Anna-Carola Krausse: Lotte Laserstein (1898-1993). Leben und Werk, Berlin: Dietrich Reimer Verlag 2006, 392 S., 1 CD-ROM, ISBN 978-3-496-01347-1, EUR 49,00
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Sigrid Lange: Das Spätwerk von Rudolf Schlichter (1945-1955), Hamburg: Verlag Dr. Kovač 2011
Meike Hoffmann: Leben und Schaffen der Künstlergruppe 'Brücke' 1905-1913. Mit einem kommentierten Werkverzeichnis der Geschäfts- und Ausstellungsgrafik, Berlin: Dietrich Reimer Verlag 2005
Gerald Geilert: OCTOBER-Revolution in der amerikanischen Kunstkritik, München: Wilhelm Fink 2009
In den letzten Jahren sind das Bild der "Neuen Frau" in der Weimarer Republik sowie die Beteiligung von Künstlerinnen am freilich heterogenen Zeitstil der Neuen Sachlichkeit von der feministisch orientierten kunsthistorischen Forschung in wichtigen Analysen z.B. zum Wettbewerb um das "schönste deutsche Frauenporträt", zu Hannah Höch oder Jeanne Mammen untersucht und dargestellt worden. Anna-Carola Krausses Buch über Lotte Laserstein, das auf ihre Dissertation an der Berliner Universität der Künste zurückgeht und die von ihr kuratierte Berliner Laserstein-Ausstellung des Jahres 2003 flankiert, stellt hier einen zusätzlichen wichtigen Baustein dar, die Rolle der Frauen in der Kunst des 20. Jahrhunderts weiter zu erhellen.
Die materialreiche und historisch gut fundierte Studie ist chronologisch aufgebaut und beleuchtet in drei Abschnitten Herkunft und künstlerische Ausbildung, Lasersteins Künstlerinnenexistenz in der Weimarer Republik und in der Frühphase des "Dritten Reiches" sowie die Jahre des Exils in Schweden bis zum Tod der Malerin im Jahre 1993. Krausse gelingt es, ein exemplarisches Künstlerinnenschicksal des 20. Jahrhunderts von der künstlerischen Ausbildung und Etablierung über die Ächtung durch den Nationalsozialismus und das Schicksal des Exils bis hin zur späteren Werkentwicklung anschaulich zu machen. Das Verdienst der Studie besteht dabei weniger darin, eine herausragende - das war Laserstein nicht - aber zwischenzeitlich vergessene Künstlerin wieder in das Gedächtnis gerufen zu haben. Vielmehr leistet sie einen - bei aller spürbaren Sympathie für die behandelte Malerin - objektiven Beitrag zur Sozialgeschichte der Kunst im 20. Jahrhundert, der vom Rand her konturiert wird. Das der Publikation beigefügte Werkverzeichnis erschließt darüber hinaus das Gesamtwerk der Künstlerin.
Lotte Laserstein entstammte einem begüterten und bereits künstlerisch geprägten Milieu und äußerte schon früh die feste Grundüberzeugung, Malerin werden zu wollen. Von familiärer Seite wurden diesem in seiner Zeit nicht gerade üblichen Berufswunsch keine Steine in den Weg gelegt und bereits als Mädchen nahm Laserstein an den Malkursen ihrer Tante Elsa Birnbaum teil. Nach dem zwischenzeitlichen Umzug der Familie nach Berlin nahm sie nach gründlicher Vorbereitung 1921 als eine der ersten Frauen überhaupt das Studium an der Akademischen Hochschule der bildenden Künste auf. Hier erhielt sie eine solide handwerkliche Ausbildung, die ihr weiteres Schaffen nachhaltig prägen sollte und fand gerade im prägenden Erich Wolfsfeld einen fördernden und beispielgebenden Lehrer. Lasersteins Malerei bis zur Mitte der 1920er Jahre stellt eine von Wilhelm Leibls Realismus des 19. Jahrhunderts geprägte Spielart der "Neuen Gegenständlichkeit" (Paul Westheim) dar, die ohne den Durchgang durch die Avantgardeströmungen der Zeit eher konservativ anmutet, an die zeitgleichen komplexen Porträts von Otto Dix und Christian Schad nicht heranreicht und dem Motto: "Genie ist Fleiß" verpflichtet war.
