Walther L. Bernecker / Sören Brinkmann: Kampf der Erinnerungen. Der Spanische Bürgerkrieg in Politik und Gesellschaft 1936-2006, 2. Aufl., Münster: graswurzelrevolution 2006, 377 S., ISBN 978-3-939045-02-1, EUR 20,50
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Sören Brinkmann: Der Stolz der Provinzen. Regionalbewußtsein und Nationalstaatsbau im Spanien des 19. Jahrhunderts, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2005
In Spanien sind auch heute, fast 70 Jahre nach dem Ende des Bürgerkriegs, die Wunden noch nicht verheilt. So fand im vergangenen Jahr in den Zeitungen des Landes ein so genannter Krieg der Todesanzeigen statt, in dem sich die Angehörigen der franquistischen wie der republikanischen Gewaltopfer zu Wort meldeten. Inzwischen bricht sich die lange öffentlich tabuisierte Erinnerung Bahn. Wie sehr sich Spanien mit seiner Vergangenheit müht, zeigt die aktuelle Debatte um das von der konservativen Volkspartei (PP) heftig bekämpfte Gesetz zur historischen Erinnerung (Ley de Memoria Histórica). Der Entwurf, auf den sich die regierenden Sozialisten mit nahezu allen im Parlament vertretenen Parteien Anfang Oktober 2007 verständigten, dient nach Ansicht der PP nur dazu, Salz in die Wunden zu streuen. Die Novelle sieht die ausdrückliche Verurteilung des Franquismus vor. Im Wesentlichen soll den Opfern des Bürgerkriegs und der Franco-Diktatur durch ihre moralische und rechtliche Rehabilitation zu mehr Gerechtigkeit verholfen werden.
Mit diesem "Kampf der Erinnerungen" beschäftigen sich die Historiker der Universität Erlangen-Nürnberg Walther L. Bernecker und Sören Brinkmann in ihrer gleichnamigen, mit zahlreichen Abbildungen und Anmerkungen ausgestatteten Studie. Darin gehen sie vor allem auf die Folgen des Krieges, das "Racheregime" Francos mit Konzentrationslagern und Zwangsarbeit sowie auf die damalige und heutige Erinnerungs- und Geschichtspolitik ein. Dem eigentlichen Thema - der "Erinnerungskultur" - vorangestellt ist eine von Bernecker verfasste konzise Analyse des Bürgerkriegs und seiner Ursachen. Bernecker macht deutlich, dass er diese Auseinandersetzung nicht als Kampf von Faschismus gegen Antifaschismus begreift. Der "Kampfplatz Spanien" (Franz Borkenau) habe aber vielfältige Projektionsmöglichkeiten geboten, und so sei das Land zwischen 1936 und 1939 zur "Propagandaplattform der Ideologien" wie zum "Truppenübungsplatz ausländischer, vor allem faschistischer Waffensysteme" (29) geworden. Den rasch wachsenden Einfluss der anfangs noch unbedeutenden Kommunisten erklärt der Autor mit ihrer gegen die Anarchisten gerichteten "revolutionsfeindlichen Einstellung" (54) und den für das Überleben der Republik bedeutsamen sowjetischen Waffenlieferungen. Dementsprechend rekrutierten sich die kommunistischen Parteimitglieder damals vorwiegend aus Angestellten, dem Kleinbürgertum und Bauern, weniger aus der Industriearbeiterschaft. Wohl entscheidend für den Sieg des Franco-Lagers waren die weitaus größere Unterstützung aus dem Ausland und die Nichteinmischungspolitik der westlichen Demokratien. Die pogromartigen Ausschreitungen im republikanischen Herrschaftsgebiet gegen den katholischen Klerus hatten sicherlich auch zu dieser fehlenden Unterstützung der Republik beigetragen. Die Nachrichten von den Morden und der Schändung von Gotteshäusern gingen um die Welt. Hier rückt Bernecker so manch grob verzerrtes Bild zurecht. Insgesamt wurden - vor allem zwischen Juli und September 1936 - nach bisherigen Erkenntnissen 6832 Geistliche umgebracht (77). Diese Taten erfolgten weniger aus antireligiösen Gründen; sie waren eher ein spontaner Gewaltausbruch gegen die als Vertreter der traditionellen Ordnung empfundenen Priester. Aufständische Generäle wie Franco oder Mola standen der Kirche bis 1936 distanziert gegenüber. Auch fehlte zu Beginn eine religiöse Begründung des Staatsstreichs, die Rede war nur von der "Rettung des Vaterlands" (78).
