Uta Barbara Ullrich: Der Kaiser im "giardino dell'Impero". Zur Rezeption Karls V. in italienischen Bildprogrammen des 16. Jahrhunderts (= humboldt-schriften zur kunst- und bildgeschichte; 3), Berlin: Gebr. Mann Verlag 2006, 318 S., 153 s/w-Abb., ISBN 978-3-7861-2529-7, EUR 68,00
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Dass der Habsburger Karl V. als Hauptverantwortlicher des Sacco di Roma, der schmachvollen Plünderung Roms durch kaiserliche Truppen im Jahr 1527, im schockierten Italien nicht Opfer einer unmittelbaren, gnadenlosen Feindpropaganda unter Ausnutzung sämtlicher Stereotype wurde, welche die dortigen humanistischen Gelehrten sonst bereitwillig über goti, alemanni und teutones zum Besten gaben, ist bereits verwunderlich und vorrangig einer schnellen Wendung der politischen Umstände geschuldet. Noch verwunderlicher ist nur mehr, welch singuläre Rolle die Darstellung seiner Person in der Folgezeit in den italienischen Bildprogrammen einnehmen sollte, zu denen nun Uta Barbara Ullrich mit ihrer bereits 2002 eingereichten Dissertation eine umfangreiche und beeindruckende Untersuchung vorgelegt hat.
Diese führt den Leser von den zumeist römischen Beispielen der Farnese (Cancelleria, die Palazzi Farnese in Rom und Caprarola, Palazzo Madama) und Caffarelli (Palazzo Caffarelli) zu den mediceischen Aufträgen (das Grabmal Clemens VII. in Santa Maria sopra Minerva, die Sala Grande und Sala di Clemente VII im Palazzo Vecchio, Villa Imperiale in Pesaro) und schließlich auf die venezianische Terraferma, wo sich die Verfasserin (neben dem veronesischen Palazzo Ridolfi und der Casa Fumanelli) mit dem Teatro Olimpico in Vicenza auch einem Objekt größten Bekanntheitsgrades zuwendet, bei dem der zentralen Rolle Karls V. im ikonographischen Programm bislang zu Unrecht kaum Beachtung geschenkt worden ist. Vor allem aber bei den Raumausstattungen bescheidenerer Prominenz zeigt sich die Durchdringung selbst privater Räume in teilweise provinzieller Lage mit der Ikonographie des Habsburgers: Dass die Arbeit hinsichtlich derart unterschiedlicher Bereiche und angesprochener Rezipientengruppen eine umsichtige Wortwahl und ein wohl überlegter Umgang mit eben solchen Begrifflichkeiten wie dem "Privaten" bzw. dem "Öffentlichen" auszeichnet, zeugt von einer begrüßenswert kritischen Reflexion ihrer methodischen Herangehensweise und ist Teil einer durchdachten Argumentation. Das Arsenal der dabei konsultierten Bildquellen setzt sich nicht nur aus den (vorrangig) freskierten Wandbildern zusammen, sondern schöpft zudem aus einer Vielzahl an druckgraphischen Blättern, Skizzen, Skulpturen und Bronzen. Daneben liegt stets ein Augenmerk auf den Beschreibungen ephemerer Dekorationen sowie den historiografischen und panegyrischen Schriften, sodass trotz des eindeutigen Fokus auf die Wandmalerei in den (teilweise zu ausführlicheren Exkursen erwachsenen) Randbemerkungen kaum ein Medium von Bedeutung für den Themenkomplex unberücksichtigt bleibt. [1]
