Martin Engel / Martin Pozsgai / Christiane Salge et al. (Hgg.): Barock in Mitteleuropa. Werke - Phänomene - Analysen. Hellmut Lorenz zum 65. Geburtstag (= Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte; Bd. LV/LVI), Wien: Böhlau 2007, 544 S., ISBN 978-3-205-77621-5, EUR 69,00
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Mit einem Doppelband des Wiener Jahrbuchs für Kunstgeschichte wird 2007 einer der profiliertesten Kunsthistoriker geehrt, der im Bereich der Frühen Neuzeit lehrt und forscht: Hellmut Lorenz. Selten gelingt es den Herausgebern einer Festschrift, die weit gefächerten Themen der Beiträge so eng auf die Person des Jubilars zu beziehen wie Martin Engel, Martin Pozsgai, Christiane Salge und Huberta Weigl in dem vorliegenden Band. Das gilt zunächst für die in der Einleitung explizit herausgearbeitete Eingrenzung der Themen im Sinne eines "Barock in Mitteleuropa", der nach einem Diktum von Lorenz in Nachfolge Jacob Burckhardts durch eine "Kunstgeschichte nach Aufgaben" (13) zu würdigen sei. Der im positiven Sinne nüchternen Herangehensweise des Frühneuzeitforschers Lorenz wird damit ebenso Rechnung getragen wie seinen thematischen Schwerpunkten, die zu einer Überwindung nationaler Sichtweisen beitragen wollen. So verweisen gerade die architekturtheoretischen Beiträge auf Lorenz' Arbeiten zu Alberti und Fischer von Erlach zurück.
Eine Festschrift kann und soll keine methodologische Streitschrift darstellen, und so darf nicht erwartet werden, in dem Band Grundlegendes zur Problematik der "Kunstlandschaft" Mitteleuropa oder dem umstrittenen Barockbegriff zu finden. Der Schwerpunkt des Werkes liegt auf einer Zusammenstellung von Fallstudien, an denen die Vielfalt der "Kunst- und Kulturlandschaft Mitteleuropa" (10), ihre "Vernetzungen und Querverbindungen" (11-12) und ihre offenen Grenzen aufgezeigt werden. Dementsprechend vereinen die vier Herausgeber in dem 544 Seiten starken, in Drucktechnik und Bebilderung vorbildlichen Band vor allem Beiträge, die zu Einzelobjekten neue Erkenntnisse liefern. Entsprechend dem Begriff der 'Aufgaben' sind die Artikel unter folgenden Abschnitten locker gebündelt: "Residenzen & Schlösser", "Paläste & Villen", "Kirchen & Klöster", "Denkmäler & Monumente", "Wissenschaft & Theorie".
Im ersten Abschnitt stehen Schlossbauten im Vordergrund, sowohl im Rahmen der Frage nach dem Decorum der Außenarchitektur, welche Hans-Joachim Kuke auf das Fortuna-Portal am Potsdamer Stadtschloss bezieht, als auch der Ausstattung des Inneren, der Angela Völker am Beispiel von Schloss Marchfeld nachgeht. Die Baumeister der Werke thematisieren Mojmír Horyna mit einer Zuschreibung der böhmischen Schlösser Weltrus und Teinitz an G. B. Alliprandi, sowie Christian Benedik, der einen Entwurf des Schlosses Laxenburg von Claude le Fort du Plessy vorstellt. Peter-Michael Hahn kann die Oraniersäle des Berliner und Oranienburger Schlosses im Sinne einer dynastischen Strategie interpretieren, während umgekehrt der Neue Palast in Innsbruck weniger zeichenhaften als materiellen Fragen geschuldet war. So kann Huberta Weigl anhand grafischer Darstellungen belegen, wie groß die Rolle der Erdbebensicherheit bei der Planung gewesen war. Mit seinen Überlegungen zu Lage und Gestaltung des Vorplatzes der Residenz Würzburg trägt Jan Kremeier zur aktuellen Debatte um raumbezogene Themen bei.
Der zweite Abschnitt präsentiert sich mit ähnlichen thematischen Schwerpunkten. Auch hier können Fragen der Zuschreibung geklärt werden, so weist Martin Pozsgai eine Tätigkeit von Donato Giuseppe Frisoni als Stuckateur am Gartenpalais Liechtenstein nach. Eine Verbindung auf einer allgemeineren Ebene zieht Martina Frank, die eine erstaunlich enge Beziehung der venezianischen Villenkultur des 17. Jahrhunderts zu Mitteleuropa feststellt. Das Thema der Innenausstattung wird zum einen von Lubomír Slavíček aufgegriffen, der das Palais Graf Maximilian Thuns in Prag behandelt, wie von Wolfgang Prohaska, dem es gelingt, allegorische Gemälde der verlorenen Gemäldeausstattung im Gartenpalais Harrach zuzuordnen. Auch die semantische Bedeutung von architektonischen Typen findet Berücksichtigung, wenn Franz Matsche den Innenhof des Palais Trautson in Wien in die vitruvianische Tradition antiker Haus-Basiliken einordnet.
