Christian Scholl: Romantische Malerei als neue Sinnbildkunst. Studien zur Bedeutungsgebung bei Philipp Otto Runge, Caspar David Friedrich und den Nazarenern, München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2007, 462 S., ISBN 978-3-422-06697-7, EUR 68,00
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Romantik hat in Deutschland zurzeit Konjunktur: Erst 2005 hat die Frankfurter Schirn-Kunsthalle die Nazarener in einer monumentalen Ausstellung als "Pioniere der Moderne" [1] wieder entdeckt, 2006 feierte das Essener Folkwang Museum Caspar David Friedrich im großen Rahmen als "Erfinder der Romantik", von Werner Hofmann in seinem Katalogbeitrag allerdings sogleich als "Erfinder einer Romantik" modifiziert. [2] Auch in der Forschung sind Fragen zu den Nazarenern und vor allem zu Friedrich derzeit hochaktuell, Philipp Otto Runge stand bislang etwas abseits, weil den grundlegenden Studien Jörg Traegers wohl nach wie vor wenig hinzu zu fügen ist. [3] Galten die Nazarener lange als ebenso unoriginäre wie reaktionäre und vorrangig frömmelnde Künstlergruppe, konnte dieses Bild in den letzten beiden Jahrzehnten differenziert und zumindest in Teilen relativiert werden; ob man sie deshalb gleich zu Revolutionären machen muss, sei dahingestellt. Während Runge mit seiner individuellen Zeichensprache schon immer eher eine Vermittlerposition zwischen Vergangenheit und Zukunft einnahm, schien das Werk von Friedrich in ganz besonderer Weise in die Moderne zu weisen. Christian Scholl hat es sich in seiner 2005 in Göttingen eingereichten und nun erschienenen Habilitationsschrift zur Aufgabe gemacht, diese Perspektive kritisch zu hinterfragen.
Gegenstand seiner Überlegungen ist nicht die reine Bildanalyse, sondern sind vor allem Texte der Romantikrezeption, besonders aus den Diskursen, die im historischen Umfeld der Romantik selbst geführt wurden. Erst in einem zweiten Schritt werden diese mit der Malerei in Beziehung gesetzt, um dem historisch gewordenen romantischen Bild- und Kunstbegriff auf die Spur zu kommen. Ein derartiges Vorgehen hat bereits bei der Auseinandersetzung mit der nazarenischen Kunst einen neuen, spezifische Qualitäten der Bildsprache würdigenden Zugang ermöglicht. Bei Friedrich scheint sich gleichfalls, wenn man Scholl folgen mag, eine Verschiebung der Perspektive anzudeuten. Denn in Auseinandersetzung mit den zeitgenössischen Quellen, mit Künstlerselbstaussagen ebenso wie mit Stellungnahmen von Freunden oder von nicht immer freundlich gesinnten Kunstkritikern, kristallisiert sich ein anderer als der geläufige Friedrich heraus, dessen Wurzeln unter anderem in der Sinnbildkunst der Frühen Neuzeit liegen. Den zentralen Begriff "Sinnbild" verwendet Scholl nicht allein im Hinblick auf die Emblematik, sondern meint zugleich die "damit verbundene, komplexe Praxis, in der bildliche und literarische Elemente bei der Prägung auf Bedeutung verweisender Strukturen zusammenwirken" (46).
Die thematische Gliederung des Textes in fünf Hauptkapitel erfolgt nicht nach Künstlern oder Künstlergruppen, sondern nach Themenkomplexen. Scholl geht es darum, die "theoretische Vernetzung der einzelnen Gruppierungen aufzuzeigen" (53), die in der Tat nach langen Jahrzehnten Forschung vor allem zu einzelnen Persönlichkeiten ansteht. Der erste Teil widmet sich den Grundlagen romantischer "Sinnbildkunst" und behandelt die Strategien, mit denen die hermeneutischen Schwierigkeiten im Umgang mit Natur und Kunst überwunden werden sollen. Inwieweit Kompositionsmittel wie das Kontrastieren gegensätzlicher Elemente (Licht und Finsternis etc.), der diskontinuierliche Landschaftsaufbau oder das Abkommen vom Prinzip der Mannigfaltigkeit und die Anordnung von Bildelementen auf der Symmetrieachse im Zusammenhang mit einem auf Bedeutungsvermittlung angelegten Kunstkonzept stehen, diskutiert das folgende Kapitel "Die Komposition des Bedeutungsvollen". Der anschließende Abschnitt "Sehen und Projizieren" geht der Frage nach, wie das Zusammentreten von innerer Empfindung und dem in der Natur Gesehenen in den Kunstwerken erfüllt und reflektiert wird. Die beiden letzten Teile sind der grundlegenden Frage gewidmet, welche Rolle die Einbindung konventioneller Zeichen im romantischen Konzept einer allegorischen Kunst spielt und inwiefern eine direkte Vorbildwirkung der frühneuzeitlichen Sinnbildkunst zum Tragen kommt.