Die Differenz zur radikaleren Neuen Sachlichkeit bleibt auch in den folgenden Jahren bestehen, doch kann Laserstein nun eine mitunter höchst eigenwillig anmutende Malerei auf hohem technischem Niveau realisieren, die in der Tat eine künstlerische Wiederentdeckung darstellt. Krausse diskutiert einzelne Werke und Werkgruppen ikonografisch, stellt die ungewöhnlichen, eng gefassten Porträts en face um 1927/28, den Wettbewerbsbeitrag zum "schönsten deutschen Frauenporträt" sowie zentrale Einzelwerke wie die Tennisspielerin und Am Motorrad (beide von 1929) vor und geht dann auf die Selbstbildnisse der Malerin ein, die sie oftmals im Atelier mit dem Modell Traute Rose zeigen. Die Bildanalysen können nicht zuletzt aufgrund klug gewählter Vergleichsbeispiele überzeugen, wenn auch mitunter der Blick auf die ästhetische Eigenart der Bilder, die eine schwer einzuschätzende Mischung aus einem auf die Gegenwart zielenden Realismus mit einem formale Aspekte forcierenden kunstgeschichtlichen Traditionalismus darstellen, hätte vertieft werden können. Das beeindruckende, streng gebaute und über zwei Meter breite Hauptwerk Abend über Potsdam (1930) wird plausibel mit dem Begriff eines "melancholischen Realismus" gedeutet (157), der es gleichermaßen von der Zeittendenz einer Neuen Deutschen Romantik wie der späteren NS-Kunst abgrenzt.
Ein wesentlicher Teil des zweiten Kapitels besteht in der Darstellung der Lebensumstände und des Karrierewegs von Lotte Laserstein, die sich - angesichts einer Welle des ambivalent zu bewertenden Phänomens "Frauenkunst" - in der Endphase der Weimarer Republik etablieren kann, Netzwerke aufbaut, in den Jahresausstellungen der Preußischen Akademie Anerkennung findet und seit 1927 selbst privaten Malunterricht gibt. Angesichts des erstarkenden Nationalsozialismus und der Machtübernahme scheitern diese Versuche, Laserstein zieht sich aufs Land zurück und wendet sich ländlichen Themen zu. Die Malweise wird noch malerischer, ja teilweise wattig, wie in den Zwei Jungen mit Öllampe von 1933. Viele der nach 1933 entstehenden Bilder hätten meines Erachtens ohne weiteres Platz in einer Großen Deutschen Kunstausstellung finden können - die Einschätzung Krausses, dass Lasersteins Kunst nicht mit der des Nationalsozialismus kongruent gewesen sei, erscheint gerade auch mit Blick auf das Werk der späten 1930er Jahre problematisch - und die Frage nach dem tieferen Grund der Annäherung an die zukünftige, freilich nicht homogene offizielle nationalsozialistische Kunst bleibt insofern offen. Aber in der Tat stellte sich die Frage einer tatsächlichen Mitwirkung am neuen Staat aufgrund der persönlichen Integrität als auch der jüdischen Herkunft der Künstlerin schließlich nicht, wurde sie zwangsläufig vom zukünftigen Kulturleben ausgeschlossen. Zudem artikulieren einige Bilder wie die verschwörerisch anmutende Unterhaltung von einigen Intellektuellen aus dem Jahre 1934 einen anschaulichen Dissens mit dem auf bedingungslosen Gehorsam zielenden Regime.
Mehr als 50 Jahre ihres Lebens verbrachte Laserstein in Schweden, zuerst im mehr zufällig, wenn auch bewusst gewählten Exil und dann als Staatsbürgerin, die sich eine eigene Existenz aufbaute und weitestgehend integrierte. Krausse schildert die Biografie aus den Quellen und Erinnerungen Beteiligter anschaulich und zeigt, unter welch schwierigen Umständen, wie zielstrebig und schließlich erfolgreich sich Laserstein in Schweden etablierte. Dabei werden die bestehenden Kategorien der Exilforschung, die bei dem langen Lebensweg nicht mehr richtig zu greifen scheinen, von der Autorin den Sachverhalten angepasst. Das malerische Werk erreicht nicht mehr die Qualität der späten 1920er Jahre in Berlin, aber es lohnt einen genaueren Blick auf seine Genese zu werfen, da sich komplizierte Wendungen und Windungen rekonstruieren lassen, die grundsätzliche Aspekte der künstlerischen Selbstfindung und -behauptung in der Fremde und späteren Heimat betreffen. Lasersteins Schicksal trägt dabei exemplarische Züge einer ganzen Künstlergeneration, die partiell erfolgreich war, an künstlerischer Qualität unter dem Druck des Geldverdienens einbüßte und nicht gewillt war, den Weg zur Abstraktion zu gehen und spät teilweise wiederentdeckt wurde.
Insgesamt hat Anna-Carola Krausse eine überzeugende, historisch fundierte, Werkanalysen und Künstlersozialgeschichte miteinander verschränkende Darstellung des Lebens und Werks von Lotte Laserstein vorgelegt, die diese eindrucksvolle, in sich gebrochene Künstlerin mit wichtigen Werken der Weimarer Zeit wieder zur Diskussion stellt. Dabei ist ihr nicht etwa die Wiederentdeckung einer singulären Malerin gelungen - Laserstein ließe sich von Rang her mit sekundären Malern wie Wilhelm Schnarrenberger oder Bernhard Dörries vergleichen -, sondern vielmehr ein wichtiger, empirisch fundierter Beitrag zur Sozialgeschichte des Künstlers im 20. Jahrhundert.
Olaf Peters