Rezension über:

Rainer Karlsch: Uran für Moskau. Die Wismut - Eine populäre Geschichte, Berlin: Ch. Links Verlag 2007, 280 S., 55 Abb., 1 Karte, ISBN 978-3-86153-427-3, EUR 14,90
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Matthias Uhl
Deutsches Historisches Institut, Moskau
Redaktionelle Betreuung:
Dierk Hoffmann / Hermann Wentker im Auftrag der Redaktion der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte
Empfohlene Zitierweise:
Matthias Uhl: Rezension von: Rainer Karlsch: Uran für Moskau. Die Wismut - Eine populäre Geschichte, Berlin: Ch. Links Verlag 2007, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 3 [15.03.2008], URL: https://www.sehepunkte.de
/2008/03/13105.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Rainer Karlsch: Uran für Moskau

Textgröße: A A A

Was auf den ersten Blick - auch von der äußeren Aufmachung her - wie eine Neuauflage der gemeinsam vom Autor mit Zbynek Zeman verfassten "Urangeheimnisse" [1] aussieht, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als überaus gelungene Studie zur Geschichte der lange Zeit geheimnisumwitterten Wismut AG, einem Staat im Staate DDR. Es ist eine - wie bereits der Untertitel des Buches verspricht - populäre Darstellung jenes streng abgeschirmten Mammutunternehmens auf ostdeutschen Boden, welches das sowjetische Atomwaffenprogramm über einen Zeitraum von mehr als vierzig Jahren mit rund 230 000 Tonnen Uranerz versorgte und mit den Grundstein dafür legte, dass die Sowjetunion im Kalten Krieg fast doppelt so viele Kernwaffen anhäufte wie die Supermacht USA.

Lange Zeit galt die im Erzgebirge geförderte Pechblende als Abfallprodukt bei der Silbergewinnung. Das darin enthaltene Uranerz wurde erst mit Entdeckung der Kernspaltung von Interesse. Allerdings blieben die sächsischen Lagerstätten während des Zweiten Weltkrieges weitgehend ungenutzt, da das deutsche Kernwaffenprogramm sein Uran vor allem aus erbeuteten belgischen und französischen Quellen bezog. Der Gefährlichkeit des neuen Stoffes war man sich gleichwohl bewusst. So setzte sich Ende 1940 der Betriebsleiter der Joachimsthaler Bergbau GmbH dafür ein, dass das Unternehmen "in Zukunft grundsätzlich keine vollwertigen deutschen Arbeiter beschäftigt; der Betrieb ist entweder mit bestimmten ausländischen Arbeitskräften oder auch mit Strafgefangenen durchzuführen." Zur Begründung wurde angegeben, es sei nicht zu verantworten, "dass wertvolle Volksgenossen eine Arbeit leisten müssen, die bei längerer Verrichtung mit einer gewissen Sicherheit zum frühzeitigen Tod durch Lungenkrebs führt" (26 f.). Glücklicherweise verschwand dieser verbrecherische Plan in der Schublade.

Im Gegensatz zu Deutschland und den USA sah sich das seit 1944 forcierte sowjetische Atomwaffenprogramm einer beträchtlichen "Uranlücke" gegenüber. Experten hatten dem Leiter des Vorhabens, Lavrentij P. Berija, Anfang 1945 vorgerechnet, dass die UdSSR beim Stand der gegenwärtigen Uranproduktion mindestens zehn Jahre benötigen würde, um allein einen Reaktor in Betrieb nehmen zu können. Seit Frühjahr 1945 suchten sowjetische Spezialisten in den von der Roten Armee besetzten Gebieten Europas deshalb fieberhaft nach neuen Uranlagerstätten. Im Erzgebirge wurden die sowjetischen Suchkommandos fündig. Im Frühjahr 1946 begann in Johanngeorgenstadt die Förderung der ersten Pechblende für die Sowjetunion. Im Sommer des gleichen Jahres entstand aus der bisherigen Sächsischen Erkundungsexpedition des sowjetischen Geheimdienstes die "Sächsische Bergbauverwaltung des NKVD". Überhaupt hielt die Geheimpolizei alle Fäden bei der Ausbeutung der ostdeutschen Uranerzlagerstätten in der Hand.