Die Funktionalisierung des Bildes Karls V. in den untersuchten Beispielen erweist sich dabei als durchaus ambivalent: Seine Darstellung kann der Autoritätsvermittlung dienen, kann als modernes Exemplum virtutis - als Tugendheld, Defensor fidei, und sogar als Exemplum eines asketischen Eremitenlebens zwischen christlichen und heidnischen Einsiedlern - einen Platz im Bildprogramm einnehmen, doch auch um aufzuzeigen, dass ein anderer (nämlich Pius III.) die höchste Instanz auf Erden darstellt. Das Bewusstsein seiner außerordentlichen historischen Stellung erlaubte den Zeitgenossen des Habsburgers, diesen zwischen antiken Gottheiten und Caesaren einzureihen und im Bemessen von Machtverhältnissen in immer neuen Facetten auf sein autoritatives Gewicht zurückzugreifen: Gerne hätte man hier zum Vergleich und zur Einordnung noch eine etwas ausführlichere Gegenüberstellung mit der römischen Tradition der Kaiserdarstellungen seit dem Hochmittelalter oder mit der Eigenstilisierung seines Großvaters, Maximilian I. (knappe Verweise etwa 74, 105), betrachtet. Die Einbindung Karls V. in die Bildprogramme erfolgte aber niemals "als Selbstzweck" (271), vielmehr weist Ullrich die exzeptionelle Herausbildung eines mit verschiedensten - teilweise konträren - Intentionen einsetzbaren "Modelltyps" der Frühen Neuzeit nach. Dass darüber hinaus geschickt Forschungsdesiderate zu Überlegungen bezüglich Fragen der Zuschreibung und Datierung genutzt werden, ergänzt die Arbeit um durchweg stichhaltige und von sachlicher Solidität zeugende Punkte.
Inwieweit die Überlegungen zu den Einzelfällen aber vor der Folie der jeweils divergenten politischen Hintergründe Bestand haben können, muss, wie an einem Beispiel gezeigt werden soll, zumindest bezüglich des suggerierten Anspruchs eines generell gültigen Erklärungsmusters kritisch betrachtet werden: Dass die Heraushebung der Ikonographie Karls V. in der mediceischen Ausstattung des Palazzo Vecchio in Florenz auf dem Prinzip eines Akzentuierens einerseits und eines forcierten Übersehens andererseits beruht, ist zwar gängige Praxis der Argumentation des Historikers, wird aber in besonderer Weise eklatant, wenn die Sala di Clemente VII aus rein subjektiver Empfindung heraus zu einem zentralen Raum des Quartiere erklärt wird (wobei bei sechs Sälen des Quartiere nur mehr wenige minder wichtige Räume übrig bleiben, nachdem die Autorin (173) auch der Sala di Leone X wie der des Großherzogs Cosimo eine vergleichbar wichtige Rolle zuspricht). Zur Unterstützung kann sie nur anführen, dass der Saal später in zwei recht abgelegenen Quellen als Sammelbegriff für eine Gruppe von Räumen (wohl nicht aber der gesamten Raumfolge) genutzt wurde - und dies dann auch erst gute vier Jahrzehnte nach seiner Konzeption. Auf ihre Deutung der Darstellung Karls V. um die Mitte des Cinquecento in Florenz konzentriert, vernachlässigt Ullrich, obwohl auch sie die Legitimationsschwierigkeiten Cosimos I. und die an seinem Hof fast krampfhaft betriebene Suche nach Kontinuitäten erkennt, jedoch die Heterogenität der dabei eingeschlagenen Richtungen. Während Hofhistoriografen etwa die etruskischen Ahnen glorifizieren, stützt sich Cosimo I. ikonographisch auch auf die Autorität vergangener Regierungsformen. Die in jüngster Vergangenheit vor allem von Henk Th. van Veen in mehreren Beiträgen [2] untersuchte genuin republikanische Ikonographie unter dem Medici-Fürsten lehnt die Verfasserin allerdings in einer Fußnote (Anmerkung 131) ohne nähere Begründung ab. Sie betont hingegen die Inszenierung eines neuen Zeitalters und die Stigmatisierung des "Palazzo Vecchio als altes politisches Zentrum der Florentiner Republik" (171) und ignoriert damit nicht nur die bereits in Rudolf von Albertinis grundlegender (in Ullrichs Bibliografie jedoch vergeblich gesuchter) Untersuchung festgestellte Kontinuitätssuggestion zwischen Republik und Prinzipat [3], sondern widerspricht auch Vasari, der sich bekanntermaßen explizit auf die Kontinuitätswahrung über alle Zeiten hinweg bis in seine Gegenwart beruft, wenn er über den Bezug des Palazzo Vecchio als Sitz Cosimos I. sagt: "con questa forma vecchia, dato origine al suo governo nuovo."[4]
