Rosemarie Aulinger (Bearb.): Der Reichstag zu Regensburg 1546 (= Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Karl V. Jüngere Reihe; Bd. 17), München: Oldenbourg 2005, 596 S., ISBN 978-3-486-57653-5, EUR 99,80
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Das Editionsunternehmen der deutschen Reichstagsakten hat bis heute mit Kritik zu kämpfen. Das Hauptmanko bestand längstens in der Isoliertheit der einzelnen Aktenbände. [1] Selten schloss die Edition eines Reichstags an einen früheren Band an, stets lagen unedierte Reichstage dazwischen. Die Reichstagsakten, so schien es, lösten keine Desiderate der Forschung ein, sondern schufen eher neue Lücken unseres Wissens über die Reichsgeschichte. Hingegen sind seit 1999 nicht weniger als neun weitere Editionen erschienen. Die Mehrzahl behandelt die Reichstage der 1540er Jahre - jenes Jahrzehnt, das neben den Zwanziger Jahren des sechzehnten Jahrhunderts die bei weitem höchste Tagungsfrequenz aufwies.
In der Zeit zwischen 1541 und 1550/51 fanden insgesamt neun Reichstage statt: Regensburg 1541, Speyer 1542, Nürnberg 1542, Nürnberg 1543, Speyer 1544, Worms 1545, Regensburg 1546, Augsburg 1547/48, Augsburg 1550/51. Sie bilden gleichsam die Achsenzeit der Herrschaft Karls V. im Reich. Nach den Feldzügen gegen Frankreich und seiner Kaiserkrönung war der Habsburger 1530 ins Reich zurückgekehrt, hatte jedoch auf dem Reichstag zu Augsburg das Auseinandergehen der Reichsstände in zwei konfessionelle Lager nicht zu verhindern vermocht. Sein jüngerer Bruder Ferdinand war trotz Widerständen zum römischen König und damit zum künftigen Nachfolger Karls gewählt worden. Dagegen hatte man das Reichsregiment, Ferdinands institutionelle Leitung der Regierungsgeschäfte in Karls Absenz, endgültig aufgegeben. Nach 1532 war für den Rest des Jahrzehnts kein Reichstag mehr zustande gekommen. Protestanten und Altgläubige hatten sich zu Schutz- und Trutzbünden formiert, von denen der Schmalkaldische Bund der protestantischen Reichsstände mehr Festigkeit bewies als die Allianzversuche der Katholischen.
Erst 1541 trat ein neuer Reichstag zusammen. Karl V. versuchte damals sowie auf den folgenden Reichstagen, die Protestanten zu einer Rückkehr zum alten Glauben zu bewegen. Dabei mochte der Kaiser den Protestanten lediglich befristete "Friedstände" gewähren, die ihnen keine prinzipielle Anerkennung durch das Reichsrecht verschafften. Endeten die Fristen dieser Friedstände oder wurde von Seiten der Protestanten dagegen verstoßen, konnten Acht und Bann jederzeit exekutiert werden. Es war daher nur konsequent, wenn Karl V. neben dem Dialog mit den Protestanten auch nach Verbündeten suchte, die eine solche Exekution unterstützen würden. Die Räte Karls V. schufen denn auch eine Konstellation, die es erlaubte, gegen den Schmalkaldischen Bund militärisch vorzugehen, als der Verhandlungsspielraum erschöpft schien: das katholische Herzogtum Bayern wie auch der protestantische Herzog Moritz von Sachsen schlossen Bündnisse mit dem Kaiser und mit König Ferdinand, die Kurpfalz sowie Kurbrandenburg blieben neutral. Kursachsen und Hessen, die Häupter des Schmalkaldischen Bundes, waren damit isoliert.
