David Andress: The terror. Civil war in the French Revolution, London: Little, Brown Book Group 2005, X + 437 S., ISBN 978-0-316-86181-6, GBP 20,00
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Hélène Miard-Delacroix / Guido Thiemeyer (Hgg.): Der Rhein / Le Rhin. Eine politische Landschaft zwischen Deutschland und Frankreich 1815 bis heute / Un espace partagé entre la France et l'Allemagne de 1815 à nos jours, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2018
James M. Brophy: Popular Culture and the Public Sphere in the Rhineland, 1800-1850, Cambridge: Cambridge University Press 2007
Es ist ein Dilemma. Die Französische Revolution gehört zu den Geburtshelfern unserer modernen Welt und ist zugleich dafür verantwortlich, dass die Terreur erstmals ins europäische Bewusstsein rückte. Die Terreur war dabei von Beginn an ein Scheidepunkt, emotional und kontrovers diskutiert, polarisierend. So beschäftigte die Frage, ob die Revolution nun durch die Terreur ihre Unschuld verloren habe oder er ein notwendiges Übel zur Vollendung der Revolution gewesen sei, Historikergenerationen bis weit ins 20. Jahrhundert hinein. Gerade in den letzten Jahren ist die Terreur und die Frage der revolutionären Gewalt erneut in den Fokus der Forschung gerückt.[1] Dieses neu erwachte Interesse spiegelte im Januar 2007 ein Kolloquium in Rouen wider, dessen Thema "Les politiques de la Terreur (1793-1794)" lautete.[2]
Zu den Teilnehmern gehörte auch David Andress, der am Historischen Seminar der Universität Portsmouth lehrt. Zwei Jahre zuvor hatte Andress mit dem hier zu besprechenden Buch, dessen US-Ausgabe 2006 unter dem Titel "The Terror: The Merciless War for Freedom in Revolutionary France" erschien, eine Neuinterpretation der revolutionären Terreur versucht. Ein Versuch, der - um es vorweg zu nehmen - gelungen ist. Unter Berücksichtigung des aktuellen Forschungsstandes wendet sich Andress ausdrücklich an ein breites Publikum und schlägt dabei einen Bogen, der weit über sein eigentliches Thema - die Terreur - hinausgeht. Am Ende bietet er fast eine Gesamtdarstellung der Revolutionsgeschichte bis zum Jahr 1795. Seine besondere Aufmerksamkeit gilt dabei der Zeitspanne vom Sommer 1792 bis zum Sturz Robespierres am 9. Thermidor II (27. Juli 1794). Sein Hauptaugenmerk liegt dabei auf den Pariser Zuständen, ergänzt durch Exkurse zu den Ereignissen in den Regionen vor allem im Süden und Westen Frankreichs.
Andress gelingt dabei eine erzählende Geschichtsschreibung im besten Sinne des Wortes. Sein Stil zeichnet sich durch eine flüssige und klare Sprache aus. Dank einiger stilistischer Kniffe gelingt ihm eine oft spannende und phasenweise sogar packende Schilderung der Ereignisse. So lässt er den Leser zum Einstieg gerne direkt in die revolutionären Geschehnisse eintauchen. Der Fluchtversuch der königlichen Familie, der Sturm auf die Tuilerien oder die Septembermorde werden plastisch geschildert und dienen als Aufhänger, denen die eigentliche Analyse in Rückblenden folgt. Ebenso tragen zahlreiche eingestreute Kurzporträts, mit denen neu eingeführte Personen dem Leser vorgestellt werden, zur Anschaulichkeit der Darstellung bei.
Andress hat ein weites, über den engen Bereich staatlicher Repressionsmaßnahmen hinausgehendes Verständnis von dem, was die revolutionäre Terreur ist. Auch zeitlich sieht er ihn nicht auf die Jahre 1793/1794 beschränkt. Er schlägt einen Bogen von den ersten Gewaltausbrüchen im Sommer 1789 bis zur "Terreur gegen die Terreur" unter den Thermidorianern und seinem langsamen Ausklingen in den folgenden Jahren.
Wer eine enge, klar abgrenzende Definition erwartet, wird daher enttäuscht. Ebenso hütet sich Andress vor der Unterscheidung in eine "gute" oder eine "schlechte" Terreur. Sein Ziel ist es dagegen, den eigentlichen Kern dessen freizulegen, was die Terreur war.
Ein Kern, der durch die ideologischen Grabenkämpfe der Vergangenheit oftmals verdeckt worden sei. Zu wenig beachtet werde, so Andress, dass die Terreur vor allem auch die Konsequenz eines unerbittlich geführten Bürgerkrieges gewesen sei. Zu einer weiteren Verschärfung der Krise hätten der Krieg mit den europäischen Mächten und die bereits früh einsetzenden vielfältigen Aktivitäten der Revolutionsgegner beigetragen. Gerade der Gegenrevolution misst Andress eine große Verantwortung für die Eskalation der Ereignisse zu, überschätzt hier aber zum Teil ihr tatsächliches Potential. Besonders trifft dies auf die Émigrés zu, deren Beschwörung der Macht der Gegenrevolution eher als Fiktion denn als historisch real zu werten ist. Trotzdem hat Andress Recht, dass gerade die Aktivitäten der Revolutionsfeinde für die paranoiden Züge der Revolutionäre mitverantwortlich gewesen seien, die überall Verrat am Werk sahen.
