Rezension über:

Doris Gerstl: Georg Philipp Harsdörffer und die Künste, Nürnberg: Fachverlag Hans Carl 2005, 237 S., ISBN 978-3-418-00110-4, EUR 29,90
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Rezension von:
Sabine Mödersheim
Department of German, University of Wisconsin, Madison, WI
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Sabine Mödersheim: Rezension von: Doris Gerstl: Georg Philipp Harsdörffer und die Künste, Nürnberg: Fachverlag Hans Carl 2005, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 11 [15.11.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/11/11274.html


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Doris Gerstl: Georg Philipp Harsdörffer und die Künste

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Gemessen an der Bedeutung Georg Philipp Harsdörffers für die deutschsprachige Literatur, Sprachgeschichte und nicht minder die Kunst und Kunsttheorie des ausgehenden 17. und beginnenden 18. Jahrhunderts weist der Forschungsstand zu vielen Aspekten seines umfangreichen und vielseitigen Werks noch immer empfindliche Lücken auf. Der vorliegende Band Georg Philipp Harsdörffer und die Künste, der sich Harsdörffer als einer der bedeutendsten Figuren der Literatur- und Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit wie auch der Regional- und Lokalgeschichte Nürnbergs widmet, ist daher ein willkommener Beitrag zum aktuellen Forschungsstand. Die hier versammelten Beiträge ausgewiesener Forscher aus Deutschland, der Schweiz, den Niederlanden und den USA sind das Resultat einer interdisziplinären Tagung

Der von Doris Gerstl herausgegebene Sammelband beleuchtet in breit angelegter Fragestellung verschiedene Aspekte der einflussreichen Rolle Harsdörffers als Vermittler von artistischen, literarischen und kulturellen Innovationen. Das Wort "Künste" im Titel des Bandes ist im Sinne von "artes liberales" als "freie Künste" zu verstehen. Neben Kunst- und Bildtheorie umfasst der Begriff auch Rhetorik und Sprachtheorie, Theologie und Homiletik, Anthropologie und Naturwissenschaften, z. B. Optik. Weiterhin schließt dies die Aufführungspraxis von Theater, Musik, panegyrische Repräsentation und andere Kulturtechniken, etwa die "Trincir-Kunst" ein, der Harsdörffer ein eigenes Werk widmete, das in Werner Wilhelm Schnabels Aufsatz vorgestellt wird.

Der weit gereiste und belesene Harsdörffer, Autor, Übersetzer und Wissenschaftler, Mitbegründer des "Pegnesischen Blumenordens" sowie Mitglied weiterer Sprachgesellschaften, wie der "Teutschgesinnten Genossenschaft" und der "Fruchtbringenden Gesellschaft". stammte aus altem Nürnberger Patriziergeschlecht. Nach dem Studium der Rechtswissenschaft, Philosophie, Geschichte, Philologie und Mathematik an der Akademie Altdorf bei Nürnberg und der Universität Straßburg führte ihn eine mehrjährige peregrinatio academica durch Frankreich, die Niederlande und Italien. Als Vermittler italienischer und französischer Literatur, Kunst, Philosophie und Wissenschaft prägte er das kulturelle und literarische Leben der Freien Reichsstadt Nürnberg. In der Nachahmung von Vorbildern der französischen und italienischen Akademien kultivierte er ritualisierte Formen von Geselligkeit und gelehrter Konversation.

Harsdörffer war ein führendes Mitglied des Pegnesischen Blumenordens, einer der einflussreichsten Sprachgesellschaften im deutschsprachigen Raum. Die Rolle, die Harsdörffer als Förderer, Mäzen und Organisator der Künste und Literatur spielte, beleuchtet Helmut Laufhütte anhand von unveröffentlichtem Archivmaterial, zumal aus dem erhaltenen Briefwechsel mit Sigmund von Birken. Die Mitglieder der Nürnberger Pegnitzschäfer zeigten ein besonderes Interesse an der Emblematik, und die Stadt gehört deshalb auch zu den Orten, wo eine große Zahl von Emblembüchern gedruckt wurde und Embleme in der materiellen Kultur, z. B. der Ausstattung des Rathauses präsent waren. Mara Wades Beitrag legt Harsdörffers Theorie und Praxis der Emblematik dar, während Rosemarie Zeller sich speziell dem Verhältnis von Sinnbildern und Gemälden in Harsdörffers "Frauenzimmer Gesprächspielen" widmet. Die Praxis dieser emblematischen Formen in der Panegyrik und in öffentlicher Zurschaustellung beschreiben Andrea Kluxen am Beispiel des Schauessens anlässlich der Friedensfeste von 1649 und Doris Gerstl anhand der Impresen der Ehrenpforte zum Einzug Kaiser Leopolds im Jahre 1658.

