Hannes Möhring: Saladin. Der Sultan und seine Zeit, 1138-1193, München: C.H.Beck 2005, 126 S., ISBN 978-3-406-50886-8, EUR 7,90
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In dem berühmten Tagebuch des andalusischen Mekkapilgers Ibn Dschubair aus dem späten 12. Jahrhundert lesen wir den folgenden Eintrag aus Damaskus:
"Nördlich dieses Landes ist keines, das dem Islam zugehört, der größte Teil von Syrien befindet sich in den Händen der Franken. Gott in seiner Güte gab den Muslimen diesen Sultan, der sich nie an einen Ort der Ruhe zurückzieht, noch lange der Muße pflegt oder aufhört, den Sattel zu seinem Ratstuhl zu machen. Wir sind in dieser Stadt zwei Monate gewesen; als wir hier einzogen, war er schon abmarschiert zur Belagerung der Feste al-Karak [...]. Möge Gott ihm helfen, sie zu erobern!"
Die kurze Eloge gilt natürlich niemand anderem als Saladin (1138-1193). Sie enthält eine der wichtigsten Typifizierungen des Sultans: die des unermüdlichen Kämpfers gegen die Kreuzfahrer. Und tatsächlich bleibt er auch heute noch vor allem für seinen glänzenden Sieg über das christliche Heer und die Einnahme Jerusalems im Jahr 1187 in Erinnerung. Darüber hinaus verbinden sich im Westen einigermaßen ungewöhnliche Bilder mit Saladin: "Dschihad-Kämpfer" - "edler Heide" - "toleranter Herrscher". Als solchen portraitierte ihn in der Aufklärung bekanntlich sogar Lessing in "Nathan der Weise".
Um so mehr erstaunt, dass es bislang keine umfassende Biographie Saladins aus deutscher Feder gab. Dass mit Hannes Möhrings in C. H. Becks "Wissen"-Reihe erschienener Einführung "Saladin. Der Sultan und seine Zeit, 1138-1193" diese Lücke nun zumindest in kleinem Maßstab geschlossen wird, darf daher erfreuen.
Der Bayreuther Historiker und Orientalist Möhring hat bereits 1980 eine Dissertation zu Saladin und dem Dritten Kreuzzug vorgelegt, die sich maßgeblich auf arabische Quellen stützt. Anliegen und Anspruch des nun vorliegenden Buches ist es, eine Biographie zu schreiben, "die auch Einblicke in die Persönlichkeit gibt" (7). Seine militär- und diplomatiegeschichtliche Orientierung behält Möhring allerdings auch in "Saladin" über weite Teile bei - nicht immer zum Vorteil des Buches.
Dafür weiß der Autor, was er seiner - mit arabischer Geschichte vermutlich wenig vertrauten - Leserschaft schuldig ist. In zwei einleitenden Kapiteln (9-33) schlägt er einen weiten Bogen von den islamischen Eroberungen des 7. Jahrhunderts bis hin zur Gründung der Kreuzfahrerstaaten und den resultierenden Machtverschiebungen. Das Fürstentum Antiochia, das Königreich Jerusalem und die beiden Grafschaften Edessa und Tripolis wurden rasch in das regionale Staatengefüge einbezogen. Von einem einheitlichen islamischen Reich konnte zu dieser Zeit längst keine Rede mehr sein: In einem ausbalancierten System wechselnder Allianzen hielten sich die seldschukischen Kleinfürstentümer zwischen Damaskus und Mosul gegenseitig in Schach. In Bagdad saß zwar noch ein Abbaside auf dem Kalifenthron, doch politisch hatte er nicht viel zu bestimmen.
Möhring interessiert sich hier vor allem für das Verhältnis von Christen und Muslimen zueinander. Die Quellen, macht er deutlich, lassen kein generelles Bild zu, vor allem was die Lage der Muslime unter der Kreuzfahrerherrschaft betrifft. Insbesondere nachdem es in mehreren Städten zu Massakern seitens der "Franken" (so die Sammelbezeichnung für die Kreuzfahrer) gekommen war, seien viele Muslime aus den christlichen Herrschaftsbereichen geflüchtet, sofern sie nicht versklavt worden waren. Auf der anderen Seite gab es offenbar in manchen Kreuzfahrerstädten Moscheen, und der Tod König Balduins III. im Jahr 1163 soll auch von Muslimen betrauert worden sein.
