Melanie Florin: Das Majolikahäuschen von Villeroy & Boch im Düsseldorfer Hofgarten, Düsseldorf: Grupello Verlag 2006, 120 S., ISBN 978-3-89978-057-4, EUR 14,90
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Das Majolikahäuschen im Düsseldorfer Hofgarten existiert nicht mehr. Melanie Florin spürt in ihrem Buch diesem vernichteten Werk des Jugendstils in Düsseldorf nach. In ihrer Magisterarbeit, die dem Buch zu Grunde liegt, hat sie die Geschichte dieser Kleinarchitektur erstmalig wissenschaftlich aufgearbeitet.
Errichtet wurde das Majolikahäuschen als Ausstellungspavillon des Mettlacher Keramikunternehmens Villeroy & Boch im Jahr 1902 für die "Industrie-, Gewerbe- und Kunstausstellung für Rheinland, Westfalen und benachbarte Bezirke". Düsseldorf war bereits im 19. Jahrhundert häufig Veranstaltungsort großer Gewerbeausstellungen gewesen. Die Ausstellung 1902 wurde als Impuls zu einem Ausbau der Stadt genutzt. Es entstanden mehrere Hallen sowie eine Zahl von Pavillons, die das Sortiment eines einzelnen Herstellers präsentierten. Diese Pavillons hatten meistens ephemeren Charakter, dienten der Eigenrepräsentation aber mehr als die Ausstellungsflächen in den Hallen. Villeroy & Boch plante deswegen, ebenfalls einen eigenen Pavillon zu errichten, wie es bereits 1880 auf der "Gewerbeausstellung für Rheinland und Westphalen" in Düsseldorf geschehen war. Das Unternehmen stellte seit der Mitte des 19. Jahrhunderts unter anderem Baukeramik aus Terrakotta und Majolika sowie die Mettlacher Platten - polychrome Bodenfliesen aus unglasiertem Steinzeug - her. Früh schon hatte sich Villeroy & Boch für die Serienfertigung entschlossen. Bei der Formgebung war man bis ungefähr 1900 dem Historismus verpflichtet und nahm dann die damals neuen Dekorformen des Jugendstils zusätzlich in das Sortiment auf.
Für den Entwurf des Pavillons von 1902 wurde zuerst der Mainzer Architekt Butler beauftragt, die spätere Planung übernahm Anton Pleyer, Lehrer für Kunstgewerbe und Innendekoration an der Kunstgewerbeschule in Mainz. René von Boch, der Leiter des Unternehmens, war maßgeblich an den Planungen und Entwürfen beteiligt. Von ihm stammte die Idee, die Seiten des Pavillons unterschiedlich zu gestalten und alle Werke des Unternehmens zu beteiligen. Aus "marktstrategischen Gründen" entschloss man sich, für den Pavillon zwar Jugendstil-Dekor zu verwenden, man stellte aber fest, dass man darauf angewiesen sei "im älteren Genre noch weiter zu arbeiten und neue Muster zu bringen, die nicht allzu modern aussehen", da nicht alle Kunden sich mit den neuen Dekoren angefreundet hätten (30). Während der Errichtung ab Februar 1901 wurde nach Absprache mit der Stadt Düsseldorf die Konstruktion des provisorischen Ausstellungsbaus zu Gunsten einer soliden, teilweise unterkellerten Massivbauweise abgeändert, die auf einen Erhalt des Gebäudes abzielte.
Anhand von Fotografien und Plänen beschreibt Florin das Innere und Äußere des etwa 75 m2 Fläche bietenden Pavillons. Den Namen "Majolikahäuschen" bekam er durch die komplette Verkleidung und Ausstattung mit Keramikprodukten. Im Inneren wurden weitere keramische Erzeugnisse in Vitrinen ausgestellt. Das Häuschen präsentierte sich als eingeschossiger Querbau mit Mansarddach und an allen vier Seiten unterschiedlich ausgeführten, erkerartigen Anbauten sowie einer großen Portalfront vor einer Vorhalle. Ein großer Schornstein mit einem Apfelbaum als Dekor überragte es. Im Inneren beeindruckte die zeitgenössischen Betrachter eine Deckenverfliesung mit Rosenblüten-Dekor und ein als Baumskulptur mit sich rankenden Zweigen gestalteter Durchgang der Vorhalle. Ein Majolikakamin in einer holzvertäfelten Nische sowie ein Wandbrunnen zeigten weitere Baukeramiken des ausstellenden Unternehmens. Der vielfältige Bezug zu pflanzlichen Dekoren ist für Florin eine Reminiszenz an den Standort im Hofgarten und ein Ausdruck der Verknüpfung von Kunst und Natur, obwohl gerade die vegetabilen Dekore von den Gestaltern der damaligen Zeit ein gerne genutztes Element waren.
