Toni Diederich / Joachim Oepen (Hgg.): Historische Hilfswissenschaften. Stand und Perspektiven der Forschung, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2005, IX + 188 S., ISBN 978-3-412-12205-8, EUR 24,90
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Der Sammelband über "Stand und Perspektiven" der Historischen Hilfswissenschaften ist aus einem Symposium hervorgegangen, das im Oktober 2004 vom Historischen Archiv des Erzbistums Köln veranstaltet wurde.
Den Einstieg liefert Thomas Vogtherr mit "Einführenden Bemerkungen" (1-6), in denen er knapp den Bedeutungsrückgang der Historischen Hilfswissenschaften an den Universitäten skizziert, jedoch vor allem auf die kulturwissenschaftlichen Kompetenzen und das stärker zu nutzende Potenzial der Grundlagenforschung hinweist.
Theo Kölzer stellt "Diplomatik und Urkundenpublikationen" (7-34) vor. Ihn treibt die Sorge um, dass gegenwärtig weder an den Universitäten, noch in der archivarischen Ausbildung diplomatische Kenntnisse in dem Maße vermittelt würden, um zukünftig in den internationalen hilfswissenschaftlichen Organisationen vertreten zu sein. Die imponierende Bilanz europäischer Diplomatiker auch jenseits der Editionstätigkeit seit 1945 zeigt, dass das Fach unverzichtbare Ergebnisse vorlegt. Gerade jüngere Arbeiten beweisen seiner Ansicht nach den Wert der Grundlagenforschung, trügen mehr als "theoretische Erörterungen" (13), das "Flirten mit der modernen Hirnforschung" (18) oder die "diplomatische Semiotik" (20f.) dazu bei, die Leistungen der quellenkritischen, die bis heute bewährte Methode Mabillons und Sickels anwendenden Diplomatik hervorzuheben. Kölzers optimistisches Fazit lautet: Es gibt keine Krise in der Diplomatik mangels Stoff oder Methode, allenfalls in ihrer Anwendung.
Mit Toni Diederich erfährt die "Siegelkunde" eine ausgezeichnete Würdigung (35-59). Im Spektrum der Hilfswissenschaften nimmt die Sphragistik eine besondere Stellung ein, denn Siegel sind nicht nur massenhaft und von hoher künstlerischer Qualität, sondern in den ältesten Hochkulturen nachweisbar. Diederich weist nachdrücklich daraufhin, dass neben der Erhaltung von Siegeln insbesondere deren systematische Verzeichnung sowie angemessene Publikation zu den vordringlichen Aufgaben zählt. Er bedauert, dass trotz aller Vorteile für die orts- und zeitunabhängige Recherche die EDV-gestützte Erfassung bisher nur in kleineren Projekten verwirklicht werden konnte. Trotz der von Demandt vorgelegten Regeln zur Siegelbeschreibung wiesen darüber hinaus zahlreiche Veröffentlichungen nach wie vor terminologische Unsicherheiten auf. Jedoch zeigen seiner Ansicht nach die in jüngster Zeit erschienenen Dissertationen (z. B. Vahl, Stieldorf), dass Siegel als Geschichtsquellen Bedeutungsträger sind. Zusätzlich zur Beschreibung sollte folglich eine neuartige Typologie treten, die auch nach den Funktionalitäten fragt. Abschließend betont Diederich die Kooperationsmöglichkeit mit der Kunstgeschichte, die zu vergleichenden Methoden und für beide Seiten zu neuen Impulsen und Erkenntnissen führen könnte.
Der "Heraldik" widmet Ludwig Biewer einen gelungenen Beitrag (61-87). Er situiert diese Wissenschaft als Veilchen am Rand des großen Blumenbeetes der Geschichtsforschung, jedoch nicht ohne auf dessen unverwechselbaren und unverzichtbaren Duft hinzuweisen. Biewer skizziert Gegenstand, Geschichte und universitäre Situation der Wappenkunde, nennt wichtigste Veröffentlichungen und Periodika, verweist anhand des ehemaligen Außenministers Fischer auf die menschliche Eitelkeit, die Wappen nach wie vor große Beliebtheit beschere, fordert Editionen mit farbigen Abbildungen und betont nicht zuletzt die Wichtigkeit der soliden wissenschaftlichen Ausbildung, die sich in den Wappenentwürfen für Familien und Kommunen auszahle. Als Absolventin des 39. Wissenschaftlichen Kurses darf sich die Rezensentin die Bemerkung erlauben, dass entgegen der von Biewer geäußerten Befürchtungen auch dieser Hilfswissenschaft am Institut für Archivwissenschaften / Marburg durchaus angemessen Aufmerksamkeit eingeräumt ist (74, Anm. 30).