Dass gängige Stereotype religiöser Feindschaft nicht immer greifen, belegen auch die politischen Entwicklungen der folgenden Jahrzehnte. Mitte des 12. Jahrhunderts kam es unter den Zengiden von Aleppo und Mosul zu einer gewissen Machtkonsolidierung. Die Folge waren neue Bündniskonstellationen; wie schon zuvor spielte die Religionszugehörigkeit dabei keine große Rolle: So schmiedete der muslimische Herrscher von Damaskus ein "Eventualbündnis" (29) mit dem Königreich Jerusalem, um sich gegen seinen machthungrigen Rivalen Nuraddin zu schützen. Gleichzeitig riefen einzelne muslimische Herrscher immer wieder zum "Dschihad" gegen die Kreuzfahrer auf; Möhring sieht darin jedoch hauptsächlich ein "Instrument zur Erweiterung der eigenen Macht" (25). Insbesondere Saladin sollte sich dieses Instruments wenige Jahre später ausgiebig bedienen.
Saladin (Salah ad-Din Yusuf Bin Ayyub) gehörte einer Familie kurdischer Söldner aus Eriwan an, die sich in Diensten des syrischen Zengidenherrschers Nuraddin hochgearbeitet hatten. In den 1160er Jahren ging er nach Ägypten, das Nuraddin von fern kontrollierte; dort wurde er vom Kairoer Fatimidenkalifen 1169 zum Wesir ernannt. Saladin diente somit zwei Herren: dem schiitischen Kalifen von Kairo und - als Oberbefehlshaber von dessen ägyptischen und syrischen Truppen - zugleich dem Sunniten Nuraddin in Damaskus. Das Misstrauen im Verhältnis zwischen Nuraddin und Saladin wuchs, als letzterer in Ägypten eigene Truppen aufstellte, um 1171 dann die "ketzerische" Fatimidenherrschaft zu beenden. Die Freitagspredigt in Kairo wurde nun wieder nach sunnitischer Tradition im Namen des Bagdader Kalifen gehalten.
Wäre Nuraddin nicht schon drei Jahre später gestorben, hätte die zunehmende Rivalität beider möglicherweise zu einer direkten Konfrontation geführt. So hatte Saladin vergleichsweise leichtes Spiel, sich gegenüber Nuraddins Nachfolgern in Damaskus durchzusetzen. Dennoch gelang es ihm erst 1186, sich ganz Syrien und Nordmesopotamien untertan zu machen; Kämpfe mit Truppen des Königreichs Jerusalem sowie die Machtsicherung in Ägypten beschäftigten ihn immer wieder. Möhring schildert dies alles ausführlich; für den Geschmack des Rezensenten etwas zu ausführlich und ereignisgeschichtlich ausgerichtet. Feldzug folgt hier auf Feldzug, Abkommen auf Abkommen. Sinnvoller wäre es vielleicht gewesen, den Blick etwas öfter auf grundsätzlichere Strukturen und Entwicklungen zu richten.
Immerhin stellt Möhring zu Recht die Instrumentalisierung der Religion durch Saladin heraus. Den Dschihad-Gedanken stellte der Ayyubide nämlich von Beginn an in den Mittelpunkt seiner Propaganda, freilich mit einer listigen Logik: Nur ein vereintes islamisches Reich könne den Franken Paroli bieten, ließ er den Kalifen in Bagdad zur Begründung seiner Aktionen gegen die syrischen Rivalen wissen. Aber auch in südlicher Richtung, nach Nubien und in den Jemen, griff er aus: "Die ständige Expansion sollte zur Grundlage und zum Kennzeichen von Saladins Herrschaft werden." (53)
Die wachsende Macht des mittlerweile zum Sultan ernannten Saladin ließ die christlichen Machthaber zu Recht nervös werden. 1186 ergab sich dann eine günstige Gelegenheit, als Rainald von Châtillon unter Verletzung der Waffenruhe eine Karawane überfiel. Im Sommer 1187 kam es bei den Hörnern von Hattin, in der Nähe des Sees Genezareth, zur Entscheidungsschlacht. Ohne ausreichende Wasserversorgung waren die Kreuzfahrer in der Sommerhitze hoffnungslos unterlegen. Die Muslime erbeuteten unter anderem die Reliquie des Heiligen Kreuzes, und nach der Schlacht hieb Saladin seinem Schwur gemäß Rainald eigenhändig nieder. Von seinem Sekretär und Chronisten 'Imadaddin al-Isfahani wurde eine eindrückliche Schilderung der Szene verfasst; Möhring gibt sie leider nur gerafft wieder, wie er überhaupt so gut wie nie aus den Quellen zitiert.