Besonderen Erkenntnisgewinn bietet das von Bernecker verfasste Kapitel über die Repression in Krieg und Nachkriegszeit. Die Bilanz des Krieges war verheerend: Die Zahl der Toten, die - auch angesichts fehlender Quellen - bis heute umstritten bleibt, ging in die Hunderttausende; allein auf den Schlachtfeldern starben 100 000-150 000 Menschen (96). Etwa eine halbe Million Spanier gingen ins Exil. Neueste Forschungen widerlegen die beschönigende Darstellung vom Gleichgewicht der Gräuel im republikanischen und "nationalen" Lager. Demnach hat die republikanische Seite nach bisherigen Erkenntnissen an die 50 000 Tote zu verantworten, während der franquistischen Repression zwischen 1936 und 1950 etwa 140 000 Menschen zum Opfer fielen (104). Es gab aber nicht nur einen quantitativen Unterschied: Im Lager der Republik entstand Gewalt gerade durch den Wegfall staatlicher Macht nach Francos Putsch. Bei den "Nationalen" war der Terror institutionalisiert, er wurde "systematisch gegen die Besiegten angewandt" (105). Und er endete nicht mit dem Krieg: Die "Spaltung der spanischen Gesellschaft in zwei Lager: das der Sieger und das der Besiegten" (87), sollte über Jahrzehnte andauern. Zum Vergeltungsarsenal Francos gehörten auch Konzentrationslager und Zwangsarbeit. Hunderttausende - nach Schätzungen bis zu 400 000 - waren interniert und sollten durch Arbeit "umerzogen" werden. Das letzte Konzentrationslager wurde erst 1962 aufgelöst. Dies alles geschah mit der Unterstützung eines Großteils der Kirche, die sich nach dem Bürgerkrieg als "Märtyrerorganisation" (140) empfand. Das franquistische Lager rechtfertigte die Verbrechen damit, dass die "Roten" keine menschlichen Wesen seien, sondern "ein Aussatz, eine Plage, ein göttlicher Fluch"(150), der vernichtet werden müsse.
In den folgenden Kapiteln behandelt Bernecker die Erinnerungspolitik des Regimes, die ein "erzwungene[s] Gedächtnis"(151) im Sinne der Sieger schaffen sollte. Sie umfasste nicht nur Zensur und Propaganda durch Presse, Romane, Filme und Wochenschauen. Charakteristisch war auch ein ausgesprochener Totenkult um den Falange-Gründer José Antonio Primo de Rivera und die Gefallenen der "nationalen" Seite. Der Diktator wurde zur allgegenwärtigen Ikone. Zu den wichtigsten "Gedächtnisorten" des Franquismus zählt das "Tal der Gefallenen", ein monumentales Siegesdenkmal, das in fast zwanzigjähriger Bauzeit überwiegend von politischen Gefangenen errichtet wurde. So sollten die "schädlichen, pervertierten, politisch und moralisch vergifteten Elemente" (207) geläutert werden. Berneckers Bemerkung, "ehemalige Feinde halfen beim Bau des zentralen Bauwerks des 'Neuen Staates'" (207), erscheint in diesem Zusammenhang allzu salopp. In der Spätphase der Franco-Diktatur wandelte sich zwar die Tonlage, die Gegensätze der Vergangenheit wurden nun häufiger mit der vermeintlich versöhnten Gegenwart kontrastiert. Von Versöhnung konnte aber keine Rede sein.
Die Sicht der Unterlegenen des Bürgerkrieges hatte auch in der Zeit der Transición, des Übergangs von der Diktatur nach Francos Tod 1975 zur Demokratie, keinen Platz im öffentlichen Diskurs. Somit blieb die "knapp 40 Jahre dauernde Unterdrückung der Lebens- und Leidensgeschichten der Besiegten" (263) ausgeklammert, wie Sören Brinkmann im zweiten Teil des Buchs ausführt. Maßgeblich dazu beigetragen hat die traumatische Erinnerung an den Bürgerkrieg: "Der Wunsch, eine Neuauflage der sozialen Konflikte der dreißiger Jahre zu verhindern, wurde beinahe zur Obsession."(238) Die noch junge Demokratie fürchtete einen Putsch des Militärs und eine Rückkehr zur Diktatur. So bekannte sich das gesamte politische Spektrum zu einer "Amnestie aller für alle" (242). Zu den "Sperrzonen des Erinnerns" (246) gehörte auch die Schuldfrage; sie wurde häufig mit der Kollektivschuldthese beantwortet. Daran änderte sich auch in der Regierungszeit der Sozialisten 1982-1996 nur wenig. Das Beschweigen der Vergangenheit war an der Tagesordnung. Ein beredtes Beispiel bietet ein Beitrag des damaligen Premiers Felipe González, der 1986 zum 50. Jahrestag des Kriegsausbruchs erklärte, der Bürgerkrieg sei "kein Ereignis, dessen man gedenken sollte" (260). Ein grundlegender Wandel setzte erst Ende der neunziger Jahre ein. Entscheidend befördert wurde die öffentliche Aufarbeitung durch Bürgerinitiativen, die nach den anonymen Massengräbern ihrer Großväter forschen; Neueste Schätzungen gehen allein in Andalusien von 70 000 "Verschwundenen" aus. Insofern erscheint es verwunderlich, wenn die Arbeit solcher Initiativen - der Brinkmann ohnehin leider nur wenig Aufmerksamkeit schenkt - mit dem wenig erhellenden Etikett "modisch" belegt wird. Es ist die Generation der Enkel, die nun wagt, Fragen zu stellen.
Das Buch bietet insgesamt eine exzellente Analyse des Spanischen Bürgerkriegs und seiner geschichtspolitischen Auswirkungen bis in die Gegenwart. Beide Autoren zeigen sich als souveräne Kenner der überwiegend spanischsprachigen Literatur. Einige kleinere Ungenauigkeiten haben sich dennoch eingeschlichen: Beide Autoren sprechen fälschlich vom "Vernichtungslager" Mauthausen (124, 248); überdies finden sich voneinander abweichende Zahlenangaben zu den in Mauthausen Inhaftierten (124, 248); in Spanien wurden insgesamt nicht 10 000 (39), sondern etwa 19 000 Angehörige der Legion Condor eingesetzt; die Gesamtzahl der Internationalen Brigaden lag bei 40 000 bis 48 000 und nicht bei 59 000 (39) Mann.
Walter Lehmann