Stephan Conermann: Das Mogulreich. Geschichte und Kultur des muslimischen Indien (= C.H. Beck Wissen; Bd. 2403), München: C.H.Beck 2006, 128 S., ISBN 978-3-406-53603-8, EUR 7,90
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Das Mogulreich, dessen Herrscher im Westen mit sprichwörtlichem Reichtum und immenser Prachtentfaltung assoziiert werden, erfreut sich, besonders in den anglophonen Ländern, stetiger Aufmerksamkeit. Zahlreiche Forschergenerationen haben die Erschließung des Quellenmaterials vorangetrieben und sich in immer wieder neuen Studien um eine angemessene Darstellung der historischen Ereignisse und diversen kulturellen Aspekte bemüht. Bei den hierbei entstandenen Monographien und Aufsätzen handelt es sich jedoch fast ausschließlich um Fachliteratur, die sich naturgemäß an den eingeschränkten Kreis der Spezialisten richtet. Das breite Leserpublikum, zumal auf dem deutschsprachigen Buchmarkt, muss sich mit einer eher mageren Auswahl begnügen, die gewöhnlich mehr Wert auf leichte Lesbarkeit und ansprechende Illustrationen als auf die Wiedergabe neuester Forschungsergebnisse legt. Das vorliegende Buch von Stephan Conermann schließt eine Lücke in der deutschen Buchlandschaft. Der Leser erhält auf 128 Seiten konzentrierte Informationen zum Mogulreich, in denen, gemäß der Zielsetzung von Beck-Wissen, die wesentlichen Themen und Fragestellungen knapp, kompetent und auf der Höhe des aktuellen Wissenstandes dargestellt werden.
Eine zweiseitige Einführung gibt anhand einiger wesentlicher Eckdaten eine Makroperspektive der Mogulgeschichte. Es folgen drei große Kapitel, die der Reichsgründung unter Babur und Humayun, der Blütezeit unter den Herrschern Akbar, Jahangir und Shah Jahan (1556-1659) und schließlich dem Zerfall des Imperiums gewidmet sind.
Das erste Kapitel bietet über die politischen Ereignisse hinaus eine Übersicht über wichtige ethnische und religiöse Bevölkerungsgruppen im Norden Indiens. Viel Raum ist der Frage gewidmet, auf welche Weise die Islamisierung Indiens vor sich gegangen ist, die in den Zentralregionen und an der Peripherie unterschiedlich intensiv stattgefunden hat. Die verschiedenen Thesen und die wichtigsten Einwände dagegen werden vorgestellt.
Das zweite Kapitel behandelt vorrangig die zentrale Institution des Verwaltungsapparates, der unter Akbar neu strukturiert wurde und das Erscheinungsbild des Mogulreiches wesentlich geprägt hat. Vorgestellt werden die Bezeichnungen und Funktionen der diversen Beamten, das mansabdar-System, in dem Rang und Besoldung des zivilen und militärischen Personals geregelt waren, der Aufbau der Armee, die Formen der Landzuweisungen und damit zusammenhängend auch das Steuersystem. Die Kenntnis der hier übersichtlich präsentierten Begrifflichkeit ist für das Verständnis der zeitgenössischen Quellen unentbehrlich und nimmt nicht zufällig in allen umfassenderen Darstellungen des Mogulreiches einen festen Platz ein.
Im deutlichen Unterschied zu John F. Richards [1], der die Darstellung kriegerischer Auseinandersetzungen in einer Mogulgeschichte für vorrangig bedeutsam hält, ist Conermann merklich bestrebt, militärische Aktionen so kurz wie möglich abzuhandeln. Gleichwohl kommt auch er nicht umhin, die zahlreichen ausgedehnten Feldzüge Shah Jahans und seines Nachfolgers zu erwähnen. Insbesondere der Kampf Awrangzebs gegen die Marathen bedarf größerer Aufmerksamkeit, ist er doch unschwer als Vorbote für das unaufhaltsame Auseinanderbrechen des Reiches erkennbar.
Die Herrschaft der Dynastie endet offiziell im Jahre 1858 mit der Verbannung des letzten Mogulherrschers Bahadur Shah II. und der Umwandlung Indiens in eine britische Kolonie. Der Niedergang setzte jedoch schon viel früher an. Es wird der umfangreichen Diskussion um die Gründe für den Zusammenbruch des Mogulreiches gerecht, dass der Autor die komplexen Ursachen in einer fast vierseitige Analyse ausführlich darlegt. Faktisch hat die Mogulherrschaft ihr Ende bereits um 1700 erreicht, weil sie von diesem Zeitpunkt an nicht mehr in der Lage ist, als zentrale Autorität das Reich zu kontrollieren und regionale Fürstentümer zunehmend die Macht an sich reißen.
