Katrin Rack: Unentbehrliche Vertreter. Deutsche Diplomaten in Paris, 1815-1870 (= Pariser Historische Studien; Bd. 109), Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2017, 349 S., 11 s/w-Abb., ISBN 978-3-11-051712-5, EUR 49,95
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Die im Jahr 2016 an der Universität Bielefeld vorgelegte Dissertation ist der Kulturgeschichte der Diplomatie verpflichtet. Rack fragt nach den Charakteristika von Diplomatie und nach der Rolle von Diplomaten im 19. Jahrhundert. Die 39 Mitglieder des Deutschen Bundes legten bekanntlich großen Wert auf eigene außenpolitische Beziehungen. Die Souveräne hatten daher auch ein Interesse an eigenen Repräsentanzen in der französischen Hauptstadt. Die große Anzahl der deutschen diplomatischen Vertretungen an der Seine führte jedoch zu der Frage nach der Notwendigkeit der Diplomaten. Diese sahen sich infolgedessen einem Legitimationsdruck ausgesetzt, der von verschiedenen Seiten auf ihre Existenzberechtigung und ihre Profession wirkte. Rack erläutert, dass Gesandte erstens ihrem Souverän und den Untertanen bzw. Bürgern ihres Entsendestaates und zweitens dem Souverän des akkreditierenden Staates und seiner Öffentlichkeit Rechenschaft schuldig waren sowie drittens auf die Anerkennung durch Regierungen von Drittstaaten angewiesen waren. Die Prozesse von Legitimitätssicherung und Legitimitätsverlust sind daher das zentrale Erkenntnisinteresse der Verfasserin, dem sie anhand der Analyse von Praktiken der deutschen Diplomaten und ihrer Familienangehörigen sowie der Gesandtschaftsmitarbeiter in Paris im Zeitraum zwischen Wiener Kongress und Deutsch-Französischem Krieg nachgeht. Paris eignet sich für die mikrogeschichtliche Perspektive, zum einen, weil die Gesandten in einem relativ kleinen Gebiet links und rechts der Seine in der Nähe der Ministerien residierten und zum anderen Frankreich im Untersuchungszeitraum mehrmals die Regierungs- und Staatsform wechselte. Die Umbrüche, die durch die Neuordnung Europas nach dem Wiener Kongress, die Revolutionen von 1830 und 1848 sowie die Einrichtung des Kaiserreichs und den deutsch-französischen Krieg hervorgerufen wurden, erforderten nach Racks Erkenntnis jeweils eine Legitimierung der diplomatischen Beziehungen durch Akkreditierung der Diplomaten vor Ort.
Obwohl die Möglichkeit einer eigenständigen Außenpolitik so begrenzt, wie die Unterhaltung der Vertretung kostspielig war, waren die deutschen Souveräne daran interessiert, in der französischen Hauptstadt jeweils eigene Gesandte zu unterhalten. Rack konzentriert ihre Untersuchung auf die Entsandten aus den beiden Großmächten Preußen und Österreich und aus dem größten der Mittelstaaten, Bayern, darüber hinaus nimmt sie die beiden Kleinstaaten Baden und Hessen-Darmstadt in den Blick, die jeweils spezifische Verbindungen zu Frankreich besaßen. Zudem untersucht sie die 'Provisiorische Zentralgewalt' des Deutschen Bundes, die 1848 mit dem Historiker Friedrich v. Raumer einen gesamtdeutschen Vertreter auf den wichtigen diplomatischen Posten entsandte. Die akteurzentrierte Untersuchung beruht sowohl auf dem amtlichen Schrifttum, das die Verfasserin archivwissenschaftlich-aktenkundlich allerdings nicht korrekt klassifiziert (22, 133), als auch auf privaten Schreiben und Aufzeichnungen wie Tagebüchern und Memoiren sowie auf normativem Schriftgut wie Parlamentsdebatten, Handbüchern und rechtlichen Abhandlungen und auch auf Zeitungsartikeln.
