John H. Morrow, Jr.: The Great War. An Imperial History, London / New York: Routledge 2005, xvi + 352 S., 19 ill., ISBN 978-0-415-20440-8, GBP 12,99
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Der Erste Weltkrieg ist und bleibt ein Thema, dem sich die internationale Geschichtswissenschaft mit Akribie und Engagement widmet. Neue Fragestellungen und neue Quellen stoßen immer wieder neue Forschungen an und erlauben auch immer wieder neue Antworten auf alte Frage, die eigentlich beantwortet schienen.
Zu den anregenden Büchern, die in den letzten Jahren zu diesem Thema - dem "Great War" wie er in der angelsächsischen Welt genannt wird - erschienen sind, gehört auch dieses Buch von John H. Morrow, der an University of Georgia in Athens lehrt. Dies zu wissen ist ausnahmsweise nicht unwichtig, denn diese Herkunft trägt dazu bei, den besonderen pädagogischen Impetus des Autors zu erklären. Auch wenn das Buch aus einem genuin wissenschaftlichen Interesse heraus entstanden ist, hat es eine sehr spezifische "Note": Wie der Autor in seinem "Preface" deutlich macht, kann anhand der amerikanischen Politik nach 9/11 gezeigt werden, wie fatal es ist, historische Lehren einfach zu ignorieren. Aufgrund vielfältiger "déjà vu"-Erlebnisse in der Gegenwart will er es daher auch als direkte bzw. indirekte Hilfe verstanden wissen in einer Zeit, in der "the United States government embarks upon an imperial venture early in the twenty-first century" (XIII).
Ob der Autor dieses Ziel erreichen wird, sei dahingestellt; ein Ziel hat er allemal erreicht: Er hat eine außerordentlich gut lesbare "imperial" oder - um es anders ausdrücken - globale Geschichte des Ersten Weltkrieges geschrieben. Konkret heißt dies, dass er sich mit der Vorgeschichte des Krieges, dessen Verlauf und dessen Folgen aus der Perspektive aller Beteiligten beschäftigt. Wenn er alle Beteiligten meint, dann versteht er darunter nicht nur die jeweils betroffenen Regierungen und obersten Heeresleitungen, sondern auch den einfachen Soldaten im Schützengraben, die Menschen an der "Heimatfront" oder auch die Bewohner der Kolonien, die viel stärker als dies vielen Europäern auch heute noch bewusst ist, in diesen Konflikt mit hineingezogen wurden und unter diesem zu leiden hatten. Wer weiß darüber hinaus schon, dass Frankreich 1915/16 nicht nur an seiner Ostgrenze gegen deutsche Truppen kämpfte, sondern parallel auch einen blutigen Kolonialkrieg in Westafrika führte, und wer hat mehr als halbwegs rudimentäre Kenntnisse über die Rolle Japans im Ersten Weltkrieg?
Um seinen Lesern die Lektüre zu erleichtern, hat Morrow seine Studie in sieben Kapitel untergliedert, die sich im Prinzip an den Kriegsjahren, nicht aber an "Strukturen" orientieren. Innerhalb dieser Kapitel setzt er sich so ausführlich wie auf diesem beschränkten Raum möglich aus der Perspektive der jeweiligen Ländern mit der Lage an den Fronten und im Innern, aber auch - aus einem teilweise sehr spezifisch amerikanischen Blickwinkel - mit Fragen von "class, gender, and race" auseinander. Damit bewegt sich der Autor in jeder Hinsicht auf der Höhe des gegenwärtigen Forschungsstandes.
Betrachtet man die Kapitel nun im Einzelnen, dann gibt es im Großen und Ganzen eigentlich wenig zu kritisieren. Sicher: Ob man Morrows Bemühen, die Verantwortung für den Krieg aus der imperialistischen Politik aller Beteiligten zu erklären und damit alle gleichermaßen für "schuldig" zu erklären, akzeptieren muss, sei dahin gestellt; dass er diese Frage aber aufwirft, ist zweifellos legitim.
Überzeugend ist auch Morrows Darstellung des weltweiten Geschehens in den einzelnen Kapiteln, deren dramatisch klingende Überschriften "1914: The 'big Show' opens"; "1915: An insignificant Year?", "1916: Total War", "1917. Climax" und "1918: Denoument" deren Inhalt und die wesentlichen Thesen des Autors grob skizzieren. Besonders hervorzuheben ist, dass es dem Autor gelungen ist, alle Aspekte miteinander zu verknüpfen, anstatt unverbundene Parallelgeschichten zu schreiben. Hervorzuheben sind auch die Ausführungen im Kapitel über das Kriegsende: Hier zeigt der Autor einmal mehr, dass er die Forschung souverän beherrscht, wenn er "Ergebnis" und Folgen des Krieges bilanziert: die Entwicklung der Militärtechnologie, die Brutalisierung der Kriegführenden, die Bedeutung totaler Mobilisierung aller Ressourcen und - gleichermaßen - sozialpsychologischer Faktoren sowie die Zerstörung weiter Gebiete und das millionenfache Sterben. Hinzu kommen die Zerschlagung des alten Europas und die Neuordnung von Teilen der Welt - dem Balkan, dem Nahen und Mittleren Osten und von Teilen Afrikas und Asiens.
Wichtig und richtig sind in diesem Zusammenhang auch Morrows Ausführungen über die Folgen des Krieges im Hinblick auf "sexism", "Anti-Bolshevism" und "Racism".
Nimmt man Morrows Ausgangspunkt schließlich in den Blick, dann ist es nur folgerichtig, wenn er sich am Ende ausführlich mit der Frage beschäftigt, ob der "Great War" nicht der Beginn eines Dreißigjährigen Krieges gewesen sei. Morrow bejaht diese Frage und verweist dabei allerdings nicht nur auf die allgemein bekannten Entwicklungen in Europa, sondern vor allem auf die Ereignisse in Asien, wo der Friede gerade einmal zehn Jahre währte. Diese Überlegungen sind zweifellos in vielerlei Hinsicht zutreffend.
Selbst wenn man die politisch gefärbten Ausführungen des Autors am Ende nicht teilt, gilt es festzuhalten, dass dessen Studie trotz des begrenzten Platzes einen außerordentlich guten Überblick über die langen und kurzen Wege in den Ersten Weltkrieg, dessen Verlauf und dessen vielschichtige Folgen bietet. Man mag nicht immer allen Ausführungen zustimmen, dennoch ist es erfrischend zu lesen, wie er sich mit der "Zunft", zumal mit dem aus Sicht des Rezensenten weit überschätzten Werk von Niall Ferguson "The Pity of War"[1] auseinandersetzt. Eine Übersetzung ins Deutsche ist daher durchaus zu empfehlen, dürfte aber wohl an den Kosten scheitern. Schade.
Anmerkung:
[1] Niall Ferguson: The Pity of War 1914-1918, 2. Aufl. London 1999.
Michael Epkenhans