Davon unberührt bleibt die umfassende Herausstellung der visuellen Präsenz Karls V. in Dantes "giardino dell'Impero" in der vorliegenden Arbeit beeindruckend. Zwar ist angesichts der Materialreichtums eine Vollständigkeit weder von der Verfasserin intendiert, noch wohl jemals zu gewährleisten; mit der getroffenen Auswahl der Beispiele werden jedoch nicht nur für die Fragestellung repräsentative, sondern sicherlich auch die wichtigsten Werke erstmals ausführlich und im Zusammenhang untersucht. Sind zwar kleinere Fehler unvermeidlich (so ist etwa entgegen der Annahme der Verfasserin (Anmerkung 171) sehr wohl auch zur oben erwähnten Sala di Clemente VII mindestens eine vorbereitende Skizze bekannt [5]), ist dies angesichts der vor dem Auge des Lesers ausgebreiteten Fülle an Materialien und angegebenen Quellen aber keineswegs tragisch und tut der Qualität und Bedeutung der Untersuchung keinen Abbruch. Die Arbeit Ullrichs beseitigt nicht nur ein missliches Desiderat der Rezeptionsgeschichte und der politischen Ikonographie, sondern wird in ihrer Ausführlichkeit zukünftig auch bezüglich anderer Forschungsgebiete ein wichtiges und hilfreiches Werk bilden.
Anmerkungen:
[1] Vgl. als Ergänzung der Bibliografie auch Walter Cupperi: La riscoperta delle monete antiche come codice celebrativo. L'iconografia italiana dell'imperatore Carlo V d'Asburgo nelle medaglie di Alfonso Lombardi, Giovanni Bernardi, Giovanni da Cavino, "TP", Leone e Pompeo Leoni (1530-1558), con una nota su altre medaglie cesaree di Jacques Jonghelinck e Joachim Deschler, in: Saggi e memorie di storia dell'arte 26 (2002), 31-85.
[2] Zusammenfassend v. a. Henk Th. van Veen: Cosimo I de' Medici. Vorst en republikein. Een studie naar het heersersimago van de eerste groothertog van Toscane (1537-1574) (= Monografieën over Europese cultuur, deel 3), Amsterdam 1998.
[3] Rudolf von Albertini: Das florentinische Staatsbewußtsein im Übergang von der Republik zum Prinzipat, Bern 1955. Vgl. zum Aufgreifen und Modifizieren republikanischer Ikonographie zuletzt auch Matteo Burioni: Vasaris Uffizien. Transformation stadträumlicher Bezüge am Übergang von der Republik zum Prinzipat, in: Stefan Schweizer/Jörg Stabenow (Hrsg.): Bauen als Kunst und historische Praxis. Architektur und Stadtraum im Gespräch zwischen Kunstgeschichte und Geschichtswissenschaft (= Göttinger Gespräche zur Geschichtswissenschaft, Bd. 26), 2 Bde., Göttingen 2006, Bd. 1, 209-247.
[4] Gaetano Milanesi (Hrsg.): Le opere di Giorgio Vasari con nuove annotazioni e commenti di Gaetano Milanesi, 9 Bde., Florenz 1906 (unveränderter Nachdruck Florenz 1981), Bd. VIII, 14.
[5] Ausst.-Kat. Vasari's Florence. Artists and Literati at the Medicean Court, Yale University Art Gallery 1994, hrsg. von Lesley K. Baier, bearb. von Maia W. Gahtan and Philip J. Jacks, Yale 1994, Kat.-Nr. 36 mit älterer Literatur.
Fabian Jonietz