Martina Fuchs / Térez Oborni / Gábor Ujváry (Hgg.): Kaiser Ferdinand I. Ein mitteleuropäischer Herrscher (= Geschichte in der Epoche Karls V.; Bd. 5), Münster: Aschendorff 2004, 367 S., ISBN 978-3-402-06575-4, EUR 49,00
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Der vorliegende Sammelband präsentiert die Ergebnisse eines Kolloquiums österreichischer, ungarischer und tschechischer Historikerinnen und Historiker, das aus Anlass des 500. Geburtstages Kaiser Ferdinands I. am 17. und 18. Oktober 2003 in Budapest stattfand. Die Beiträge konzentrieren sich in der Hauptsache auf Aspekte der Regierungsführung und Politik Ferdinands I. in Ungarn und Böhmen.
Die institutionellen Voraussetzungen für die erforderliche politische Koordination in der "zusammengesetzten Monarchie" schuf Ferdinand mit einer Reihe administrativer Reformen, die zwar in der Einrichtung der Hofkammer, des Geheimen Rates, später des Hofkriegsrates und anfänglich auch des Hofrates deutlich zentralisierende Tendenzen erkennen lassen, die Eigenständigkeit der beiden Königreiche aber nicht über Gebühr beeinträchtigten (P. Rauscher). In der Argumentation J. Páneks stellt sich allerdings das Interesse, Böhmen von oben her in das Herrschaftssystem Ferdinands administrativ sowie verfassungs- und religionspolitisch zu integrieren, als Teil einer grundsätzlich angelegten monarchischen Strategie dar, deren Alternative in der Confoederatio Bohemica von 1619 konzipiert wurde. Diese pointierte These berücksichtigt freilich nicht den differenzierenden Befund, dass der böhmische Adel in der Regierungszeit Ferdinands am Wiener Hof kaum präsent bzw. integriert war (V. Bůžek).
Gleiches gilt für die ungarischen Magnaten (G. Pálffy), deren Schaukelpolitik zwischen János Szapolyai und seinem habsburgischen Konkurrenten J. Bessenyei eingehend untersucht. Dagegen gewann die Residenzstadt Wien nach dem Fall Budas (1541) und Stuhlweißenburgs (1543) im Zwischenhandel von und nach Ungarn zentrale Bedeutung (L. Gecsényi). Im Übrigen boten die komplexen Verhältnisse des Königreiches der Politik Ferdinands kaum Raum zu durchgreifender Gestaltung. Die Reform der Finanzverwaltung durch Einrichtung der ungarischen Kammer war nur partiell erfolgreich, wenn auch das Problem, das sich aus den hohen finanziellen Verpflichtungen gegenüber der Königinwitwe Maria ergab, schließlich eine vertragliche Lösung fand und die königlichen Einnahmen durch eine zielstrebige Finanzpolitik - zumindest zeitweise - auf eine beachtliche Höhe gebracht werden konnten (I. Kenyeres).
Und der allmählichen Ausbreitung und Verwurzelung des Luthertums, dann auch des zunächst bekämpften Kalvinismus konnte die königliche Regierung nichts Nennenswertes entgegensetzen, solange in der Bevölkerung ein klares konfessionelles Bewusstsein fehlte, der Adel aus religiöser Überzeugung die reformatorischen Prediger protegierte, auch in erheblichem Umfang Kirchengut usurpierte und der Episkopat vorwiegend in weltlichen Ämtern des königlichen Dienstes gebunden blieb und zur innerkirchlichen Erneuerung nicht imstande war (I. G. Tóth). Als Ausnahme erweist sich der Erzbischof von Gran, Miklós Oláh, der zwischen 1553 und 1568 zum großen Teil unabhängig von den Trienter Beschlüssen und noch vor der dritten Konzilssession im kirchlichen Bildungswesen neue Maßstäbe setzte, den Stiftsklerus zu sittlich einwandfreier Lebensführung anhielt, den Pfarrklerus zu verantwortungsbewusster Seelsorge anleitete, Synoden und Visitationen durchführte und ein Diözesanseminar gründete (I. Fazekas).
All dies war freilich nur ein Vorspiel für die durchgreifende Durchsetzung der katholischen Reform und der Rekatholisierung nach der Jahrhundertwende. Neben den genannten Aspekten der ungarischen Entwicklung in der Regierungszeit Ferdinands gilt das Interesse mehrerer Autoren Problemen, die sich aus der Konfrontation mit der türkischen Expansion ergaben. Beachtung finden dabei nicht zuletzt solche Sachverhalte, die den Handlungsraum Ferdinands einengten bzw. belasteten. Dazu zählen nicht nur die Schwierigkeiten, die die habsburgische Diplomatie im Umgang mit der türkischen Führung in Konstantinopel zu bewältigen hatte (E. D. Petritsch; M. Köhbach, P. Sutter Fichtner), sondern auch die Neigung Karls V., der Türkenabwehr im Mittelmeerraum Priorität einzuräumen und die Kriegführung in Ungarn im Wesentlichen seinem Bruder zu überlassen (A. Kohler), eine Strategie, die sich aus der permanenten Überforderung der kaiserlichen Ressourcen plausibel erklärt.
Hinzu kommt die pure Existenz türkischer Truppen in Ungarn, die die 1557-1562 militärisch und diplomatisch angestrebte Restitution der Herrschaft Ferdinands in Siebenbürgen illusorisch werden ließ und zur Beschränkung auf eine rein defensive Position zwang (T. Oborni). Andernorts, etwa in Kroatien, öffneten sich im Zuge der unter Mitwirkung der innerösterreichischen Stände betriebenen Verteidigungsmaßnahmen und der Ansiedlung von Flüchtlingen (Wlachen, Uskoken), von denen viele in den Militärdienst übernommen wurden, der königlichen Regierung auf Kosten des einheimischen Adels und seiner Amtsträger neue Handlungsräume und Einflussmöglichkeiten (S. Varga).
Im Gesamturteil wird man der von P. Sutter Fichtner vertretenen These beipflichten können, dass das Haupthindernis für einen tragfähigen Frieden in Ungarn, also für die Lösung des Hauptproblems der Ungarnpolitik Ferdinands, in der aus der divergenten religiösen Bindung und Motivation resultierenden kulturellen Kluft zwischen Wien und Konstantinopel lag. Daneben erscheinen die Überlegungen G. Ágostons weniger hilfreich, weil sie nicht präzise genug zwischen religiös verbürgtem Legitimationsmuster, Selbstdarstellung bzw. Selbstverständnis und realpolitischem Handlungsraum bzw. konkret politischer Zielsetzung differenzieren und die konzeptionelle Spannung im habsburgischen Politikverständnis nur andeuten. Die Kontrastierung der sich wechselseitig ausschließenden universalistischen Entwürfe des Sultans und Karls V. leuchtet dagegen durchaus ein und ergänzt die Ausführungen anderer Beiträge über die Türkenpolitik Ferdinands sinnvoll.
Ob Ferdinand "als einer der bedeutendsten Könige Ungarns" (1) zu gelten hat, muss sich in der weiteren Beschäftigung mit seiner Politik zeigen. Das Verdienst des Sammelbandes, Ergebnisse der ungarischen und tschechischen Forschung im deutschsprachigen Raum zugänglich gemacht zu haben, bleibt jedenfalls unbestritten.
Albrecht P. Luttenberger