Evan Mawdsley: Thunder in the East. The Nazi-Soviet War, 1941-1945, London: Hodder Arnold 2005, xxvi + 502 S., ISBN 978-0-340-80808-5, GBP 25,00
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Sechzig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa legt der in Glasgow lehrende Historiker Evan Mawdsley eine Darstellung des wichtigsten Schauplatzes dieses Krieges vor und leistet damit Pionierarbeit. Wie kann das sein? Die Geschichte des deutsch-sowjetischen Krieges ist für die deutsche Seite bis in zahllose Einzelaspekte untersucht worden. Neben mehrbändigen Reihenwerken und Monografien erlauben auch knapper gefasste Gesamtdarstellungen einen Überblick über die Ergebnisse jahrzehntelanger Forschung. [1] Dass für die sowjetische Seite nichts Vergleichbares vorliegt, hat mehrere Gründe: Zum einen hat die kommunistische Herrschaft bis 1991 eine kritische Betrachtung des als "Großen Vaterländischen Krieg" gerühmten Konflikts verhindert, und auch die post-sowjetische Historiografie löst sich nur langsam von der Glorien umwobenen Darstellung dieses Themenkomplexes. Zum anderen haben mangelnde Russischkenntnisse auf Seiten westlicher Forscher eine Untersuchung mindestens ebenso behindert wie der mangelnde Archivzugang. Auch das hoch gelobte Buch von Richard Overy wurde ohne russischsprachige Quellen und Literatur geschrieben. [2] Wenn es um die sowjetische Seite ging, war man daher weiterhin auf die bereits über zwanzig Jahre alten Arbeiten von John Erickson angewiesen, die zudem größtenteils auf die rein operative Ebene beschränkt blieben. [3] Zumindest galt dies bis zum Erscheinen des vorliegenden Werkes, das für viele Jahre das einschlägige Buch zum Thema sein dürfte.
Mawdsley bringt alle Voraussetzungen mit, die für sein Unterfangen von Nöten sind: Kenntnisse der russischen sowie der deutschen Sprache, eine intime Vertrautheit mit der sowjetischen, postsowjetischen und der westlichen Historiografie, ein genaues Verständnis der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in der Sowjetunion sowie ein lebhaftes Interesse für Militärgeschichte - auch in ihren Details. Denn es ist Militärgeschichte, genauer gesagt Kriegsgeschichte, die Mawdsley schreibt, und zwar Kriegsgeschichte in ihrer besten, nur möglichen Form. Er ist getrieben von der konventionellen, aber dadurch alles andere als uninteressanten Frage nach den Gründen für den sowjetischen Sieg über das nationalsozialistische Deutschland. Dabei ist Mawdsley sich sehr wohl bewusst, dass die Antwort auf diese Frage mehr erfordert als ein bloßes Vergleichen von Truppenstärken oder Aufmarschplänen. Er vergleicht die militärische Ausbildung der Soldaten beider Seiten ebenso wie die taktischen, operativen und strategischen Fähigkeiten ihrer Befehlshaber. Er wirft einen Blick auf die Logistik und Bewaffnung der Truppen und ist sich dabei nicht zu schade, in die Tiefen der Waffentechnik hinab zu steigen, um dem Leser in wenigen Worten die Vor- und Nachteile der deutschen und sowjetischen Waffensysteme zu erläutern, deren Relevanz im modernen Krieg keiner Erklärung bedarf. Doch vergisst er auch die Menschen nicht, die vom Krieg betroffen waren. Insbesondere die Erfahrungen der sowjetischen Bevölkerung mit dem Stalinismus werden zur Erklärung des Verhaltens im Kriege bemüht. Anders als in den Werken von Erickson schildert Mawdsley auch die menschenverachtende Politik der nationalsozialistischen Besatzer, aber diese Schilderungen fallen verhältnismäßig knapp aus, denn sie berühren das Kernthema der Arbeit nur am Rande. Dieses Kernthema wird in der gebotenen Ausführlichkeit dargestellt, ohne sich