Harsdörffers ästhetische Theorie, die der Auffassung 'ut pictura poesis' verpflichtet ist, bildet das Thema von Barbara Becker-Cantarinos Aufsatz. Sie untersucht die kleine Abhandlung "Kunstverständiger Discurs, Von der edlen Mahlerey" von 1647, worin Harsdörffer die Nähe von bildender Kunst und Dichtung hervorhebt. Harsdörffers Sprachtheorie und Rhetorikauffassung, insbesondere sein Begriff einer "Natur-Sprache" steht im Zentrum von Ferdinand van Ingens erhellendem Aufsatz. Markus Paul zeichnet Harsdörffers Argumente zur Rechtfertigung von Schauspiel und Musik gegen die Kritik und Ablehnung der Nürnberger Geistlichkeit nach.

Nürnberg war zu Harsdörffers Zeit ein wichtiges Zentrum für Kunsthandwerk, Buchdruck und Literatur, woran Harsdörffer einen wichtigen Anteil hatte. John Roger Paas gibt in diesem Kontext einen Überblick über die Grafikproduktion in Nürnberg und stellt Harsdörffers Beitrag dazu heraus. Einen großen Anteil an der Buchillustration Nürnberger Verlage hatten Bilderbibeln sowie illustrierte Predigt- und Frömmigkeitsliteratur. Harsdörffer widmete sich diesen Formen z. B. in seinen "Sonntagsandachten" mit besonderem, und nicht allein homiletisch-didaktischem Interesse, wie Jörg Jochen Berns in seinem Beitrag zum Zusammenhang von Erbauung, Naturwissenschaft und Technikgeschichte aufzeigt. Diana Trinkner erläutert anhand des "Sehkunst"-Kapitels der "Mathematischen und Philosophischen Erquickstunden" (1651) das Paradigma der Optik in Harsdörffers Erkenntnistheorie in Anlehnung an Athanasius Kircher. Mit Harsdörffers Theorie einer anthropologischen Entwicklungsgeschichte beschäftigt sich Peter Bexte und illustriert dessen Fazination mit dem Fremden in Gestalt der Figur "Africas".

Die Beiträge in diesem Buch berühren eine beeindruckende Vielfalt von Themen, wenn auch beim begrenzten Umfang eines solchen Tagungsbandes natürlich keine Vollständigkeit erwartet werden kann. Angesichts der Tatsache allerdings, dass Harsdörffer sich, nach dem Vorbild der italienischen und französischen Akademien, besonders für die Integration weiblicher Teilnehmer der kulturellen Gesprächskreise einsetzte, hätte man sich gewünscht, dass dieser Aspekt in einem eigenen Beitrag stärkere Berücksichtigung gefunden hätte.

Kritisch anzumerken bliebe, dass leider eine thematische Einleitung der Herausgeberin fehlt, welche die Zusammenhänge zwischen den Beiträgen herausstellen, bzw. eine Einordnung der Forschungsbeiträge leisten sowie eine zusammenfassende Standortbestimmung von Harsdörffers Beitrag zum Kulturleben Nürnbergs und zur deutschen Literatur-und Kulturgeschichte insgesamt geben könnte. Auch sind die Aufsätze nicht in thematischen Gruppen zusammengefasst, sondern schlicht alphabethisch nach Autorennamen geordnet. Nicht alle Beiträge sind von gleich hoher Qualität und Prägnanz, und man vermisst bisweilen editorische Stringenz. Der Band enthält einen knappen Namens- und Sachindex, leider jedoch kein Literaturverzeichnis.

Abgesehen davon liegt die Stärke des Bandes in der Bandbreite der angeschnittenen Themen und der Qualität der Mehrzahl der Beiträge, welche die Voraussetzungen und kulturhistorischen Hintergründe für die herausragenden literarischen Leistungen und Aktivitäten Harsdörffers liefern. Damit fördern die hier versammelten Aufsätze das Verständnis Nürnbergs als Kulturraum im 17. Jahrhundert und der prägenden Wirkung Harsdörffers, und sie leisten damit zugleich einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der barocken Kulturgeschichte.

Sabine Mödersheim