Ekkehard Eickhoff: Venedig - Spätes Feuerwerk. Glanz und Untergang der Republik (1700 bis 1797), Stuttgart: Klett-Cotta 2006, 440 S., ISBN 978-3-608-94145-6, EUR 29,50
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Es ist schwierig zu sagen, ob der Status, den Venedig als Erinnerungsort im kollektiven Gedächtnis nicht nur Europas, sondern wohl der ganzen Welt einnimmt, eher Fluch oder Segen ist. Ein Segen sicherlich, weil Venedig unter den Städten der Welt einen fast einmaligen Platz erlangt hat, und dieser Umstand nicht unwesentlich dazu beiträgt, dass jedes Jahr Millionen Menschen ihre Urlaubskasse in die Lagunenstadt tragen. Zugleich aber auch Fluch, weil diese Touristenströme nicht nur erhebliche Probleme mit sich bringen, sondern weil man sich auch die Frage stellen kann, ob diese vielen Menschen, die aus allen Herren Ländern nach Venedig kommen, die Stadt denn überhaupt noch "sehen" können. Schließlich - und das muss aus wissenschaftlicher Perspektive weder als Fluch noch als Segen, sondern vor allem als Herausforderung angenommen werden - gibt es wohl kaum eine andere Stadt, die die meisten Menschen recht genau beschreiben könnten, selbst wenn sie noch nie dort gewesen sein sollten. Besucher Venedigs kennen den Ort also bereits bestens, bevor sie ihn betreten - die beste Voraussetzung, um Überraschungen und neue Einsichten zu vermeiden.
In der Darstellung von Ekkehard Eickhoff zur Geschichte Venedigs im 18. Jahrhundert gibt es fraglos viel zu entdecken, so zahlreich ist die Themenvielfalt. Selbst Spezialisten auf diesem Gebiet werden hier noch fündig. Doch dieser üppige Strauß an unterschiedlichen Inhalten ist zugleich ein gravierendes Problem des Buchs. Verdeutlichen lässt sich dies anhand der Schwierigkeit zu beschreiben, was denn sein eigentlicher Inhalt ist. Sicherlich, der Schauplatz ist Venedig, Zeit der Handlung ist das 18. Jahrhundert, doch eine weitere Annäherung an den Gegenstand der Monografie ist kaum zu erreichen. Es lässt sich keine präzise Fragestellung und keine These ausmachen, der die Darstellung folgen würde. Stattdessen versucht Eickhoff ein Panorama zu entwerfen und möglichst viele Aspekte Venedigs im 18. Jahrhundert anzutippen. Doch wie für ein Panorama üblich, bleiben dessen Bestandteile nebeneinander stehen, und es entspinnen sich in eher seltenen Fällen Beziehungen zwischen ihnen, die das Verständnis der Serenissima im Settecento vertiefen oder in eine neue, ungewohnte Bahn lenken könnten.
Die konzentrierte Einleitung vermittelt bereits einen Eindruck von den Themen, die den Leser erwarten. Auf drei Seiten werden erwähnt: Aufklärung, Absolutismus, Krieg, Venedig als Festplatz Europas, "verfeinerte Lebenskunst", Karneval, europäische Besucher der Stadt, Opern, Konzerte, Kaffeehäuser, Casinos, Ridotti, Theater, Regatta, das Osmanische Reich, Morea, Verfassung der Republik, Staatsinquisition, Zeremonien, Salonkultur und anderes mehr. In der Darstellung selbst geht Eickhoff diesen Aspekten nicht nur, aber zu einem größeren Teil mittels biografischer Skizzen nach.
Dies ist jedoch nur eine Andeutung all der Aspekte, die in der einen oder anderen Form angeschnitten und angesprochen werden. In kurzen Abschnitten, die sich zumeist im Umfang von etwa drei Seiten bewegen, werden immer neue Themen angerissen, werden knappe Eindrücke vermittelt, wird Appetit auf historische Phänomene gemacht, ohne dass man einmal richtig satt würde. Denn nach wenigen Seiten wartet bereits das nächste Thema, das beleuchtet werden muss. So verliert sich die Darstellung in allzu vielen Einzelheiten.