Bei der Lektüre des Buches ist die Spezialisierung des Verfassers auf die Historiographie unübersehbar. Sehr hervorzuheben ist sein grundsätzlich vorsichtiger Umgang mit allen Angaben in zeitgenössischen historischen Quellen und seine Hinweise darauf, dass diese gewöhnlich bestimmten Interessen verpflichtet sind. Vorzugsweise werden hier Idealbilder gezeichnet, die weniger einem realen Abbild der Wirklichkeit als vielmehr dem Wunsch nach einer Überhöhung des Auftraggebers nachkommen.
Wie bei jedem Buch gibt es auch in diesem Fall etwas zu kritisieren. Zu erwähnen ist eine merkwürdige Passage auf Seite 22f., die auch nach mehrmaliger Lektüre rätselhaft bleibt. Da heißt es: "Die Qadiriyya (....) führt sich zurück auf den hanbalitischen Mystiker Abd al-Qadir al-Jilani (gestorben 1166) und kam durch Muhammad Ghawth, der 1482 ein Ordenshaus in Uchch bauen ließ, nach Südindien. Etablieren konnte sich die Qadiriyya dort aber erst unter Shah Ni'mat-Allah (gestorben 1430/31) und Makhdum Muhammad Gilani (gestorben 1517) während der Mogulzeit." Selbst der unkundige Leser wird sich fragen, wie die Daten 1430 und 1517 der Mogulzeit zugeschlagen werden können, und wieso vom Bau eines Ordeshauses im Jahre 1482 die Rede ist, eine Etablierung der Qadiriyya aber erst unter Shah Ni'mat Allah stattgefunden habe, der schon 1430 gestorben ist.
Hier scheinen sich bei der Textbearbeitung einige Satzteile dem Löschen widersetzt zu haben. Wohl ist richtig, dass Muhammad Ghawth 1482 ein Ordenshaus der Qadiriyya in Uchch gegründet hat. Uchch liegt im heutigen Pakistan in der Nähe von Multan; in diesem Zusammenhang von Südindien zu sprechen, ist missverständlich, wird doch mit Südindien eher der Dekkhan assoziiert. Eben dort, nämlich im Bahmanidenreich, waren die schiitischen Ni'mat-Allahis aktiv. Um 1425 kam zunächst Mir Nur-Allah b. Shah Khalilullah, ein Enkel des Ordensgründers Shah Ni'mat-Allah Wali auf Einladung von Ahmad Shah nach Bidar. Nach dem Tode Shah Ni'mat-Allah Walis in Mahan (Iran) im Jahre 1430 folgte Shah Khalilullah mit zwei weiteren Söhnen, die, wie schon Mīr Nur-Allah, in die königliche Familie einheiraten durften. Durch die Tätigkeit des berühmten Wesirs Mahmud Gilani (oder Mahmud Gawan; hingerichtet 1481), der selbst Schiit war, erhielt die Schia im Bahmanidenreich seit seinem Amtsantritt 1463 weitere intensive Förderung. [2]
Die umfangreiche Mogulgeschichte auf ein kompaktes Maß zusammenzufalten, das der begrenzten Seitenzahl von Beck Wissen entspricht, ist ein kleines Kunststück. Aus der Fülle des Materials hat der Autor eine Auswahl getroffen, in der sich die wichtigsten Fragestellungen der aktuellen Forschung, natürlich auch Conermanns eigener Studien, widerspiegeln. Die Informationsdichte macht das Büchlein gleichzeitig zu einer handlichen Einführung und zu einem praktischen Nachschlagewerk.
Anmerkungen:
[1] John F. Richards: The New Cambridge History of India. The Mughal Empire, Cambridge 1993, XV f.
[2] (Vgl. Terry Graham: The Ni'matu'll ā hī Order under Safavid Suppression and in Indian Exile, in: The Heritage of Sufism. Late Classical Persianate Sufism (1501-1750), Bd. III., hg. von: L. Lewisohn / u.a., Oxford 1999, 165-200. Und: S.A.A. Rizvi: A History of Sufism in India, Bd. II New Delhi 1992, 55.)
Heike Franke