Zu Recht will sich Andress angesichts dieser Gemengelage nicht mit einfachen Erklärungen zufrieden geben und setzt sich in diesem Zusammenhang expressis verbis von Simon Schama ab (5). Weder lasse sich die Revolution auf eine lange Abfolge von Blutbädern und Exzessen des Mobs reduzieren, noch sei die Terreur ein inhärentes Element der Revolution gewesen. Das Handeln der Menschen - und hier gleichermaßen der revolutionären Massen als auch der revolutionären Verantwortungsträger - sieht Andress dagegen von Beginn an als eine Reaktion auf bestimmte Vorfälle: "It is impossible in all conscience to absolve the revolutionaries of blame for their actions, especially in 1794 when the Terror proper was in train, and the judicial process itself was akin to a massacre of people who by any reasonable measure were innocent. But that historical moment was the outcome of a process, not its preordained goal" (5).
Das revolutionäre Frankreich sieht Andress 1793 am Abgrund. Es kämpfte nicht nur gegen innere und äußere Feinde, sondern rang zugleich mit den Folgen vielfältiger politischer, wirtschaftlicher, religiöser und kultureller Verwerfungen: "And in resorting to Terror, the revolutionaries preserved their country from the consequences of that disintegration, and went on to forge a military power that was to dominate Europe for twenty years" (6).
Andress ist weit davon entfernt, die Terreur zu heroisieren oder zu beschönigen. Seine Brutalität schildert er plastisch zum Beispiel am Schicksal der Prinzessin Lamballe (93-95). Er mahnt aber, dass man sich gerade bei diesem Thema ein Gefühl für die Proportionen bewahren müsse. So seien während des Amerikanischen Unabhängigkeitskriegs deutlich mehr Menschen zu Tode gekommen als im revolutionären Frankreich, setzt man die Zahl der Opfer in ein Verhältnis zur Bevölkerungszahl (2). Auch hätte gut die Hälfte der in den Pariser Gefängnissen Inhaftierten die Septembermorde überlebt (104).
Obwohl diese Hinweise zweifellos richtig sind, macht sich Andress hierdurch auch angreifbar, scheint es auf den ersten Blick doch so, als wolle er die Ereignisse relativieren. Andress will aber weder die Täter entschuldigen noch will er die gewaltsamen Exzesse legitimieren. Die Schuldfrage kann und will er nicht beantworten. Wichtiger ist es ihm zu zeigen, dass es ein langer Weg von den ersten spontanen Gewaltausbrüchen des Jahres 1789 bis zur institutionalisierten Terreur der Jahre 1793 und 1794 war. Ein Weg mit geringen Chancen auf einen gewaltfreien Ausgang angesichts der vielfältigen Bedrohungen.
Aber gibt nicht der Erfolg am Ende all denen Recht, die die Maschinerie der Terreur in Gang gesetzt haben? Zwei Leistungen, die gerade der späten, legalisierten staatlichen Terreur zuzuschreiben sind, hebt Andress besonders hervor: erstens die Schaffung der Armee des Jahres II und zweitens die enormen Rüstungsanstrengungen, die in großen Teilen des Landes dank der Revolutionskommissare durchgesetzt werden konnten (312). Diese Leistungen stehen auf der Habenseite der Terreur. Auf der Sollseite steht dagegen ein nicht aufzulösender Widerspruch: "The problem of the Terror was that its unrelenting quest to preserve and protect the fragile flower of personal liberty was also the engine of the destruction of that very thing" (373).
Dieses grundsätzliche Problem stellt sich heute wie vor 200 Jahren. Der Ruf nach Wachsamkeit gegen innere und äußere Feinde war nicht nur im revolutionären Frankreich der erste Schritt auf einem Weg, der zum Verlust von Freiheit und Leben führte. Gerade vor dem Hintergrund des Terroranschlags des 11. Septembers 2001 und des Kriegs gegen den Terror stellt sich diese Frage für Andress von neuem. Die Vergangenheit lehrt ihn, dass man vor allem wachsam gegenüber sich selbst sein müsse: "...that we should not assume that we are righteous and our enemies evil; that we can see clearly, and others are blinded by malice or folly; that we can abrogate the fragile rights of others in the name of our own certainty and all will be well regardless" (7).
Abschließend noch eine Anmerkung. Andress Buch ist nicht nur lesenwert, sondern auch reich ausgestattet. Drei Karten, 27 farbige Abbildungen, eine Zeitleiste der Revolution bis 1795, ein Glossar der wichtigsten Begriffe, Kurzporträts der wichtigsten Persönlichkeiten sowie ein Sach- und Personenregister lassen kaum Wünsche offen. Was fehlt ist allerdings ein Verzeichnis der verwendeten Literatur, die nur über den Anmerkungsapparat erschlossen werden kann. Dies, wie auch sein weitgehender Verzicht auf eine Diskussion des Forschungsstandes, sind wohl dem breiten Lesepublikum geschuldet, das er ansprechen will.
Anmerkungen:
[1] Zum Beispiel Jean-Clément Martin: Violence et Révolution. Essai sur la naissance d'un mythe national, Paris 2006; Patrice Gueniffey: La politique de la Terreur, Paris 2000; Sophie Wahnich: La Liberté ou la Mort. Essai sur la Terreur et le terrorisme, Paris 2003; Arno Mayer: The furies: violence and terror in the French and Russian Revolutions, Princeton 2000.
[2] http://grhis.wifeo.com/colloques-et-journees- detudes-organises-par-le-grhis-en-2006-2007.php#terreur
Christian Henke