Rezension über:

Evelyn Edson / Emilie Savage-Smith / Anna-Dorothee von den Brincken: Der mittelalterliche Kosmos. Karten der christlichen und islamischen Welt, Darmstadt: Primus Verlag 2005, 128 S., ISBN 978-3-89678-271-7, EUR 29,90
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Rezension von:
Peter Meurer
Heinsberg
Redaktionelle Betreuung:
Harald Winkel
Empfohlene Zitierweise:
Peter Meurer: Rezension von: Evelyn Edson / Emilie Savage-Smith / Anna-Dorothee von den Brincken: Der mittelalterliche Kosmos. Karten der christlichen und islamischen Welt, Darmstadt: Primus Verlag 2005, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 7/8 [15.07.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/07/10594.html


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Evelyn Edson / Emilie Savage-Smith / Anna-Dorothee von den Brincken: Der mittelalterliche Kosmos

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Laut dem Titelblatt behandeln in diesem Buch drei namhafte Autorinnen einen großen und in Teilen recht sperrigen Bereich der Wissenschaftsgeschichte. Thema ist die Entwicklung der kartographischen Darstellung der Welt und ihrer Teile von der Antike bis an die Schwelle der Neuzeit, in vergleichender Gegenüberstellung des abendländischen und islamischen Kulturkreises.

Eine Einführung (7-18) beschreibt das aus der Antike tradierte Sphärenmodell des Kosmos als Grundlage, seine religiös bedingten späteren Abwandlungen und deren praktische Bedeutung für die Berechung von Ostertermin, Beginn des Ramadan und Gebetsrichtung nach Mekka.

Das erste Hauptkapitel "Das Erbe der Antike" (19-52) beginnt mit Entstehung des Weltbildes als Synthese von Philosophie und Astronomie in der griechischen Antike. Es folgen Abschnitte zur christlichen Kosmologie des Frühmittelalters, zur frühen Astronomie und Navigation im Islam und zur "europäischen Renaissance des 12. Jahrhunderts." Danach werden die verschiedenen Gattungen der antiken Karten von den TO-Schemakarten bis zur Straßenkarte (der Tabula Peutingeriana) vorgestellt.

Das zweite Hauptkapitel "Das Bild der Welt im christlichen Okzident" (53-88) knüpft hier an. Beschrieben werden die unterschiedlichen Typen der zumeist in Handschriften enthaltenen kleinformatigen und schematischen Weltkarten des europäischen Mittelalters. Als Beispiel für eine Großkarte wird die Ebstorfer Weltkarte betrachtet. Es folgen Abschnitte über frühe Portulankarten, erste Weltkarten nach Ptolemäus und Regionalkarten mit Beispielen zu Palästina, dem Mittelmeerraum und den Britischen Inseln.

Das parallele dritte Hauptkapitel "Das Bild der Welt im islamischen Orient" (89-114) beginnt mit der Rezeption der ptolemäischen Geographie im Islam. Es folgen wieder Abschnitte über die unterschiedlichen Typen der islamischen Weltkarten sowie über Regional-, Stadt-, See- und Flusskarten.

In einem kurzen Abschlusskapitel "Die Erweiterung des Horizonts" (115-122) wird versucht, eine gegenseitige Beziehung zwischen Kreuzzügen, Handels- und Fernreisen und einem veränderten Welt- und Kartenbild etwa ab der Jahrtausendwende herzustellen. Ein Anhang umfasst die Anmerkungen zu gebrachten wörtlichen Zitaten, ein Literaturverzeichnis und einen Sach- und Personenindex. Herauszustellen ist eine überreiche, durchgehend farbige Illustrierung in guter drucktechnischer Qualität. Hilfreich ist, dass zu einigen Abbildungen von Originalkarten Lesehilfen beigefügt sind, in denen der Inhalt in Umzeichnung skizziert und die Beschriftungen transkribiert sind.