Die Sonderstellung der sächsischen Bergbaugebiete, die unter sowjetischer Leitung standen, wurde durch die Bildung der Wismut AG am 10. Mai 1947 bestätigt. Die formal nach dem bürgerlichen deutschen Aktienrecht operierende Wismut überführte die Bergbauverwaltungen Johanngeorgenstadt, Schneeberg, Oberschlema, Annaberg, Lauter und Marienberg in sowjetisches Eigentum und erklärte damit ein Gebiet mit rund 1,6 Millionen Einwohnern zu ihrem "Interessengebiet". Damit lebten knapp 30 Prozent der Bevölkerung des Landes Sachsen in einer Sonderzone.

Die Struktur des neu gebildeten Unternehmens entsprach dem sowjetischen Vorbild und die Wismut AG agierte als reines Staatsunternehmen der UdSSR. Zugleich genoss kein Unternehmen in der SBZ bei der Besatzungsmacht eine höhere Priorität. Der rasche Ausbau der Strukturen war vor allem auf ein autarkes Handeln ausgerichtet. Doch nicht nur die betriebswirtschaftlichen Verhältnisse tendierten frühzeitig zum geschlossenen System, die Politik folgte ebenfalls dieser Tendenz. Von vornherein ließ die sowjetische Besatzungsmacht in den Einrichtungen der Wismut AG nur die SED zu. Bürgerlichen und so genannten Blockparteien wurde hier jegliche Betätigung untersagt. Darüber hinaus sicherten die sowjetischen Geheimdienstoffiziere die vollständige politische Kontrolle.

Dass sich die Wismut AG gleichwohl nicht zum "Gulag im Erzgebirge" entwickelte, lag an mutigen Gewerkschaftern, die der sozialdemokratischen Tradition folgend sich mit großer Courage für ihre Kollegen einsetzten und insgesamt eine Trendwende bewirkten. Ihr Einsatz legte die Grundlagen dafür, dass sich die Wismut AG "nicht zu einem Workuta auf deutschem Boden" entwickelte (71). Dennoch war gerade in der Anfangsphase der Arbeitsalltag von beträchtlichen Härten geprägt. Der rasche Anstieg der Beschäftigten - innerhalb von fünf Jahren stieg die Belegschaft von 5000 auf mehr als 200 000 - führte zunächst immer wieder zu massenhaften Zwangsverpflichtungen, erst allmählich setzte sich die Erkenntnis durch, dass mit "freiwilligem" Personal bessere Arbeitsleistungen zu erzielen waren. Die straffe, fast militärähnliche Disziplin im Bergbau und seit Jahrhunderten dort fest gefügte Hierarchien machten gerade Neueinsteigern das Leben schwer. Hinzu kam, dass durch das hohe Aufbautempo wichtige Sicherheitsfragen vernachlässigt wurden. Arbeitsunfälle und schwerwiegende Erkrankungen durch Strahlenschäden gehörten zur Tagesordnung. Zu Beginn der fünfziger Jahre lag die jährliche Strahlenbelastung der Wismut-Bergleute 37,5fach über dem international empfohlenen Grenzwert. Es kann also nicht verwundern, dass 90 Prozent der an Lungenkrebs oder Silikose erkrankten Bergleute der ersten Wismutgeneration angehörten.

Bis 1949 lieferte die Wismut AG ihr Uranerz unentgeltlich an die Sowjetunion. Dem Vorschlag der SMAD, zumindest einen Teil der Lieferungen dem Reparationskonto gutzuschreiben, lehnte Moskau zunächst immer wieder ab, "weil die Produktion der Wismut AG in den letzten Jahren bereits alle anderen Reparationsleistungen überstieg" (105). Erst nach längeren Verhandlungen erklärte sich die Sowjetunion bereit, jährlich 88,9 Millionen Dollar für die deutschen Uranlieferungen als Wiedergutmachung anzuerkennen. Um allerdings einen fiktiven "Reparationsdollar" durch Uranlieferungen zu erwirtschaften, musste die SBZ/DDR etwa 44 Mark aufwenden. Der Uranbergbau entzog so der ohnehin kriegs- und teilungsgeschwächten DDR-Wirtschaft "permanent gegenwertlose Ressourcen und führte zum Aufbau eines dauerhaft subventionsbedürftigen Industriezweiges" (109).