Nach diesem Sieg hatte Saladin militärisch freie Hand im Königreich. Dass die Einnahme Jerusalems weitgehend unblutig ablief und der Großteil der Bewohner sich freikaufen konnte - Möhring weist darauf hin, dass dies durchaus nicht für die gesamte Bevölkerung galt -, war eher politischen Überlegungen als der später gerühmten Milde Saladins zu verdanken. Überhaupt war die Eroberung der Stadt in erster Linie in propagandistischer Hinsicht von Bedeutung, strategisch und wirtschaftlich dagegen kaum.
Bis zu seinem Tod sechs Jahre später sollte Saladin mit den Kreuzfahrern beschäftigt bleiben. Weiteren Siegen stand der Verlust Akkons nach langwieriger Belagerung gegenüber; gegen Richard Löwenherz konnte Saladin immerhin ein günstiges Verhandlungsergebnis erzielen und Jerusalem behalten. Das von ihm geschaffene Reich dagegen zerfiel nicht lange nach seinem Tod 1193: Da nach ayyubidischem Grundsatz alle engeren Clanangehörigen berechtigt waren, an der Macht beteiligt zu werden, kam es zu einer "Familienföderation" (Heinz Halm) von Regionalherrschern.
Saladins Bruder, al-Malik al-'Adil, konnte dieses Reich zwar noch einmal integrieren, den langfristigen Verfall jedoch nicht aufhalten. Sein Sohn al-Kamil konzedierte in dem berühmten Abkommen mit Kaiser Friedrich II. 1229 die Herrschaft über Jerusalem. Ohnehin waren die Kreuzfahrer zu dieser Zeit aber nicht mehr das größte Problem für die Muslime; im Nordosten drängten bereits die Mongolen heran. 1250 usurpierten in Kairo die Mamluken den Sultansthron, und 1258 fiel Bagdad unter dem Ansturm Hülagüs. 1271 verloren die Kreuzfahrer ihre letzte Hauptstadt Akkon.
Bleibende Impulse setzte die Kreuzzugszeit in den Bereichen Handel und Wissenschaft. Von beidem liest man in diesem Buch wenig. Saladins zusammenhängende Eroberungen verliehen ihm die Kontrolle sowohl über den Seehandel über das Rote Meer als auch über den Abschnitt der Seidenstraße, der von Aleppo ans Mittelmeer führte. Verschiedene Handelsabkommen mit Europäern, vor allem mit den italienischen Seerepubliken, waren die Folge. Als sich ihre Situation vor Ort verschlechterte, waren sie es, die die Kreuzzugsbestrebungen in Europa am energischsten unterstützten.
Auch andere Fragen wären einer ausführlicheren Erläuterung wert gewesen: Auf welche Personengruppen stützte sich Saladins Macht? Wie hielt der Herrscher Hof? Möhring gibt einige Hinweise auf wirtschaftliche Strukturen - etwa das Militärlehen-System - und Saladins öffentliche Islampolitik, die sich offenbar eng an koranischen Vorgaben orientierte. Allerdings ist die Frage, inwieweit die Quellen hier ein zuverlässiges, nicht von Herrscherlob überdecktes Bild zeigen. Einig sind sich alle Berichte darin, dass der Sultan von überaus großer Freigiebigkeit gewesen sein soll; so sehr, dass er ständig mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte.
Fromm, freigiebig und in gewissen Grenzen tolerant - so könnte man den Eindruck von Saladin zusammenfassen, der bei der Lektüre entsteht. In einem kurzen Abschlusskapitel zeichnet Möhring die Entwicklung des Saladin-Bildes in der westlichen und in der arabischen Welt nach - in letzterer wurde er vor allem seit Ende des 19. Jahrhunderts als "Freiheitsheld" wiederentdeckt. Den schweren Vorhang späterer Legendenbildungen beiseitezuziehen, gelingt ihm jedoch nicht - dies hätte ein genaueres Eingehen auf den Charakter der jeweiligen Quellen erfordert. Letzten Endes bleibt Saladin auch in dieser konventionellen Biographie, deren Wert vor allem in der detaillierten Nachzeichnung der politischen und Ereignisgeschichte liegt, in gewisser Weise unerreichbar.
Christian H. Meier