Susanne Meurer / Anna Schreurs-Morét / Lucia Simonato (Hgg.): Die Künstler der Teutschen Academie von Joachim von Sandrart. Aus aller Herren Länder (= Théorie de l'art / Art Theory (1400-1800)), Turnhout: Brepols 2015, 456 S., 200 s/w-Abb., ISBN 978-2-503-55321-4, EUR 150,00
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Die Originalität des vorliegenden, bereits 2015 erschienenen Sammelbandes liegt paradoxerweise in der völlig naheliegenden und geradezu konservativen Struktur. Während gebündelte Forschungen zu einem historiografisch-kunsttheoretischen Werk, wie es Sandrarts Teutsche Academie darstellt, heute meistens nach übergeordneten Themenbereichen, Schlüsselbegriffen oder Konzepten gegliedert sind, folgt die zu besprechende Publikation einfach der Kapitelfolge ihres Gegenstandes: Sektion für Sektion geleiten sechs "Vorreden" und 32 Aufsätze zu ausgewählten Künstlern oder Gruppierungen den Leser auf quasi linearem Weg zunächst durch die Academie und die ursprünglich separat publizierte Autorenbiografie, anschließend durch die Fortsetzung der Academia nobilissimae artis pictoriae und zuletzt auch durch die von Sandrart geplanten, aber nie im Druck erschienenen Biografien.
Aus dieser Herangehensweise über ausgewählte, autonom besprochene Viten folgt zugleich, was die Publikation nur bedingt leisten kann und darstellen möchte, nämlich eine Sammlung konzentrierter Auseinandersetzungen mit literarischen Motiven und bestimmten Topoi, die dem Leser Sandrarts an verschiedenen Stellen begegnen, oder eine begriffshistorische Annäherung an den Text und seine Sprache. Dies als Kritik zu verstehen wäre falsch, denn tatsächlich eröffnet der Band einen bisher wenig zugänglichen Weg auf seinen Gegenstand. Die gezielte Einbeziehung von Experten zu den von Sandrart behandelten Künstlern erlaubt darüber hinaus auch eine veränderte Perspektive "von außen", die das Buch von anderen Sandrart-Forschungen unterscheidet. Seit dem 2006 begangenen Jubiläum seiner Geburt sind allein fünf Monografien und Sammelbände von Michèle-Caroline Heck, Michael Thimann, Sybille Ebert-Schifferer, Cecilia Mazzetti di Pietralata und Esther Meier erschienen (um von zahlreichen kürzeren Beiträgen zu schweigen), welche die vielen Facetten der künstlerischen und literarischen Produktion des "Edlen Kunst-Adlers" wiederaufzuarbeiten begonnen haben. Die neue Publikation, die im Kern auf eine 2010 in Frankfurt am Main veranstaltete Tagung zurückgeht, stellt diesbezüglich eine überfällige und wichtige Ergänzung dar. Ihre Qualität liegt nicht zuletzt auch darin begründet, dass hier gleichzeitig Ergebnisse reflektiert werden, die Forschergruppen unter der Leitung von Anna Schreurs-Morét im Zusammenhang mit zwei Ausstellungsprojekten und insbesondere im Rahmen der digitalen Edition http://www.sandrart.net erarbeitet haben - einer schon jetzt unverzichtbaren Grundlage jeglicher Auseinandersetzung mit dem Text. [1]
Der gedruckte Softcover-Band von mehr als 450 zweispaltig bedruckten Seiten, in dem gezielte Recherchen nur durch ein Personenregister erleichtert werden, wählt dagegen einen anderen Zugang, oder vielmehr: Zugänge. Die Beiträge unterscheiden sich nämlich nicht nur durch ihre Sprache (Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch) und die Länge (von zweieinhalb bis rund 20 Seiten Fließtext). Sie divergieren auch im jeweiligen Interessensschwerpunkt und methodologischen Zugriff, wodurch deutlich wird, dass der Band wesentlich abwechslungsreicher ist, als der erste Blick vermuten lässt. Manche Aufsätze stellen die Biografie eines Malers oder eine einzige Anekdote ins Zentrum, andere die Beziehung einer Vita zu Sandrarts Quellen, wieder andere gehen stärker auf seine Beurteilung bestimmter Bildwerke ein. Dementsprechend sind manche Beiträge dichter (etwa zu Testa und Holbein) und andere weniger; einige - wie Friederike Wappenschmidts Ausführungen zum "indianischen" Maler Higiemond oder Susanne Meurers Beitrag zu Grünewald - stellen wertvolle neue Deutungen vor, deren allgemeine Relevanz weit über die Sandrart-Forschung hinausgeht. Andere Beispiele dagegen, so ein Beitrag zur Konstruktion des Dürer-Bildes und ein Aufsatz zu Guido Renis Druckgrafik, sind zwar interessant, jedoch im vorliegenden Band eher fehl am Platz, da Sandrarts Kommentare hier nur als Aufhänger dienen. Die wichtigsten allgemeinen Aussagen zu den verbindenden Strukturen des Gesamtwerks - doch auch zu Abhängigkeiten Sandrarts zu früheren Schriften - finden sich in den sechs "Vorreden" der Herausgeber, aber auch z.B. in den Aufsätzen von Andreas Thielemann und Charles Hope. An anderen Stellen werden allgemeine Informationen und Fakten zur Academie oder zum Leben des Autors vielleicht überflüssigerweise mehrfach wiederholt, und auch in weiteren Punkten hätte man die Aufsätze noch etwas besser verzahnen können. So werden Einzelfragen - etwa die, ob Sandrart Giulio Mancinis handschriftlich vorliegenden Considerazioni gekannt hat - von den Autoren recht unterschiedlich dargestellt (97, 106, 211).