Auch bei der Behandlung des Sakralbaus stehen werkmonografische Beiträge im Vordergrund. Wilhelm Georg Rizzi konnte eine neu entdeckte Fassadenzeichnung als ein Projekt für die Wiener Dominikanerkirche identifizieren, und Manfred Koller gelang mit der Zuschreibung des Franz von Paula-Altars in Wien ein entscheidender Fortschritt bei der Bestimmung des Œuvres von Johann Ignaz Bendl. Ein neu entdecktes Zeichnungsmodello des Rubens-Schülers Jan Thomas für den Sebastiansaltar in Lockenhaus stellt Géza Galavics vor. Eher auf die Bauherren bezogen sind die Untersuchungen von Johann Sturm zum Benediktinerinnenkloster Säben in Südtirol und von Melanie Mertens zur Wallfahrtskapelle von Rietberg, von der aus durch familiäre Beziehungen Verbindungslinien bis nach Böhmen zu ziehen sind. Den Schwerpunkt auf der Ausstattung der Kirchen setzten die übrigen Beiträge fort. Heinrich Magirius setzt sich das Ziel der Neubewertung eines Kuppelentwurfes für die Dresdener Frauenkirche, während Herbert Karner nach einer spezifisch karmelitischen Altarbaukunst bei Giuseppe Pozzo fragt. Werner Telesko deutet die Deckenfresken der Stiftskirche St. Florian im Sinne einer Verschränkung von Mariensymbolik und Florianslegende und sucht nach den geistlichen Urhebern dieser Programmatik.
Eine weniger homogene Gruppe stellen die Beiträge unter der Überschrift 'Denkmäler & Monumente' dar. Einen erstaunlich hohen Anteil können hier Monumente in grafischer und schriftlicher Form beanspruchen. Das reicht von einem in Augsburg gedruckten "Ehrenmonument" für Leopold I., das Karl Möseneder analysiert, bis zu Feuerwerken und Illuminationen im Wien des 18. Jahrhunderts, die Christiane Salge anhand von Druckwerken auf das Engagement von Fürsten und Adel, aber auch des Bürgertums zurückführen kann. Ein weiteres Monument in gedruckter Form stellt Friedrich Polleroß mit der Huldigungsschrift des Wiener Jesuitenkollegs von 1682 vor, das als Beispiel höfischer Panegyrik gelten kann. Andere Denkmäler verweisen auf sehr unterschiedliche Medien und Kontexte. Aus dem üblichen kunsthistorischen Rahmen fällt etwa der 'Sigismundstein', ein 1766 zu Ehren des Salzburger Erzbischofs in einem Bergwerk errichtetes Monument, vorgestellt von Ingeborg Schemper-Sparholz. Auch Bernd Wolfgang Lindemann belegt mit seiner Untersuchung der Särge der Hohenzollern um 1700 die große Bandbreite an Objekten, die sich heute im Fokus der Kunstgeschichte befinden. Eher klassischen Gattungen widmet sich Luigi A. Ronzoni. Er schreibt dem Bildhauer Jakob Gabriel Mollinarolo zwei Reliefbüsten zu, die nach Vorlagen aus kaiserlichen Sammlungen gefertigt sind. Die zwei letzten Beiträge sind wiederum der Architektur gewidmet. Sibylle Appuhn-Radtke behandelt mit dem Typus des Freundschaftstempels ein Thema, das sehr eng an einer 'Kunstgeschichte der Aufgaben' orientiert ist. Der Rezeption des Petersplatzes im Rahmen des Wettbewerbes für das Viktor-Emanuel-Denkmal in Rom widmet sich schließlich Costanza Caraffa.
Die Beiläge im letzten, 'Wissenschaft & Theorie' betitelten Abschnitt zeigen trotz der großen Bandbreite einen Schwerpunkt auf der Architekturtheorie. So befasst sich Harold Hammer-Schenk mit der Illustration der Kallimachos-Legende bei Roland Fréart de Chambray, und Edzard Rust mit dem Kirchen- und Theaterbau von Leonhard Christoph Sturm. Einen Bogen zur Praxis schlägt Martin Engel, der anhand eines Inventares die Privatbibliothek von G. W. von Knobelsdorff rekonstruiert. Eine Frage der architektonischen Theorie in jüngster Vergangenheit greift wiederum Bernd Euler-Rolle auf, wenn er die 'stilgerechte' Restaurierung von Barockarchitektur in verschiedenen Zeitabschnitten zum Thema macht. Ähnlich methodenkritisch ist der Beitrag von Werner Oechslin zu verstehen, der die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Barock im 'Zeitgeist' der Jahrzehnte um 1900 verortet. Als genuin intermediale Untersuchung führt schließlich Artur Rosenauer das Verhältnis der literarischen und bildkünstlerischen Überlieferung anhand des Decius-Mus-Zyklus von Rubens im Liechtenstein-Museum in Wien vor.
Diese Tour de Force durch die 34 Beiträge des Sammelbandes belegt zweierlei. Zum einen eignen sich Festschriften weit eher als Quellen, mit denen Fachhistoriker einen Querschnitt durch etablierte Gattungen und Methoden einer Disziplin gewinnen können, als für eine erschöpfende Behandlung im Rahmen einer Rezension. Zum anderen lässt sie eine ausponderierte thematische Vielfalt unterschiedlicher theoretischer Ansätze, Gattungen, Epochen und Orte offenkundig werden, die nicht nur den Herausgebern des vorliegenden Bandes, sondern auch dem Jubilar zu Ehren gereicht, indem sie die Mannigfaltigkeit seiner lehrenden und forschenden Wirkung vor Augen führt. Aus Sicht des Rezensenten wurden mit der Augsburger Druckgrafik sowie die Rekonstruktion von Bibliotheksbeständen besonders dringliche Desiderata aufgegriffen. Auch die in der Einleitung formulierten Ansprüche, die Vielfalt kultureller Vernetzungen innerhalb Mitteleuropas und über seine Grenzen hinaus aufzuzeigen, können als eingelöst gelten. So wurde die Rolle der Künstler ebenso befragt wie diejenige der Auftraggeber, theologischer Programmgeber und unterschiedlichster Medien der Vermittlung.
Julian Jachmann