Thomas Koebner / Thomas Meder (Hgg.): Bildtheorie und Film, München: Edition Text + Kritik 2006, 626 S., ISBN 978-3-88377-802-0, EUR 39,80
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Die oft beschworene Formel vom iconic turn kann nicht verschleiern, dass ein intensivierter Austausch der mit Bildern und Bildlichkeit befassten Disziplinen nach wie vor dringend notwendig erscheint. Besonders zwischen Kunstgeschichte und Filmwissenschaft ist es bislang nur zu vereinzelten Annäherungen gekommen. Thomas Koebner und Thomas Meder stellen dies in ihrer Einleitung zu "Bildtheorie und Film", das auf eine 2005 veranstaltete Tagung zurückgeht, heraus. Sie legen ein Buch vor, in dem eine Vielzahl filmwissenschaftlicher, kunsthistorischer und philosophischer Positionen vertreten ist.
Der Band gliedert sich in sechs Abschnitte, die mehr oder weniger eng gefasste konzeptuelle und inhaltliche Schwerpunkte angeben. Die Abschnitte sind nicht mit Überschriften versehen, wohl auch um der Vielfalt der Ansätze und den zahlreichen thematischen Überschneidungen gerecht zu werden. Die offene Gliederung verweist auf eine Stärke des Buches, die in der großen Bandbreite verschiedener Herangehensweisen liegt, und zugleich auf die grundlegende Schwierigkeit, dass nur vereinzelt Ansätze zu einer weiter reichenden, systematischen Auseinandersetzung mit bildtheoretischen Fragen aufscheinen.
Im Vordergrund stehen detaillierte Analysen filmischer Gestaltungsmittel: die lange Einstellung (Thomas Rothschild), die Leerstelle (Fabienne Liptay), die Großaufnahme (Claudia Schmölders), Gesten (Susanne Marschall), Farbgebung (Christine N. Brinckmann), Kamerafahrten (Annette Deeken), Schärfenverlagerung (Tereza Smid) oder Steadicam-Einstellungen (Mirko Schernickau). Karl Prümm liefert gleich am Anfang mit seinem Plädoyer für einen Perspektivenwechsel von der Mise en scène zur Mise en image so etwas wie eine programmatische Begründung für diese Vorgehensweise. Für Prümm ist es die intensivierte Analyse und Reflexion der Arbeit der Kamera, welche die jenseits der Narration angelegten materiellen und technologischen Aspekte filmischer Bildlichkeit stärker in den Blick rücken könne. Damit werde es möglich, einen genuin bildwissenschaftlichen Zugang zum Medium zu eröffnen, der bildhistorische Traditionen, die über den Film hinausreichen, ebenso wie neue Deutungsansätze erschließt. Fabienne Liptay vergleicht in ihrer überzeugenden Studie Leerstellen im Film und in der Malerei und zeigt deren medienspezifischen Implikationen für räumliche und zeitliche Strukturen auf. Liptays Untersuchung geht insofern über die Analyse eines gesonderten gestalterischen Elements hinaus, als sie das von Ingarden und Iser entwickelte literaturtheoretische Konzept der Leerstelle in seiner Anwendbarkeit auf Bildphänomene begrifflich klärt. Gewissermaßen komplementär zur Leerstelle heben Wolfgang Beilenhoff und Christoph Hesse in ihrem Aufsatz die affektgenerierende Wirkung des ästhetischen Objekts hervor, das eine zentrale Rolle im komplexen Wechselspiel von Eisensteins theoretischen Konzeptionen und der filmischen Darstellung einnimmt.
Eine im Band sonst nur schwach besetzte Position vertritt Jörg Schweinitz, der am Beispiel des hypnotisierenden Blicks untersucht, wie sich "visuelle Stereotype" ausbilden und wie diese mit narrativen Stereotypen zusammenwirken. Differenziert zeichnet Schweinitz nach, wie die um 1900 zu einem "haltbaren Mythos der Moderne" entwickelten kulturellen Diskurse zur Hypnose und konventionalisierte filmische Formen ineinander greifen. Schweinitz zeigt, dass die "theoretische Vorstellung von der Befreiung vom konventionellen Bild stets nur als graduell realisierbare Herausforderung denkbar" ist (425). Damit setzt er sich zumindest teilweise auch von der immer wieder vorgebrachten Forderung ab, den konkreten Einzelfall nicht zu generalisieren - so verweist Thomas Koebner auf die "Verzweigungen und Abweichungen", die einer übergreifenden Theoretisierung entgegen stehen, und Thomas Meder konstatiert, Bilder handelten nie von einem "historischen Substrat", sondern ließen sich allein "intersubjektiv" in der formalen Beschreibung erfassen (89). Hermann Kappelhoff stellt den Wandlungsprozess des Bildraums gegenüber "symbolischen Deutungen" heraus (414) und Kay Kirchmann fordert die "Bildtheorie des Films in die Formen der filmischen Bildproduktion" zurückzuverweisen (497). Alle aufgeführten Autoren fordern letztlich, die Vielfalt filmischer Bildkonstellationen rein deskriptiv zu erfassen, ohne daraus weiter reichende theoretische oder historische Schlüsse zu ziehen.
