Eva Brinkschulte / Eva Labouvie (Hgg.): Dorothea Christiana Erxleben. Weibliche Gelehrsamkeit und medizinische Profession seit dem 18. Jahrhundert, Halle/Saale: mdv Mitteldeutscher Verlag 2006, 168 S., ISBN 978-3-89812-364-8, EUR 22,00
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Im Sommer 1754 promovierte an der medizinischen Fakultät der Universität Halle die erste deutsche Frau, Dorothea Christiana Erxleben, geborene Leporin. Was bedeutete diese Promotion? In welchem Kontext stand dieses Ereignis? Und wie sah der weitere Weg hin zu einer längst nicht realisierten, gleichberechtigten ärztlichen Ausbildung und Tätigkeit von Frauen und Männern aus? Diesem Thema widmet sich der vorliegende Sammelband. Er geht auf eine Tagung zurück, die anlässlich des 200-jährigen Jubiläums von Erxlebens Promotion an der Otto-von-Guericke-Universität in Magdeburg stattfand.
Die Promotion von Erxleben stellte keineswegs den Ausgangspunkt für die Zulassung von Frauen zum Arztberuf dar. Erxleben hatte selbst gar kein Hochschulstudium abgelegt, sondern einzig die Doktorarbeit erfolgreich eingereicht. Sie blieb eine isolierte Ausnahme. Es vergingen nochmals fast 150 Jahre, bis offizielle Zulassungen von Frauen zu deutschen Universitäten folgten. Warum beschäftigt man sich dennoch mit ihr?
Dorothea Erxleben ist nicht allein eine Persönlichkeit historischen Interesses, sie gilt als Symbol weiblichen Vordringens in männlich dominierte Berufssparten. Auch das vorliegende Buch nimmt Erxleben zum "Anlass, über die Rolle von Frauen in den Wissenschaften, vor allem den Naturwissenschaften und insbesondere der Medizin, nachzudenken" (13). Entsprechend weit spannt sich der Bogen angesprochener Themen. Mit Erxlebens Biografie und Werk beschäftigen sich drei der sieben Beiträge. Drei weitere Beiträge greifen die außerschulischen Bildungsmöglichkeiten von Frauen, die Professionalisierung in der Medizin und die Geschichte der deutschen Ärztinnen bis 1945 auf. Das Sammelwerk schließt mit einem Beitrag über das Selbstverständnis von Ärztinnen in der DDR.
Unter den biografischen Beiträgen sticht die Recherche von Annette Fulda hervor. Dorothea Leporin bzw. Erxleben publizierte zwei Schriften, 1740 die "Gründliche Untersuchung der Ursachen, die das weibliche Geschlecht vom Studiren abhalten [...]" und 1754 ihre Dissertation. Die "Gründliche Untersuchung" bildet die Hauptquelle für Fuldas Untersuchung. Sie konstatiert enge ideologische Verbindungen der noch unverheirateten Dorothea Leporin zum Pietismus. Naturerkenntnis stellte für diese junge Frau und andere frühneuzeitliche Fürsprecher des Frauenstudiums in erster Linie eine Form der Gotteserkenntnis dar, nach der beide Geschlechter trachten sollten. Gelehrsamkeit wird so zur Pflicht, die sich zu den natürlichen Aufgabe der Frauen, der Haushaltsführung und Kindererziehung, hinzugesellt.
Ursula Schmiedgen befasst sich mit dem Werdegang Erxlebens im lokalhistorischen und familiären Umfeld. Ihre Forschungen belegen, dass die Zulassung zur ersten weiblichen Promotion im Jahr 1741 eher als ein Nebenprodukt eines Gnadengesuchs für den desertierten Bruder zustande kam (42). Zur Niederschrift der Dissertation entschloss sich Erxleben denn auch erst über ein Jahrzehnt später, nachdem ihr 1753 die medizinische Tätigkeit obrigkeitlich untersagt worden war.
Dieses Praktizierverbot war das Ergebnis eines Kurpfuscherprozesses, den örtliche Ärzte gegen Erxleben geführt hatten. Immerhin behandelte Erxleben über Jahre gegen Bezahlung Patienten, ohne ein entsprechendes Diplom zu besitzen (48), was sie in ihrer Zeit genügsam als Kurpfuscherin kennzeichnete und den Unmut der Ärzte hervorrief.
