Martin Miersch: Das Bild des Electeur Soleil. Herrscherikonographie des Rokoko am Beispiel des Kölner Kurfürsten und Deutschordenshochmeisters Clemens August (1700 - 1761) (= Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens; Bd. 65), Marburg: Elwert 2007, IX + 321 S., ISBN 978-3-7708-1305-6, EUR 48,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Horst Bredekamp: Der schwimmende Souverän. Karl der Große und die Bildpolitik des Körpers, Berlin: Wagenbach 2014
Doris Guth / Elisabeth Priedl (Hgg.): Bilder der Liebe. Liebe, Begehren und Geschlechterverhältnisse in der Kunst der Frühen Neuzeit, Bielefeld: transcript 2012
Dominic Olariu: La genèse de la représentation ressemblante de l'homme. Reconsidérations du portrait à partir du XIIIe siècle, Bruxelles [u.a.]: Peter Lang 2013
Dietrich Boschung / François Queyrel (Hgg.): Bilder der Macht. Das griechische Porträt und seine Verwendung in der antiken Welt, München: Wilhelm Fink 2017
Roland Meyer: Operative Porträts. Eine Bildgeschichte der Identifizierbarkeit von Lavater bis Facebook, Konstanz: Konstanz University Press 2019
Wer immer sich heute mit der ikonographischen Hinterlassenschaft des Kurprinzen Clemens August von Bayern (1700-1761), als 'Monsieur de cinq églises' (Friedrich der Große) Kurfürst-Erzbischof von Köln (1723) Fürstbischof von Paderborn und Münster (1719), Hildesheim (1724) und Osnabrück (1728) und schließlich 1732 Hochmeister des Deutschen Ordens, beschäftigt, dem ist Martin Miersch kein Unbekannter mehr. Durch einen einschlägigen Beitrag im siebenbändigen Katalogwerk 'Ein Riss im Himmel' anlässlich der Clemens August-Ausstellung in Brühl 2000 hervorgetreten [1], legte er nun - ohne dass im Impressum des anzuzeigenden Bandes darauf explizit verwiesen würde - seine kunsthistorische Promotion an der Universität Bonn vor, welche wiederum den Bildnissen des Kurfürsten gewidmet ist.
Auf 293 Textseiten kommt der Autor im Rahmen seiner selbst gewählten Beschränkungen (dazu unten mehr) diesem Anliegen nach. Eine in dieser Dichte bislang nicht veröffentlichte Fülle von Portraits und Portraitdarstellungen wird dem Leser vor Augen geführt, in ihren entstehungsgeschichtlichen Zusammenhang eingebunden und kunsthistorisch erläutert. Der höchste Forschungsertrag dürfte den 53 Druckgraphiken zukommen, welche erstmals minutiös aufgelistet und in ihrem Entstehungsprozess erörtert werden (60-121). Ein sprechender und in der Gesamtheit der Reproduktionen auch technisch-optisch zufrieden stellender Bild-/Illustrationsanteil ergänzt notwendigerweise die Darstellung mit immerhin 101 zum Teil farbigen Illustrationen.
Methodisch bewegt sich die Arbeit über weite Strecken erfreulicherweise in den klassischen Bahnen der kunsthistorischen und kulturgeschichtlichen Analyse, das eingangs (1-4) apodiktisch und etwas ausschließlich formulierte methodische Paradigma der 'Bildpropaganda' in Anlehnung an Burkes nicht unumstrittenes Werk zur Kunstpolitik Louis' XIV tritt demgegenüber in der Darstellung in den Hintergrund. Dies ist umso mehr zu begrüßen, da diesbezügliche Aussagen angesichts der immer noch ausstehenden großen Clemens August-Biographie, einer profunden Studie zu seiner Innen- und Außenpolitik, zwangsweise Stückwerk und Hypothese blieben. Dafür sollten sowohl Allegorie und barocker Gestus eine vertiefte Aufmerksamkeit erfahren, als auch das Bild stärker als ganz unpropagandistische præsentia principis gesehen werden. Ersteres berücksichtigt der Autor zwar in Ansätzen (127ff.), dies könnte aber um wichtige, ebenfalls für Frankreich entworfene Interpretationen erweitert werden.[2]
Nicht ganz zu überzeugen vermag die Beschränkung auf die vom Autor ausgewählten Portraits, welche - übrigens ganz in sein hinterfragbares Konzept der Propaganda passende - andere Bildwerke, darunter zuvorderst die großen Freskenzyklen in Schloss Augustusburg, daneben auch Plastiken und Münzbilder, außer Acht lassen. Bei den Gemälden fehlt - weil es nicht ins Propagandakonzept Burke'scher Prägung passte? - das in Schloss Clemenswerth zu sehende Portrait mit der (im Bild befindlichen) Aufschrift 'Fundator Missionis Capucinorum Clemensverdanæ' [3], der auch zur Missionierung der akatholischen Nordgebiete gedachten Kapuzinerniederlassung. Von daher ist das im Titel versprochene (Gesamt-)Bild des Kurfürsten nicht ganz haltbar.