Rack hat ihre insgesamt gut geschriebene Studie um fünf Problemfelder angeordnet. Zentral ist zunächst ihre Analyse des Selbstbilds der Diplomaten im Spannungsfeld aus der Frühen Neuzeit überkommener Vorstellungen und nach dem Wiener Kongress neu formulierter Ansichten, die unter dem Titel "Widersprüche rechtfertigen" steht (33-78). Die Verfasserin arbeitet detailliert heraus, wie die Diplomaten ihre Position selbst rechtfertigten, und welche Auffassungen sie von ihren Aufgaben als Vertreter eines Souveräns besaßen. Sie nimmt nicht nur das diplomatische Corps in den Blick, sondern geht auch auf die Familienverbände der Diplomaten und deren Ehefrauen als 'ambassadrices' (68-76) ein. Im 19. Jahrhundert entstanden durch den Ausbau des Eisenbahn- und des Telegraphienetzes neue und schnellere Reise- und Kommunikationsmöglichkeiten, die ein direktes Eingreifen der Außenminister und Staatsoberhäupter in die außenpolitischen Beziehungen ermöglichten. Rack analysiert im zweiten Teil unter der Überschrift "Umstrittene Kompetenzbereiche", auf welche Weise die Diplomaten eine Beeinträchtigung ihres Wirkungskreises erfuhren (79-138). Zu weiteren Einschränkungen ihres Aufgabengebietes kam es durch die stärkere Ausdifferenzierung der außenpolitischen Aufgabengebiete, die ein umfassenderes Konsularwesen und die Etablierung von Militärattachés nach sich zog. Rack arbeitet differenziert die Auseinandersetzungen um Kompetenzen zwischen Diplomaten und weiteren außenpolitischen Akteuren heraus.
Die (Un-)Sichtbarkeit der Diplomaten vor Ort bildet das dritte Problemfeld. Mit "notwendiger Präsenz" betitelt Rack den Teil, in dem sie zum einen die Räumlichkeiten der Repräsentanzen beschreibt und zum anderen auf den Austausch mit anderen Diplomaten, mit eigenen Landsleuten und in den Gesellschaften wie Salons eingeht (139-182). Sie betont die besondere Bedeutung der persönlichen Verbindungen, die ein Diplomat knüpfen konnte, der mehrere Jahre oder sogar Jahrzehnte an die Seine entsandt war.
Welche politischen Gestaltungsmöglichkeiten Diplomaten besaßen, wird besonders deutlich bei der gegenseitigen Anerkennung der Regierungen. Das vierte Problemfeld betitelt Rack mit "Legitimität stiften" (183-250). Wie Diplomaten zur Legitimierung neuer Regierungen beitrugen, kann sie hervorragend anhand der mehrmaligen Regierungswechsel in Frankreich im Untersuchungszeitraum aufzeigen.
Mit "Auf dem Prüfstein" ist das fünfte Problemfeld überschrieben, in dem Rack anhand von Relevanz- und Existenzkrisen aufzeigt, um der Frage nach dem Nutzen diplomatischer Vertretungen nachzugehen (251-294). Sie analysiert, wann und wie die Legitimität der Diplomaten in Frage stand oder Rangverhältnisse neu geordnet werden mussten. Am Beispiels Badens und Hessen-Darmstadts geht sie der Frage nach, wie die Auflösung diplomatischer Vertretungen und die Übernahme der Aufgaben eines Diplomaten für mehrere Souveräne geregelt wurde. Die Verfasserin unterstreicht, dass das Beharren der Einzelstaaten auf dem Gesandtschaftsrecht als Zeichen der Souveränität von großer Bedeutung war und während der Zeit des Deutschen Bundes - bei allen Schwierigkeiten gerade für kleinere Staaten - auch blieb (292-294). Am Ende des Buchs listet die Verfasserin die Standorte auf, die zum Teil auch auf Stadtplänen von 1820 und 1862 eingezeichnet sind (142f.), und fügt eine Übersicht über das Personal der fünf Vertretungen bei (303-309).
Racks Dissertation zeichnet sich durch ein hohes Reflexionsniveau aus. Die Verfasserin bindet ihre Studie gut in den Forschungsstand ein, zu dem sie wesentliche Erkenntnisse beisteuert und auf diese Weise die Entwicklung der Diplomatie von 1815 bis 1871 erfassbar macht. Das "Eigenprofil" (295) der Diplomatie fasst Rack abschließend anhand von fünf Entwicklungen nachvollziehbar zusammen. Sie lotet detailliert die Handlungsspielräume der Diplomaten als 'personale Akteure' (Bastian, Dade, von Thiessen, Windler) [1], zwischen überkommenen Traditionen und nicht zuletzt technischen Neuerungen aus. Überzeugend kommt Rack zu dem Ergebnis, dass Diplomaten vor allem eines waren: unentbehrliche Vertreter ihres Souveräns.
Anmerkung:
[1] Corina Bastian / Eva K. Dade / Hillard von Thiessen / Christian Windler (Hgg.): Das Geschlecht der Diplomatie. Geschlechterrollen in den Außenbeziehungen vom Spätmittelalter bis zum 20. Jahrhundert (= Externa; 5), Köln / Weimar / Wien 2014.
Pauline Puppel