Schmiedgen führt den Prozess jedoch ohne überzeugende Begründung auf inhaltliche Differenzen zurück: Es "ist vielmehr davon auszugehen, dass Dorothea Erxleben auch und vielleicht sogar gerade deshalb angegriffen wurde, weil sie eine grundlegend andere Medikation als die drei sie belastenden Ärzte vertrat und durch ihre eigenen Heilerfolge deren Heilkompetenz in Frage stellte." (50). Ihre Praxis habe zudem nicht der Existenzsicherung gedient, sondern habe in einer jahrhundertealten Tradition der weiblichen Nachbarschaftshilfe gestanden (49-51).
Auf die Konkurrenzsituation im Medizinalwesen, die Erxlebens Leben prägte, geht der hervorragend recherchierte Beitrag von Eva Labouvie ein. Sie kann nachweisen, dass die berufliche Monopolisierung medizinischer Tätigkeit auf akademische Ärzte und diplomierte Chirurgen meist ein Hintertürchen offen ließ. An der Wende zum 19. Jahrhundert gelang es vielen inoffiziellen Heilkundigen im heutigen Saarland, Rheinland-Pfalz und Lothringen, mit allerlei "selbstgezimmerten Qualifikationen" und persönlichen Bittschriften den obrigkeitlichen Vorgaben zum Trotz weiterzupraktizieren.
Einen guten Überblick über die Anfänge des Frauenstudiums und die weibliche Medizinalpraxis in Deutschland bietet der Beitrag von Eva Brinkschulte. Sie geht auf die verschiedenen "Generationen" von Studentinnen ein, zeigt deren weiteren Werdegang auf und kann Gemeinsamkeiten in der von Frauen praktizierten Medizin herausarbeiten, so die Hinwendung zur Aufklärungstätigkeit und zur Frauen- und Kindermedizin. Es ist Brinkschulte hoch anzurechnen, dass sie in ihrem Beitrag dem Thema "Ärztinnen im Nationalsozialismus" drei Seiten widmet. Die tüchtigen Pionierinnen von einst fanden sich dienstbeflissen unterm Hakenkreuz wieder, selbstredend unter Ausschluss ihrer jüdischen Kolleginnen. Brinkschulte nennt als Erklärung lediglich die "Existenzangst der Ärztinnen" und einen "vorauseilenden Gehorsam", dabei übersieht sie die Begeisterung, mit der zahlreiche Ärztinnen aktiv kooperierten - eine kleine, aber empfindliche Schwachstelle der ansonsten äußerst informativen Darstellung.
Der letzte Beitrag stammt von Anne Lützenkirchen, die anhand 130 Interviews die geschlechtsspezifische Situation von Ärztinnen in der DDR beleuchtet. Trotz einer Verneinung jedwelcher Diskriminierung als Frau, die ja offiziell nie existieren durfte, beklagten die Ärztinnen ihre Doppelbelastung als Mütter und berufstätige Frauen ohne Aufstiegschancen. Methodisch besonders erfreulich ist, dass Lützenkirchen die Subjektivität ihrer eigenen Person thematisiert und damit auf die zentrale Rolle der Forscherpersönlichkeit als den Forschungsgegenstand prägenden Faktor hinweist.
Als kleine Mängel ließen sich der Redaktion anlasten, dass die drei biografisch orientierten Beiträge Überschneidungen aufweisen und Dorothea Erxleben bzw. Leporin wiederholt nur "Dorothea" heißt (zum Beispiel 15, 40, 43 ff.), während der Bruder einzig im direkten Zusammenhang beim Vornamen genannt wird (zum Beispiel 43: "der junge Leporin").
Aus der Auswahlbibliografie geht hervor, dass Erxleben ausgerechnet in der NS-Zeit eine vermehrte Beachtung gefunden hat. So wurde die von ihrem Stiefsohn 1789 verfasste Biografie unter dem Titel "Die erste promovierte Medizinerin in Deutschland" 1938 in der Illustrierten "Die Frau" nachgedruckt, und die bekanntlich nicht eben regimekritische Edith Heischkel publizierte 1940 eine Kurzbiografie in der linientreuen Zeitschrift "Die Ärztin". Eine Aufarbeitung der nationalsozialistischen Rezeption der Erxleben hätte den Band abgerundet.
Seit den ausgehenden 1980er-Jahren widmete sich eine steigende Zahl wissenschaftlicher Publikationen dem Vordringen von Frauen in akademische Berufe. Das vorliegende Werk liefert hierzu einen facettenreichen und inhaltlich überzeugenden Beitrag.
Iris Ritzmann