In Bezug auf die europaweite Rezeptions- und Transfergeschichte bildlich-fürstlicher Darstellung leistet der Band Erhebliches, vieles davon wird hier zum ersten Mal exemplarisch festgemacht. Bei der Behandlung der Modellfunktion französischer Prälatenportraits des Grand Siècle hätte man sich allenfalls eine noch stärkere Betonung Hyacinthe Rigauds gewünscht, der nur am Rande Erwähnung findet (202f.). Sein richtungweisendes Portrait Jacques Benignes Bossuets von 1701-1705 wird dabei nahezu ganz unterschlagen (Erwähnung: 14, 279), ebenso die zugehörigen Skizzen und Zeichnungen, sowie die Rezeptionsgeschichte.[4] Der unmittelbare Vorbildcharakter dieses Werkes für zahlreiche Darstellungen Clemens Augusts, vor allem jenes von Abbildung 26, ist offensichtlich, gerade weil Rigaud hier Bossuet "mit einem großen Aufgebot an Attributen und Pathosformeln wie einen weltlichen Fürsten inszeniert" (Anmerkung 920). Bedenkt man darüber hinaus die zentrale Stellung des 'Adlers von Meaux' innerhalb der gallikanischen Kirche der Zeit, ergeben sich für den Kölner Erzbischof viel näher liegende und unmittelbarere Konnexe, Anknüpfungen und Ansprüche, denn das weit hergeholte, auf Louis XIV projizierte Burke'sche Axiom.
Die Darstellung der Druckgraphiken ist - wir sagten es bereits - erschöpfend, allenfalls hätte man noch auf Einzelpersonen wie Imbert Drevet verweisen können, welcher als Stecher gerade für die Prälatenportraits eines Rigaud (Bossuet und Fleury) im Sinne des von Miersch zurecht wiederholt festgehaltenen Vorbildcharakters der französischen Produktion erhebliche Multiplikationseffekte erreichte.[5]
In den liturgisch-zeremoniellen Termini der Bildbeschreibungen ist ein gewisser Verlust an Exaktheit zwischen dem theoretischen Teil (139-141) und den Bildlegenden des Abbildungsapparates zu konstatieren. Mag für Abbildung 3 die Erläuterung "schwarze Klerikertracht" (dies wäre schwarzer Talar, Zingulum, und römischer Hut - in Wirklichkeit handelt es sich um die sottana corta, darüber der mantello romano und das bischöfliche Pektorale) noch hingehen, so ist dieselbe Bildlegende für Abbildung 14 nur schwer nachzuvollziehen. Hier trägt Clemens August bischöflichen Talar, Rochette und Mozetta, darüber das Pektorale, also episkopale Chorkleidung, woran auch liturgisch-jahreszeitliche Einschränkungen nichts ändern. Abbildung 10 weist den Dargestellten als Coadjutor aus, dabei trägt Clemens August bereits die Cappa Magna in (im Original in Nordkirchen) roter Farbe eines geborenen Legaten des Heiligen Stuhls, der Kurhut liegt, neben der mitra preciosa, bereits auf dem Beistelltisch. Clemens August wurde auch nicht "bereits 1716 zum Bischof von Regensburg geweiht" (8), die Bischofsweihe erfolgte erst 1727, 1716 aber die Wahl zum Fürstbischof, was zwei völlig verschiedene Dinge sind.
Diese für das Vorhaben einer exakten Bildeinordnung zwar bisweilen etwas störende terminologische Unsicherheit tritt hingegen vor dem zentralen kunsthistorischen Anliegen der Arbeit in den Hintergrund. Diese ist ohne Zweifel als eine interessante, umfassende und ambitionierte Studie über ein faszinierendes Stück Kulturgeschichte des 18. Jahrhunderts zu bewerten, welche von enormem Fleiß und Sammlerarbeit geleitet, Erhebliches leisten konnte. Im interdisziplinären Forschungskontext stellt sie - neben dem unleugbaren ikonographischen und kunsthistorischen Ertrag - einen wichtigen Baustein zur Biographie einer der faszinierendsten Persönlichkeiten des Ancien Régime dar.
Anmerkungen:
[1] Martin Miersch: Kurfürstliche Selbstdarstellung und kurfürstliche Propaganda - Portraits des Kölner Kurfürsten Clemens August, in: AK Der Riss im Himmel, Bd. VI: Das Ideal der Schönheit, Köln 2000, 307-334.
[2] Gérard Sabatier: Imagerie héroïque et sacralité monarchique, in: Alain Boureau/Claudio S. Ingerflom: La Royauté sacrée dans le monde chrétien (Actes du Colloque de Royaumont 1989) (= L'histoire et ses représentations 3), Paris 1992, 115-127; ders.: Versailles ou la figure du Roi, Paris 1999.
[3] Ekkehard Wagner: Clemens August, Kurfürst und Erzbischof von Köln, Stifter eines "Seelsorgezentrums" der Kapuziner in Clemenswerth (um 1755), in: AK Clemens August - Fürstbischof, Jagdherr, Mäzen, Clemenswerth/Sögel 1987, 298 (N° 67.1/Tafel 1); vgl. AK Osnabrück - 1200 Jahre Fortschritt und Bewahrung, Nürnberg 1980, 211 (N° 198).
[4] vgl. AK Hyacinthe Rigaud dessinateur, exposition au musée Bossuet de Meaux, Dijon 2000; darin zur Bossuet-Portraitistik und Rezeption v.a. Dominique Brême: Le miroir de Monsieur de Meaux, ebd., 12-23, mit allen Abbildungen (Gemälden und Stichen).
[5] Gilberte Levallois-Clavel: Pierre Drevet (1663-1738), graveur du roi et ses élèves Pierre-Imbert Drevet (1697-1739), Claude Drevet (1697-1781), (thèse) Université Lumière Lyon 2, 2005, III-2-2 ; zugänglich über: http://demeter.univ-lyon2.fr/sdx/theses/notice.xsp?id=lyon2.2005.clavel_ g-principal&qid=pcd-q&base=documents&id_doc=lyon2.2005.clavel_g&num= &query=&isid=lyon2.2005.clavel_g&dn=1
Josef Johannes Schmid