Florins Bemerkung, dass die unterschiedliche Gestaltung der vier Seiten eine "für ein Gebäude ganz ungewöhnliche Idee" sei (37), berücksichtigt nicht, dass in der Gartengestaltung des 18. und 19. Jahrhunderts unterschiedliche Dekore an Fassaden von Gartenarchitekturen durchaus vorkommen: um lehrreich zu wirken oder um beim Betrachter je nach Standort unterschiedliche Stimmungen zu erzeugen. Die von ihr daraus abgeleitete Allansichtigkeit des Häuschens, sicherlich von den Planern auch so vorgesehen, wurde allerdings durch die Platzierung unter hohen Bäumen im Hofgarten konterkariert. Florins Herleitung des rundbogigen Portals des Pavillons von der Eingangssituation des Atelierhauses von J. M. Olbrich auf der Darmstädter Mathildenhöhe - einer kolossalen, tief in die Fassade eingeschnittenen, bis zur Traufe reichenden, bogenförmigen Vorhalle, in der sich die Portalwand mit dem wesentlich kleineren Portal befindet - erscheint etwas gewagt, da rundbogige Portale und Freitreppen mit ausgeprägten Wangen in der Architektur des Jugendstils nicht völlig ungewöhnlich sind und sich sogar in der Industriearchitektur wieder finden lassen.
Nach Ende der Ausstellung ging der Pavillon an die Stadt Düsseldorf über, die ihn nach nötigen Umbauten an eine "Gesellschaft für Milchausschank" verpachtete, danach an Konditoren, die bis 1926 dort ein Café betrieben. Die Funktion des Majolikahäuschens wandelte sich von einem Ausstellungspavillon zu einem Gartenhäuschen mit Gastronomiebetrieb. Das Ende des Majolikahäuschens kam mit einer neuen Düsseldorfer Ausstellung, der "Großen Ausstellung für Gesundheitspflege, soziale Fürsorge und Leibesübungen", der Gesolei, dem größten Publikumserfolg aller Düsseldorfer Ausstellungen. Für sie wurden ab 1924 die verbliebenen Baulichkeiten der Gewerbeausstellung von 1902 niedergelegt oder umgebaut, um sie den sachlichen, kubisch-blockhaften neuen Ausstellungshallen anzupassen. Da der Hofgarten in das Ausstellungsgelände mit einbezogen werden sollte, stellte sich die Frage nach der Nutzung des Majolikahäuschens. Von Seiten der Bauleitung der Gesolei bevorzugte man einen Abriss. Dem Pächter, der das Café im Majolikahäuschen betrieb, wurde zuerst ein finanzieller Knebelvertrag aufgedrängt, dann im Februar 1926 plötzlich der Pachtvertrag gekündigt, mit der Aufforderung zur sofortigen Räumung, die wenige Tage später vollzogen wurde. Am darauf folgenden Tag war das Majolikahäuschen verschwunden, heimlich abgerissen von einem Trupp Bauarbeiter unter Leitung von Verantwortlichen der Gesolei-Bauleitung. Bis heute ist kein Werkstück der reichen Ausstattung wieder gefunden worden.
Es ist Florin gelungen, die Quellen um das Majolikahäuschen lückenlos aufzuarbeiten, und es in vielen qualitätvollen Abbildungen zu dokumentieren. Ob es wirklich "ohne Zweifel zu den baulichen Hauptwerken des Jugendstils zählen" (11) würde, wie die Autorin annimmt, kann bezweifelt werden. Die Einordnung in einen größeren Kontext, etwa der Gartenarchitektur des frühen 20. Jahrhunderts oder der Ausstellungsarchitektur, wäre reizvoll gewesen, hätte aber sicherlich den Rahmen der zu Grunde liegenden Magisterarbeit gesprengt und ist auch für das eher stadtgeschichtlich orientierte Buch nicht erfolgt.
Julia Benthien