Ein weiteres Problem des Buchs ist bereits in der Titelgebung angedeutet: Eickhoff liefert in seiner Darstellung unterschwellig immer die Botschaft mit, dass das 18. Jahrhundert Venedigs finale furioso war. Ohne dass dies als explizites Ziel der Darstellung benannt würde, wird zumindest implizit deutlich, dass wir es bei all den künstlerischen Höhenflügen, den festlichen Ausschweifungen, den ruinösen Glücksspielen und den wenig erfolgreichen politischen Vorhaben mit eindeutigen Vorboten eines nahenden Untergangs zu tun haben. Dies folgt selbstredend der wohl etablierten narrativen Strategie vom Aufstieg und Fall großer Reiche, wobei der Jahrhunderte zurückliegende Aufstieg Venedigs bei Eickhoff nur im Hintergrund durchschimmert. Die Schwierigkeit bei einer solchen Erzählstrategie liegt offen zutage: Wie kann man historische Phänomene mehr oder minder offen auf den Untergang eines Staatswesens hin interpretieren, von dem die historischen Akteure noch gar nichts wussten? Das Dekadenzmotiv ist also bestens dazu geeignet, den Historiker einmal mehr zum rückwärts gewandten Propheten zu machen, der mit einem aus der Perspektive des Nachlebenden resultierenden Wissen den historischen Akteuren präsentiert, auf welches in der Zukunft liegende Ziel ihr Tun eigentlich ausgerichtet war. Damit vergibt man sich jedoch die Möglichkeit, in der Geschichte Venedigs des 18. Jahrhunderts Aspekte zu entdecken, die möglicherweise nicht dem basso continuo einer ständig gegenwärtigen Dekadenzerwartung geschuldet sind.
Vor diesem Hintergrund wird wohl auch die thematische Auswahl Eickhoffs verständlicher. Denn dann erweisen sich all diese Festivitäten, mondänen Gespreiztheiten und kulturellen Glanzpunkte als der letzte Auftritt eines überalterten Schauspielerensembles auf der Bühne der Weltgeschichte, bevor der Vorhang das letzte Mal fällt und Napoleon als letzter das Licht ausmacht (das 26. Kapitel ist daher auch überschrieben mit "Das Fest klingt aus"). Schade nur, dass man so wenig bis gar nichts über das Publikum dieser Aufführung erfährt. Ein Blick in sozial weniger privilegierte Schichten bleibt ebenso aus wie eine Betrachtung wirtschaftsgeschichtlicher Zusammenhänge, die zum Beispiel hätten zeigen können, dass Venedig mit seiner Situation recht geschickt umgegangen ist: Der Verlust mittelmeerischer Besitzungen und der Rückgang des Handelsverkehrs wurde ökonomisch klug und ertragreich aufgefangen durch die Konzentration auf landwirtschaftliche Produktion, die Errichtung erster Manufakturen - und Investitionen in den Tourismus, von dem die Stadt bereits im 18. Jahrhundert recht gut leben konnte. Wirtschaftlich zeigte daher die Entwicklung Venedigs eindeutig nach oben [1] - von Dekadenz also keine Spur.
Das Buch ist ohne Frage gelehrt, Eickhoff hat eine große Menge Literatur und Quellen gewälzt. Doch man wird den Eindruck nicht los, dass er nicht so recht weiß, wohin mit all diesen Informationen und Details. Der Eindruck eines Sammelsuriums, das möglicherweise die 'bunte Vielfalt' venezianischen Lebens im 18. Jahrhundert vor Augen führen sollte, ist nicht dazu angetan, den Gegenstand deutlicher zutage treten zu lassen. Das Buch will sich nicht zu einem Gesamtbild fügen, weil der fragmentarischen Darstellung der rote Faden fehlt. Und wo den Leser Neuigkeiten erwarten, werden sie durch den ständig präsenten Dekadenz-Überbau beschattet, so dass man am Ende doch nur das zu sehen vermeint, was man ohnehin zuvor schon wusste. Aber vielleicht wäre das die wirkliche Herausforderung im Umgang mit der Geschichte Venedigs: der Versuch, sich von etablierten Sichtweisen zu lösen.
Anmerkung:
[1] Vgl. Gaetano Cozzi: Repubblica di Venezia e Stati italiani. Politica e giustizia dal secolo XVI al secolo XVIII, Torino 1982; Alexander Cowan: The urban patriciate. Lübeck and Venice 1580-1700, Köln/Wien 1986; Peter Hersche: Italien im Barockzeitalter 1600-1750. Eine Sozial- und Kulturgeschichte, Wien/Köln/Weimar 1999.
Achim Landwehr