Währenddessen tagte in Regensburg noch einmal der Reichstag. Als er im Juli 1546 ohne Ergebnis auseinanderging, ließ man die Waffen sprechen. Bekanntermaßen gelang es der kaiserlichen Seite, in mehreren regional begrenzten Feldzügen im Herbst 1546 und Frühjahr 1547 Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen und Landgraf Philipp von Hessen samt ihren Verbündeten zu besiegen. Karl V. befand sich auf dem Höhepunkt seiner Macht im Reich, doch seine Position erwies sich als brüchig, wie spätestens der Fürstenaufstand von 1552 zeigte.
Diese wechselvolle Phase der Politik Karls V. ist inzwischen besser dokumentiert denn je, nicht zuletzt anhand der Herausgabe der Akten zu den Reichstagen jener Jahre. Mittlerweile ist auch der Regensburger Reichstag von 1546 ediert, der vom 5. Juni bis 24. Juli stattfand, unmittelbar vor Ausbruch des Schmalkaldischen Krieges. Rosemarie Aulinger (Wien) hat diese Akten bearbeitet und legt damit bereits ihre dritte Edition in dieser Reihe vor. In acht Kapiteln werden die Quellen sachlich gegliedert dargeboten: (1) Die Vorbereitung des Reichstages (Ausschreiben und Verschiebung des Reichstages, Berichte über das Eintreffen des Kaisers und seiner Kommissare, daneben Dokumente zur Versorgung der Teilnehmer in Regensburg); (2) Die Instruktionen der Reichsstände für ihre Gesandten, nach Ständegruppen geordnet; (3) Eine Auswahl von sechs Protokollen über Verhandlungsverlauf und Abstimmungen; (4) Die Eröffnung des Reichstages, die kaiserliche Proposition und die Antworten der Reichsstände; (5) Verhandlungen am Rande des Reichstages betreffend den bevorstehenden Krieg; (6) Supplikationen der Stände an Kaiser und Reichstag (in Auswahl, die übrigen Gesuche in Kurzform aufgelistet); (7) Eine Übersicht der Korrespondenzen, die wegen der Kürze des Reichstags nicht einzeln ediert sind; (8) Der - entsprechend knapp gefasste - Reichsabschied sowie zwei Listen der Teilnehmer des Reichstages, zuletzt auch Dokumente zur Verhängung der Reichsacht über die Häupter des Schmalkaldischen Bundes. Jedes Kapitel enthält einen Vorspann, der die Auswahl der Quellen erläutert und die nicht abgedruckten Dokumente benennt.
Die Einleitung behandelt auf den Seiten 38 bis 56 kurz die Geschehnisse im näheren Umfeld des Reichstages, darunter das Religionskolloquium von Regensburg (Februar/März 1546), das eine Vergleichsbasis für den Reichstag herstellen sollte; ferner die Bundespolitik der Schmalkaldener seit dem vorangegangenen Reichstag zu Worms sowie die Verwicklungen um das Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel, das Landgraf Philipp von Hessen in kaiserlichem Auftrag besetzt (sequestriert) hatte, um sich danach über das Mandat hinwegzusetzen; schließlich die Speyrer Geheimverhandlungen zwischen Karl V. und Landgraf Philipp (März 1546) über eine Verständigung angesichts des drohenden Krieges.
Das Register erlaubt die Erschließung über Personen- und Ortsnamen, die in wenigen Fällen auch nach Sachbetreffen gegliedert sind. Was man vermisst, ist eine weiterführende Bibliografie zur Reichspolitik jener Zeit. Im "Quellen- und Literaturverzeichnis" (21-32) wird neben den herangezogenen Archivalien nur dasjenige Schrifttum aufgeführt, das für den Reichstag 1546 sensu stricto einschlägig ist. Im Abschnitt "Quellen und Literatur" (36 f.) findet sich dann ein Referat der Überlieferungsgeschichte und des Forschungsstandes, das kaum ein eigenes Kapitel rechtfertigt.