Auch nach der 1954 erfolgten Bildung der Sowjetisch-Deutschen Aktiengesellschaft Wismut, bei der die DDR nochmals innerhalb von fünf Jahren eine Milliarde Mark an die UdSSR für die bereits 1946 von der Besatzungsmacht enteigneten Bergwerke zu zahlen hatte, blieb die Frage nach der Kosten-Nutzen-Rechnung der Uranproduktion weitgehend ungelöst. Erst mit dem Regierungsabkommen zwischen der DDR und der Sowjetunion vom 7. Dezember 1962 fanden beide Seiten eine gültige Kompromissformel; durch die weitgehende Einführung des DDR-Rechtes endete bei der Wismut das Nachkriegszeitalter.

Die nachfolgenden Jahre der Wismut charakterisiert Karlsch als Blütezeit des Unternehmens. Tatsächlich gelang es, durch Rationalisierung den Selbstkostenpreis für die Uranproduktion drastisch zu senken. Zugleich erfolgten umfangreiche Investitionen zur Verbesserung des Gesundheits-, Strahlen- und Umweltschutzes. Mitte der siebziger Jahre waren allerdings die besten Jahre der SDAG Wismut vorbei. Die Qualität der Lagerstätten nahm ab und die Kosten für die Produktion stiegen unaufhörlich. Zudem zehrte die DDR-Wirtschaft bereits zunehmend von der Substanz, dringend benötigte Investitionsmittel fehlten. Daher wurde zunächst am Umweltschutz gespart. Die Folgen waren gravierend. Gleichwohl kamen die DDR-Regierungsstellen in ihren öffentlichen Gutachten zu dem Schluss, dass von den verstrahlten Halden und Absetzanlagen keine Gefahr für die Umwelt ausgehe. Umweltbelastungen durch Uran wurden als "Preis im Friedenskampf" angesehen und der Staat wusste sich der unabhängigen Umweltbewegung nicht anders zu erwehren als durch Repression. Als mit der friedlichen Revolution von 1989 der Uranabbau sein Ende fand, wurde das ganze Ausmaß der Umweltzerstörung deutlich: "3700 ha Flächen waren zu sanieren, über 300 Mio. m3 Haldenmaterial mussten verwahrt und Schlammteiche mit einem Volumen von mehr als 160 Mio. m3 Inhalt versiegelt werden" (199). Bis Ende 2005 flossen mehr als 4,6 Milliarden Euro in die Sanierung dieser Gebiete. Die gesundheitlichen Folgen des Uranbergbaus sind ebenfalls beträchtlich, mehr als 45 000 Bergleute bezahlten ihren Einsatz für die Urangewinnung mit schweren gesundheitlichen Folgen bis hin zum Tod.

Mit seiner Studie über die Wismut hat Karlsch ein rundum gelungenes Buch vorgelegt, das von den umfangreichen Vorarbeiten des Autors profitierte. Wünschenswert wäre allerdings gewesen, wenn er kurz auf die Urannutzung in der Sowjetunion eingegangen und nicht verschwiegen hätte, dass ein nicht geringer Teil des bei der Wismut gewonnenen Urans als Teil atomarer Gefechtsladungen wieder zurück auf DDR-Territorium gelangte. Dies sind jedoch Petitessen. Wer etwas über die Geschichte des Uranbergbaus in der DDR wissen möchte, wird an dieser "ersten populären Gesamtdarstellung der Wismut AG" nicht vorbeikommen.


Anmerkung:

[1] Rainer Karlsch / Zeman Zbynek: Urangeheimnisse: Das Erzgebirge als im Brennpunkt der Weltpolitik 1930-1960, Berlin 2002.

Matthias Uhl