Anhand einiger prominenter Beispiele, wie dem "Eismeer" oder dem "Mönch am Meer" und seinem Pendant "Abtei im Eichwald" kann Scholl nachweisen, dass diese Werke nicht vollständig der Kategorie des Erhabenen entsprechen, sondern vielmehr auf eine wesentlich ältere und in gewisser Hinsicht auch traditionellere Denkweise zurückgehen. Diese eigentümliche Position Friedrichs zwischen Modernität und Konservatismus zeigt sich nach Scholl in der Wiederkehr von Stereotypen des barocken Vanitas-Repertoires, die im Übrigen nicht nur von den Zeitgenossen direkt auf die individuelle Künstlerpersönlichkeit bezogen wurden, sondern auch vom Künstler auf sich selbst. Friedrichs Thematisierung der Vanitas richte sich gegen die Versuche, "den Tod mit ästhetischen Kategorien des Schönen und Erhabenen zu bewältigen" (305). So versteht Scholl das "Eismeer" als "Monumentalemblem" (325), das Gesehenes und Gedachtes zu einem romantischen Sinnbild verdichte, das die traditionellen Modusgrenzen durchbrechen und an die Demut der Zeitgenossen appellieren solle. Auch bei Friedrichs "Tetschener Altar" zeige sich eine Synthese von Sinnlichem mit Sinnbildlichen, ganz im Gegensatz zur restlosen Auflösung des Sinnbildlichen in der Sinnlichkeit im Symbolbegriff Goethes (333).
Als Folie für seine Überlegungen zu Friedrich zieht Scholl immer wieder Runge und die Nazarener heran, wenngleich vor allem bei letzteren die Auswahl der Literatur wie der Beispiele sehr selektiv wirkt und wohl in erster Linie der zentralen These dient. Stellen sich die Nazarener heute als nicht mehr so unmodern dar, wie lange gedacht, enthält hingegen das Werk von Friedrich durchaus Züge, die weniger modern sind, als gemeinhin vermutet. Dennoch setzt Friedrich die barocke Bildersprache mit ihren Kompositionskonventionen nicht einfach fort, woran Werner Busch bereits mehrfach erinnert hat. Vielleicht kann man zusammenfassend festhalten, dass es das Verdienst dieser Studie ist, Gemeinsamkeiten von herausragenden Künstlern der deutschen Romantik herauszuarbeiten und Friedrich wieder mehr in den historischen Kontext zu verorten. Dass dabei zugleich die ohne Zweifel vorhandenen Unterschiede und spezifischen Eigenheiten etwas aus dem Blick geraten, wird auch vom Autor selbst immer wieder thematisiert und sollte zu weiteren Forschungen anregen.
Anmerkungen:
[1] Max Hollein: Vorwort, in: Max Hollein / Christa Steinle (Hg.): Religion Macht Kunst. Die Nazarener, Ausstellungskatalog Kunsthalle Schirn Frankfurt/M., Köln 2005, 9-13, 9.
[2] Werner Hofmann: Die Romantik - eine Erfindung?, in: Hubertus Gaßner (Hg.): Caspar David Friedrich: die Erfindung der Romantik, Ausstellungskatalog Museum Folkwang Essen, München 2006, 20-31, 26.
[3] Werner Busch: Caspar David Friedrich. Ästhetik und Religion, München 2003; Hilmar Frank: Aussichten ins Unermessliche. Perspektivität und Sinnoffenheit bei Caspar David Friedrich, Berlin 2004; Thomas Noll: Die Landschaftsmalerei von Caspar David Friedrich. Physikotheologie, Wirkungsästhetik und Emblematik. Voraussetzungen und Deutung, München / Berlin 2006.
Sabine Fastert