Die Originalausgabe ist erschienen im Rahmen des populärwissenschaften Publikationsprogramms der Bodleian Library in Oxford. Für die deutsche Ausgabe hat der Verlag den großen Namen der deutschen Altmeisterin Anna-Dorothee von den Brincken mit an Bord geholt. Ihr Anteil ist allerdings nur erkennbar aus der Nennung von 20 Seiten im Copyrightvermerk. Diese finden sich zumeist im zweiten Kapitel und zählen zu den besseren Passagen des Textes.

Ansonsten ist das Buch zumindest für den halbwegs sachkundigen Leser über weite Strecken ein Ärgernis. Sicherlich lernt man auch hier - wie bei den meisten Büchern - das Eine oder Andere hinzu, und man lernt auch nichts Falsches. Das große Malum aber sind die gravierenden Lücken, die selbst in einer komprimierten Darstellung nicht akzeptabel sind. Eine Geschichte der antiken Kartographie kann man nicht schreiben ohne Erwähnung erhaltener Stücke wie des Codex Agrimensorum, des Atlas Farnese oder des Papyrusfragmentes einer Iberien-Karte nach Artemidor. Zum europäischen Mittelalter fehlen Dinge wie der Geograph von Ravenna, die karolingische Renaissance mit dem Geographen Dicuil und der Katalanische Atlas von etwa 1375. Bei der als Abb. 38 gezeigten TO-Schemakarte aus der Isidorus-Ausgabe Augsburg 1472 hätte der Hinweis gepasst, dass es sich immerhin um den ältesten bekannten europäischen Landkartendruck handelt. Das maßgebliche Referenzwerk von Tony Campbell (1987) über die Inkunabelkarten scheint im Literaturverzeichnis nicht auf. [1] In den Schlussabschnitt hätten die beiden großen Kartendenkmäler dieser Übergangszeit, die Weltkarten von Andreas Walsperger (1448) und Fra Mauro (1459), unabdingbar hinein gehört.

Dem Ganzen nicht förderlich ist auch die sprachlich wie räumlich stark anglozentrierte Ausrichtung der Originalausgabe. Über die altnordische Kosmographie, die von Rudolf Simek (1990) umfassend aufgearbeitet worden ist, findet sich nichts. Völlig übergangen werden auch die autochthonen deutschen Kartenarbeiten des 15. Jahrhunderts, die Dana Bennett Durand (1952) - in Englisch - beschrieben hat. Dem gesamten Buch hätte das neue Standardwerk von Fuad Sezgin (2000) über die islamische Kartographie und ihr Fortleben im Abendland gut getan. Das Werk ist im Literaturverzeichnis genannt, aber erkennbar nicht verwendet worden. [2] Und vielleicht als Bonbon: Bei Albrecht von Bonstetten wäre 1475 eine perfekt illustrative Serie spätmittelalterlicher Schemakarten vom Kosmos bis zur Schweiz zu finden gewesen.

Insgesamt vermittelt das Buch in optisch schönem Gewand reichlich oberflächliches, fragmentarisches und teilweise auch veraltetes Wissen. Einem weiteren Leserkreis mag dies genügen, wenngleich die Gliederung en detail und viele Formulierungen etwas schwerfällig sind. Wenn man bezüglich der wissenschaftlichen Benutzbarkeit die cui-bono-Frage stellt, so lautet die Antwort: Zumindest mir nicht.


Anmerkungen:

[1] Tony Campbell: The earliest printed maps. 1472 - 1500, Berkeley (u.a.) 1987.

[2] Rudolf Simek: Altnordische Kosmographie Studien und Quellen zu Weltbild und Weltbeschreibung in Norwegen und Island vom 12. bis zum 14. Jahrhundert, Berlin 1990; Fuat Sezgin: Mathematische Geographie und Kartographie im Islam und ihr Fortleben im Abendland, Frankfurt a. M. 2000, 3 Bde.; Dana Bennett Durand: The Vienna-Klosterneuburg map Corpus of the Fifteenth Century. A study in the transition from medieval to modern science, Leiden 1952.

Peter Meurer