Prima vista unterscheidet sich diese Edition kaum von den bisherigen Bänden der Reichstagsakten Jüngere Reihe, erst recht nicht, was die Aufbereitung der Quellen im Einzelnen betrifft, bei der die Bearbeiterin wie gewohnt hohe Präzision walten lässt. Der vorliegende Band zeichnet sich speziell dadurch aus, dass er den knappen Verhandlungsgang angemessen gewichtet, indem er den Absprachen im Vorfeld und v.a. abseits des Reichstages desto mehr Raum gewährt. So werden sämtliche Instruktionen der Reichsstände im Wortlaut ediert, selbst dann, wenn die Betreffenden dennoch nicht in Regensburg erschienen. Die Unterhandlungen der Schmalkaldener wie der kaiserlichen Räte über Bündnisse im Kriegsfall sind ebenso nachzulesen wie die Achterklärung gegen Kursachsen und Hessen, die Rechtfertigungsschreiben der beiden Fürsten und zuletzt ihr Absagebrief, die Aufkündigung des Gehorsams gegenüber Karl V. Es wird deutlich, wie sehr dieser Reichstag dazu benutzt worden ist, Zeit zu gewinnen und Fronten zu errichten, ihn also zu instrumentalisieren.
Bislang galt, dass eine Edition der Reichstagsakten die betreffende Reichsversammlung mehr oder weniger umfassend abbildete. Mittlerweile besteht aber auch die Möglichkeit, diese Editionen in Serie zu nutzen. Diachrone Fragestellungen lassen sich nun bearbeiten, ohne dafür allein auf die Archive verwiesen zu sein. So lässt sich etwa die politische Sprache der Versammlungen ebenso bündig untersuchen wie die dauerhaft strittige Rangordnung der Reichsstände. In den 1540er Jahren war das Problem, wer vor wem Sitz und Stimme erhielt, noch sehr virulent. Dieser Streit betraf im Wesentlichen die Mitglieder des Fürstenrats, während die Kurfürsten unter Rekurs auf die Goldene Bulle längst zu einer verbindlichen Rangfolge gefunden hatten. Den Fürsten fehlte eine derartige Rechtsquelle - ein struktureller Mangel, denn die Rangstreitigkeiten ließen den Fürstenrat selten zu einer einheitlichen Linie finden. Herzog Moritz von Sachsen, der wie seine Vorgänger mit Bayern und Pfälzern im Streit lag, bot 1546 zum wiederholten Male an, die Kontrahenten sollten entweder nach dem Vorbild der Kurfürsten sitzen und votieren, oder aber nach ihrem persönlichen Alter. Moritz, damals gerade 25, vertraute darauf, später einmal als Senior unter den Reichsfürsten den obersten Rang einzunehmen. [2] Eine Aussage, die nicht nur den Willen zur Ordnung verrät, sondern der Institution "Reichstag" eine sichere Zukunft unterstellte, trotz der damaligen Zerrissenheit des Reichs.
In dieser oder ähnlicher Weise geben die Reichstagsakten endlich Gelegenheit zur breiten fachlichen Diskussion. Sie bieten nicht länger nur Quellenvorräte, sondern auch Argumente für eine Theorie des politischen Systems im Alten Reich, um die weiterhin gerungen wird. [3]
Anmerkungen:
[1] So lagen etwa von den 52 Reichstagen zwischen 1486 und 1613 bis vor kurzem weniger als ein Drittel ediert vor. Über den Stand der Forschung siehe zuletzt die Beiträge in Maximilian Lanzinner / Arno Strohmeyer (Hgg.): Der Reichstag 1486-1613: Kommunikation - Wahrnehmung - Öffentlichkeiten (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 73), Göttingen 2006.
[2] RTA JR 17, Nr. 40a, 224.
[3] Zur gegenwärtigen Diskussion über Staatlichkeit und Nicht-Staatlichkeit des Reichs in der frühen Neuzeit siehe Matthias Schnettger (Hg.): Imperium Romanum - Irregulare Corpus - Teutscher Reichs-Staat. Das Alte Reich im Verständnis der Zeitgenossen und der Historiographie (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abt. Universalgeschichte, Beiheft 57), Mainz 2002.
Thomas Ott