Die Problematik eines solchen Vorgehens zeigt sich darüber hinaus deutlich in einer argumentativen Inkonsistenz der Einleitung: Einerseits stellen Koebner und Meder heraus, dass gerade nicht die zufälligen Aspekte des Filmbildes, sondern seine Deutungsleistungen in den Blick genommen werden sollen - Interpretationen setzen allerdings immer auch einen mehr oder weniger konventionalisierten Rahmen voraus. Andererseits machen sie sich stark für Theorien mit "bescheidener Reichweite" (12). Dieser Anspruch beruht jedoch in letzter Konsequenz selbst auf einer sehr weit reichenden, impliziten Annahme. Zugespitzt formuliert: Da jeder Film eine kontingente Anordnung visueller Daten liefert, muss jegliche übergreifende Theoretisierung scheitern. Die verallgemeinerte Kontingenzvermutung kann nun in der "dichten Beschreibung" konkreter Phänomene als solche nicht mehr reflektiert werden.
Als David Bordwell und Noël Carroll sich 1996 für Theorien geringerer Reichweite einsetzten, sahen sie darin lediglich ein heuristisches Mittel, um gegen den übergreifenden Erklärungsanspruch psychosemiotischer Filmtheorien zu argumentieren, die seit den 1970er-Jahren das Feld beherrschten. Bordwell und Carroll waren jedoch weit davon entfernt, eine systematische Auseinandersetzung mit weiteren filmtheoretischen oder -historischen Konzepten abzulehnen. [1] Genau diese Auseinandersetzung kommt jedoch in "Bildtheorie und Film" oft zu kurz. Gerade die englischsprachige Forschungsliteratur wird von wenigen Ausnahmen abgesehen kaum zur Kenntnis genommen, das gilt für ältere Ansätze aber auch und in besonderem Maß für neuere Arbeiten. Wenngleich sich einige Schwerpunkte abzeichnen - Deleuze's Kinotheorie bildet ebenso wie Hans Beltings Bildanthropologie einen wichtigen Bezugspunkt, der Einfluss der Semiotik ist noch spürbar, und Walter Benjamin und Bela Balázs werden immer wieder herangezogen -, so beeinträchtigt dieser Mangel die notwendige Verständigung über Forschungsprobleme und Begrifflichkeiten. Vorstöße in diese Richtung sind durchaus vorhanden, etwa wenn Horst Bredekamp wissenschaftsgeschichtlich den Einfluss des Kinos auf Panofskys kunsthistorische Methoden darlegt oder Klaus Sachs-Hombach eine "übergeordnete Konzeption, mit der die relevanten Disziplinen systematisch aufeinander bezogen werden können", vorschlägt. Dass Kontingenz nicht Endpunkt sein muss, sondern zu fruchtbaren Reflexionen anregen kann, zeigt Thomas Elsaessers profunder Aufsatz zur Großaufnahme bei Fritz Lang und Alfred Hitchcock. Die epistemologische Skepsis, die Elsaesser im Werk der beiden Regisseure feststellt, weist auf Diskurse von Kontingenz und (ästhetischer/kultureller) Notwendigkeit, die tatsächlich einen neuen Blick auf Bildlichkeit und Ästhetik des Films versprechen. [2]
Die Auseinandersetzung mit dem Formenbestand filmischer Bilder, die in "Bildtheorie und Film" vorherrscht, ist ein wichtiger Schritt hin zu einem medienübergreifenden bildwissenschaftlichen Diskurs. Dieser Schritt wird allerdings oftmals dadurch wieder zurückgenommen, dass die Untersuchungen nicht über konkrete Beobachtungen hinausgehen und den historischen Kontext zu wenig berücksichtigen. Dennoch zeigen sich in einigen richtungweisenden Aufsätzen Perspektiven für einen Zugang, der nicht auf vereinfachende Generalisierungen und ahistorische Erklärungsmodelle zurückgreift, sich aber auch nicht in ebenso problematischen Einzelanalysen konkreter Phänomene erschöpft.
Anmerkungen:
[1] David Bordwell: Contemporary Film Studies and the Vicissitudes of Grand Theory, in: Post-Theory: Reconstructing Film Studies, hrsg. von David Bordwell und Noël Carroll, Madison (WI)/London 1996, 3-36, hier 27ff.; Noël Carroll: Prospects for Film Theory: A Personal Assessment, in: Bordwell/Carroll (Hg.) 1996, 37-68, hier 58f.
[2] Zum Begriff der Kontingenz vgl. Mary Ann Doane: The Emergence of Cinematic Time: Modernity, Contingency, the Archive, Cambridge (MA) 2002.
Henning Engelke