im Detail zu verlieren. Besonders hervorzuheben ist Mawdsleys Bemühen, die deutsche und die sowjetische Seite gleichgewichtig darzustellen, sodass sich das Bild der wechselseitigen Beeinflussung klarer ergibt als in vielen anderen Darstellungen. Von Studien aus der Feder sowjetischer Historiker unterscheidet sich die vorliegende Arbeit auch durch die souveräne Einordnung des östlichen Kriegsschauplatzes in das militärische Gesamtgeschehen in Europa, wobei Mawdsley weder versucht, die westalliierten Beiträge für den Sieg über Deutschland gegenüber den sowjetischen zu marginalisieren, noch den sowjetischen Anteil klein zu reden. Das Deutsche Reich, so ist er im Gegensatz zu Overy [4] überzeugt, hatte zwar bereits auf Grund der übermächtigen Anti-Hitler-Koalition kaum Chancen, den Krieg zu gewinnen, dennoch wäre es ohne den Beitrag der Sowjetunion sehr schwierig geworden, die vollständige deutsche Niederlage herbeizuführen. Der sowjetische Erfolg wiederum beruhte maßgeblich darauf, dass sich das stalinistische System als politisch und ökonomisch stabil genug erwies, um trotz aller Friktionen die große Krise des Jahres 1941 zu überstehen. Danach gelang es der Roten Armee sukzessive die Qualität ihrer Truppen zu erhöhen, während die der deutschen Verbände stagnierte. Dabei profitierten die Sowjets natürlich materiell in starkem Maße von den amerikanischen Lend-and-Lease-Lieferungen. Sie waren jedoch auch in der Lage, die Ausbildung ihrer Offiziere und Truppenführer deutlich zu verbessern. Obwohl der deutsche Ausbildungsstand während des gesamten Krieges eindeutig höher blieb als der sowjetische, reichte er schon bald nicht mehr aus, um den immer weiter wachsenden quantitativen Vorsprung der UdSSR zu kompensieren.
An keiner Stelle vergisst Mawdsley, dass es sich sowohl beim nationalsozialistischen Deutschland als auch bei der Sowjetunion um totalitäre Regime handelte, die in den von ihnen eroberten Gebieten ihren Unterdrückungsapparat installierten. Allerdings verleitet ihn das nicht dazu, beide Systeme auf eine Stufe zu stellen. Letztendlich sei die nationalsozialistische Ideologie auf doppelte Weise an der deutschen Niederlage Schuld gewesen: Zum einen hätten sich die Angreifer mit ihrer Menschen verachtenden Weltanschauung die Möglichkeit versperrt, die sowjetische Bevölkerung stärker auf ihre Seite zu ziehen, zum anderen hätte sie eine Spaltung der Anti-Hitler-Koalition verhindert und damit ein politisches Ende des Krieges unmöglich gemacht, als dieser spätestens 1943 endgültig verloren war.
Man muss mit dieser, freilich nicht mit allen von Mawdsleys Thesen übereinstimmen, auch lassen sich kleinere Fehler und Ungenauigkeiten finden. Aber wer immer in den nächsten Jahren über den deutsch-sowjetischen Krieg arbeiten wird, kommt an diesem Buch nicht vorbei. "Thunder in the East" ist ein Glanzstück der Militärgeschichtsschreibung, das die Bedeutung dieser Disziplin eindrucksvoll unterstreicht.
Anmerkungen:
[1] Siehe z. B. Horst Boog/Jürgen Förster/Joachim Hoffmann/Ernst Klink/Rolf-Dieter Müller/Gerd R. Überschär: Der Angriff auf die Sowjetunion, 2. Aufl., Frankfurt am Main 1991; Müller, Rolf-Dieter: Der letzte deutsche Krieg 1939-1945, Stuttgart 2005.
[2] Richard Overy: Russlands Krieg 1941-1945. Reinbek 2003.
[3] John Erickson: The Road to Stalingrad. Stalin's War with Germany: Volume One. New Haven, 2nd ed., London 1999; ders.: The Road to Berlin. Stalin's War with Germany: Volume Two. New Haven, 2nd ed., London 1999.
[4] Richard Overy: Die Wurzeln des Sieges. Warum die Alliierten den Zweiten Weltkrieg gewannen, Stuttgart/München 2000.
Alexander Brakel