Die heterogenen Beiträge zeigen auch auf, auf welch unterschiedlichen Wegen man mit historischen Quellentexten umgehen kann. Innerhalb des Bandes analysiert wohl Martin Disselkamp am konzisesten die rhetorischen Mittel und literarischen Traditionen einer biografischen Stilisierung, dies am Beispiel der Lebensbeschreibung Sandrarts, deren Autorschaft nach wie vor strittig ist. Dass der philologische Umgang mit Sandrarts Text in der Publikation nicht immer völlig unproblematisch ist, klingt schon in der Entscheidung der Herausgeber an, die originalen Hervorhebungen im Schriftbild (durch Verwendung der Antiqua statt Fraktur) gemeinhin zu ignorieren und die Virgel - damit die Rhythmisierung der Sätze - zu eliminieren: Dies überrascht, da die digitale Edition derartige Textmerkmale vorbildhaft bewahrt. Wer mit den Gepflogenheiten und Finessen der deutschen Sprache des 17. Jahrhunderts vertraut ist oder stichprobenartig Zitate überprüft, stolpert bei der Lektüre außerdem darüber, dass Sandrart bspw. statt von Caravaggios "Sauberkeit" von der "Sauberheit" spricht (107), dass sich "Parnaß und Helicon aller Tugend" eigentlich "Parnass oder Helicon aller Tugenden" liest (129), oder dass die Sonne nicht "die schlummernde Freundin Pictura", sondern "Freulin Pictura" aufweckt (316) - viele weitere Beispiele solcher semantischer Differenzen könnten ergänzt werden. Die kunsthistorische Geringschätzung des Prinzips philologischer Quellentreue kulminiert aber wohl im eigensinnigen Widerwillen Horst Bredekamps gegen den "altdeutschen Klang" des Buchtitels (343), was ihn dazu bringt, sich fortan unter der Bezeichnung "Deutsche Akademie" auf Sandrarts Schrift zu beziehen. Ein derartiger ideologischer Alleingang ist glücklicherweise die Ausnahme, denn grundsätzlich stellt der Sammelband, in dem die substantiellste Ergänzung des bisherigen Wissens um Sandrarts Text bezeichnenderweise vom Germanisten Hartmut Laufhütte beigesteuert wird, ein sehr gelungenes Beispiel einer gelebten Interdisziplinarität, des Erfolgs einer internationalen Kollaboration und des gegenseitigen Respekts voneinander abhängiger Wissenschaftszweige dar: Eine Publikation, die aufgrund des - offen gesprochen - völlig unverschämten Preises zwar wohl nur von Bibliotheken erworben werden wird, die aber für ihre Leser einen wertvollen Schlüssel und Zugang bildet, um sich im manchmal labyrinthischen Monument der auf http://www.sandrart.net frei konsultierbaren Teutschen Academie zu orientieren und dort zu weiteren Erkenntnissen zu gelangen.
Anmerkung:
[1] Anna Schreurs (Hg.): Ein europäischer Künstler aus Frankfurt. Joachim von Sandrart (1606-1688), Ausst. Frankfurt am Main, Holzhausenschlösschen, 12. Mai - 2. Juli 2006, Frankfurt am Main 2006; dies. u.a. (Hgg.): Unter Minervas Schutz. Bildung durch Kunst in Joachim von Sandrarts Teutscher Academie, Ausst. Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, 2. September 2012 - 24. Februar 2013, Wiesbaden 2012.
Fabian Jonietz