Eckart Henning stellt die "Genealogie" vor (89-106), die sich so großer Beliebtheit erfreue, dass geradezu von einer Massenbewegung der Ahnenforscher gesprochen werden könne. Er sucht zunächst eine Definition für Genealogie, die er dezidiert sowohl von Foucaults Genealogiebegriff als auch von der Geschlechtergeschichte abgrenzt. Während ersteres einleuchtet, ist Hennings Erläuterung zu den gender studies weniger gut nachvollziehbar: Sein Vorwurf, diese thematisierten "leider [...] keine Geschlechtlichkeit", hielten an der "traditionellen Unterscheidung von sex und gender" (91) fest, würden "entbiologisiert" betrieben, beschäftigten sich "kaum mit den biologischen Grundlagen oder den historischen Gründen der Geschlechterdifferenz" und stünden "ganz anderen historischen Verhältnissen eher verständnislos gegenüber" (92), veranlasst zu der Annahme, dass ihm Themen, Theorien und Methoden der Historischen Frauen- und Geschlechterforschung (Butler, Wunder, Lorenz etc.) verschlossen blieben. Seinen Ausführungen zur genealogischen Forschung tut dies glücklicherweise weiter keinen Abbruch. Henning nennt die vielen Felder, in denen Ergebnisse der Genealogie fruchtbar genutzt werden, darunter Elitenforschung sowie insbesondere Humangenetik und Demographik. Abschließend fordert er als Erleichterung für die Forschung die Lockerung des Datenschutzes bei den Standesamtsregistern und Einwohnermeldedateien.
Niklot Klüßendorf zählt zweifelsohne zu den besten Kennern der "Numismatik und Geldgeschichte" (107-154), deren Spezifikum und Potenziale er vorstellt. Ihm geht es insbesondere um die Orientierung nach innen, um gegenwärtige Inhalte und zukünftige Ziele zu prüfen, sowie nach außen, um "Fremderwartungen" zu erkennen, aber auch, um Kooperationsmöglichkeiten innerhalb der Hilfswissenschaften und mit anderen Fächern wie Kunstgeschichte und Archäologie auszuloten. Klüßendorf skizziert die schwierige universitäre Situation der Wissenschaft und weist daraufhin, dass nicht nur Museen, sondern auch zahlreiche Archive Münzsammlungen betreuen. Er verweist auf die engen Verflechtungen von Numismatik mit anderen Fachgebieten und betont das gemeinsame Vorgehen der 'kleineren' Fächer, um beim Wandel der institutionellen Strukturen mithalten zu können.
Nicht einem einzelnen Fach der Historischen Hilfswissenschaften, sondern ihrem Verhältnis zur Kunstgeschichte widmet Rainer Kahsnitz, ehemaliger Hauptkonservator am Bayerischen Nationalmuseum München, seinen Beitrag (155-183). Er fragt, wie die Wissenschaften sich gegenseitig von Nutzen sein können und erläutert, dass insbesondere mit der Sphragistik eine enge Beziehung bestehe. Nach seiner Einschätzung lassen es Historiker beim Umgang mit Gegenständen nach wie vor zu sehr an der Quellenkritik mangeln, obwohl das kunsthistorische Instrumentarium zum besseren Verständnis der Denkmäler selbst, vor allem aber zu den gattungs- und darstellungsspezifischen Traditionen beitragen kann.
Der beklagte Bedeutungsrückgang dieser Grundwissenschaften, der sich im universitären Lehrangebot wie in der archivarischen Ausbildung abzeichne, wird durch die umfassenden Angaben zu jüngeren Forschungen widerlegt. Historiker und Archivare wissen um die Notwendigkeit ihres Handwerkszeugs: "Wer nichts vom Mauern oder von Statik versteht, ist kein solider Architekt" (9).
Pauline Puppel