftliche, ökonomische, kulturelle und religiöse Aspekte angesprochen werden. Der Band verzichtet auf eine vordergründig moralisierende Sprache, dennoch wird die Aktualität des Themenkomplexes an mehreren Stellen deutlich.

In einem ersten Teil enthält der Begleitband insgesamt 33 Essays von namhaften Spezialisten der Kreuzzugsepoche - neben Historikern auch Kunsthistoriker sowie Orientalisten. Mehrere Autoren können hier ihre Kompetenz als Historiker und Orientalisten gleichermaßen unter Beweis stellen - so etwa Hannes Möhring, der sich mit den muslimischen Reaktionen auf die Existenz der Kreuzfahrerherrschaften seit Mitte des 12. Jahrhunderts befasst, oder Peter Thorau, der die Wahrnehmung der Kreuzfahrer durch die zeitgenössischen islamischen Chronisten beleuchtet. Insgesamt beeindruckt nicht nur die Breite des Spektrums, sondern vor allem auch die Bereitschaft und Fähigkeit der Autoren, die Erträge der Forschung in einer Form wiederzugeben, die, jegliche Banalisierung vermeidend, dem Fachpublikum ebenso Anregungen zu geben vermag wie dem interessierten 'Laien'. Der Leser erhält gleichermaßen einen Überblick über die politisch-religiöse Situation im Vorderen Orient zur Zeit der Ankunft der Kreuzfahrer (Carole Hillenbrand) wie zu den neuen kunsthistorischen Erkenntnissen über deren Baumaßnahmen an der Jerusalemer Grabeskirche, dem Hauptziel der Kreuzzüge (Jürgen Krüger); er wird mit den religiösen Motiven der Kreuzfahrer (Christoph Auffarth) ebenso konfrontiert wie mit den alltäglichen Problemen der Verwaltung eines Territoriums, in denen die herrschenden Lateiner eine Minderheit bildeten (Jonathan Riley-Smith); die starke Rolle von Frauen im Jerusalemer Königshaus (Nikolas Jaspert) kommt genauso zur Sprache wie das 'Krisenmanagement' der ägyptischen Sultanin Shadschar ad-Durr Mitte des 13. Jahrhunderts (Peter Thorau).

Mehrere Essays beziehen sich auf die kulturellen Austauschprozesse im lateinischen Osten. Hierbei wird deutlich, dass die Lateiner nicht nur einer muslimischen Kultur gegenüberstanden, von der sie Anregungen erfuhren. Die orientalischen Christen verschiedenster Denominationen vermittelten stilistische Impulse an die Lateiner, die zur Ausbildung einer spezifischen "Kreuzfahrerkunst" (Jaroslav Folda) führten. Dabei wird aber auch klargestellt, dass die Lateiner selbst - über alle 'konfessionellen' Gräben hinweg - ebenfalls ihre Spuren in der christlich-orientalischen Kunst hinterlassen haben. Eine wechselseitige Beeinflussung zwischen der Architektur von Kreuzfahrern und Muslimen wird in erster Linie bei den Wehrbauten konstatiert (Lorenz Korn). Gleichwohl lassen sich in Jerusalem auch nach der islamischen Rückeroberung von 1187 manche Zitate der Kreuzfahrerarchitektur an islamischen Bauten feststellen. Insofern wird das Bild einer kulturellen Einbahnstraße - der Westen empfing vom zivilisatorisch überlegenen Orient - zwar keineswegs widerlegt, aber zumindest relativiert.

Der Katalogteil des Bandes zeichnet sich durch eine zumeist klare und übersichtliche Gliederung aus. Fünf thematische Blöcke sind in insgesamt 31 Einzelabschnitte eingeteilt, die jeweils durch einen knappen Essay eingeleitet werden. Zeugnissen der Kreuzfahrer werden Stücke muslimischer, orientchristlicher und jüdischer Provenienz gegenübergestellt. Vor allem der Abschnitt "Begegnung oder Konfrontation der Welten?" liefert manch beeindruckendes Beispiel für kulturelle Grenzüberschreitungen - etwa wenn christlich-orientalische Reliquien in Gefäßen islamischer Provenienz in den Westen gelangten (428-432) oder, mehr noch, wenn Münzmeister im christlichen Akkon Mitte des 13. Jahrhunderts Silbermünzen im Auftrag des Ayyubidensultans prägten (454f.). Sicher, nicht jedes Exponat kann eine ebensolche Aussagekraft für sich beanspruchen. So wird nicht recht ersichtlich, warum im Abschnitt "Jerusalem: Zentrum der Welt und Ziel der Pilger" gerade koptische Textilien aus der Spätantike (!) und dem Frühmittelalter gezeigt werden (313-318) - die Kopten spielten unter den christlich-orientalischen Denominationen der Kreuzfahrerstaaten eine eher marginale Rolle. Als weiteres Beispiel seien orientalische Möbelstücke im rezeptionsgeschichtlichen Abschnitt genannt (474-476), über deren genauere Herkunft und Datierung (19. Jahrhundert?) die knappen Legenden keine Auskunft geben. Dies ist allerdings die Ausnahme. Die meisten Erläuterungen bestechen durch eine präzise und gut verständliche historische bzw. kunstgeschichtliche Einordnung der Exponate.

Mag der Begleitband für den historischen, kunsthistorischen und orientalistischen Spezialisten der Kreuzzugsepoche auch wenig Überraschendes hinsichtlich des eigenen Fachgebiets liefern - die Stärken des Bandes liegen in der interdisziplinären Aufbereitung des neuesten Forschungsstandes in einer Form, die den interessierten 'Laien' wie den Spezialisten gleichermaßen anzusprechen vermag. Die Gratwanderung zwischen Idealisierung und Moralisierung ist in jedem Fall gelungen.

Dirk Jäckel