Clé Lesger: The Rise of the Amsterdam Market and Information Exchange. Merchants, Commercial Expansion and Change in the Spatial Economy of the Low Countries, c. 1550 - 1630, Aldershot: Ashgate 2006, X + 326 S., ISBN 978-0-7546-5220-5, GBP 60,00
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Der spektakuläre ökonomische Aufstieg Amsterdams an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert ist ein Thema, das die Geschichtswissenschaft seit langem beschäftigt. Wie Clé Lesger einleitend betont, sind die Ursachen des Phänomens jedoch nach wie vor umstritten: Während die ältere Literatur zumeist der spanischen Belagerung und Einnahme des Handelszentrums Antwerpen (1585) und dem Zustrom von Flüchtlingen aus den südlichen Niederlanden entscheidende Bedeutung beimaß, haben J.G. van Dillen, Fernand Braudel, Jan de Vries und Ad van der Woude vor allem endogene Gründe für den Aufstieg Amsterdams namhaft gemacht. Insbesondere wiesen sie auf die Akkumulation von Kapital und kommerzieller Erfahrung in traditionellen Handelszweigen wie dem Ostseehandel hin. Mit Lesgers Studie schwingt das Pendel wieder ein gutes Stück in die andere Richtung, denn für den Amsterdamer Wirtschaftshistoriker war es der exogene Schock des niederländischen Aufstands, der den entscheidenden Impuls für die kommerzielle Schwerpunktverlagerung von Antwerpen nach Amsterdam gab.
Den Ausgangspunkt der Argumentation Lesgers bildet die niederländische Wirtschaft um die Mitte des 16. Jahrhunderts, die er durch ein hohes Maß an räumlicher Integration, einen intensiven Güteraustausch in der Kernregion - die die Provinzen Flandern, Brabant, Holland und Seeland umfasste - und ein hierarchisches System von Gateways charakterisiert sieht. Gateways sind für Lesger Hafen- und Handelsstädte, die spezialisierte Funktionen des Warenaustauschs zwischen ihrem jeweiligen Hinterland und weiter entfernten Regionen ausüben. Innerhalb dieses Gateway-Systems, an dessen Spitze um 1550 eindeutig das Welthandelszentrum Antwerpen stand, war Amsterdam das Bindeglied des niederländischen Handels mit Norwegen und den Ostseehäfen. Vergleichbare spezialisierte kommerzielle Funktionen hatten auch Städte wie Rotterdam, Middelburg und Dordrecht inne. Amsterdams Händler fungierten primär als Vermittler zwischen auswärtigen Kaufleuten und Schiffern und dem Hinterland ihrer Stadt. Durch eine Auswertung der Konvoigeldlisten kann Lesger zeigen, dass dieses Gateway-System noch in den frühen 1580er Jahren weitgehend intakt war.
Mit der Belagerung und Einnahme Antwerpens durch die Truppen des Herzogs von Parma im Jahre 1585 geriet dieses integrierte regionale Handelssystem jedoch aus den Fugen: Die Stadt an der Schelde wurde von wichtigen Handelswegen abgeschnitten und verlor einen Großteil ihrer Bevölkerung, und die militärische Frontlinie zwischen nördlichen und südlichen Niederlanden verfestigte sich mehr und mehr zu einer Territorialgrenze. Von der Umstrukturierung des Gateway-Systems, die dadurch in Gang gesetzt wurde, profitierte in erster Linie Amsterdam. Lesger argumentiert, dass Flüchtlinge aus den südlichen Niederlanden an diesem Neustrukturierungsprozess entscheidenden Anteil hatten. Obwohl sich auch einige alteingesessene Amsterdamer Kaufleute an der Erschließung neuer Märkte und Handelsrouten beteiligten, waren die Flüchtlinge aus dem Süden im Fernhandel alles in allem innovativer und erfolgreicher. Die etablierte politische Elite Amsterdams profitierte von der ökonomischen Expansion der Stadt in erster Linie, indem sie ihre privilegierte Stellung zu Grundstücksspekulationen und anderen lukrativen Geschäften nutzte.
In zwei abschließenden Kapiteln untersucht Lesger die Organisation des Amsterdamer Handels in der Phase der kommerziellen Expansion. Dabei verwirft er die Auffassung, dass die holländische Metropole als zentraler Stapelmarkt für den europäischen Warenhandel fungiert habe. Nur für ganz bestimmte Güter (wie asiatische Gewürze) war Amsterdam tatsächlich das Distributionszentrum, während andere Waren über andere Häfen innerhalb des flexiblen und anpassungsfähigen niederländischen Gateway-Systems umgeschlagen wurden. Entscheidend, so Lesger, sei vielmehr Amsterdams Rolle als Informationszentrum gewesen. Reisende Kaufleute, Handelskorrespondenzen, spezialisierte Makler, die Börse und der Buchdruck machten die Stadt zu einem Knotenpunkt für die Sammlung, Aufbereitung und Verbreitung kommerziell relevanter Nachrichten. Dies war für die europäische Wirtschaft von erheblicher Bedeutung, denn die Konzentration von Informationen ermöglichte den Ausgleich regionaler Disparitäten zwischen Angebot und Nachfrage und stabilisierte dadurch die Preise.
Lesgers Studie verbindet auf elegante und schlüssige Weise ökonomische und geographische Theorien mit den empirischen Befunden, die er aus der Rezeption der einschlägigen Sekundärliteratur und umfangreichen archivalischen Quellenstudien gewonnen hat. Sie stellt sowohl unter inhaltlichen als auch unter methodischen Gesichtspunkten einen wichtigen Beitrag zur frühneuzeitlichen Wirtschaftsgeschichte dar.
Mark Häberlein