Sergio Luzzatto: Il Duce. Das Leben nach dem Tod. Aus dem Italienischen von Michael von Killisch-Horn (= Die Andere Bibliothek; Bd. 277), Frankfurt/Main: Eichborn Verlag 2008, 353 S., ISBN 978-3-8218-4599-9, EUR 28,50
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Mussolini kam nicht zur Ruhe. Nachdem der faschistische Diktator am 28. April 1945 von kommunistischen Partisanen erschossen worden war, stellte man seine sterblichen Überreste auf dem Piazzale Loreto in Mailand aus und überließ sie den Furien der Leichenschändung, die ganze Arbeit leisteten: Junge Burschen trampelten auf dem Toten herum. Einige Schaulustige hatten Gewehre und Pistolen mitgebracht und feuerten auf die Leiche. Andere bespuckten sie oder schlugen mit Peitschen und Ochsenziemern auf sie ein.
Die italienische Resistenza habe lediglich ein Urteil vollstreckt, das die Geschichte schon lange zuvor gefällt hatte - behaupteten diejenigen, die für Mussolinis Hinrichtung und das makabre Schauspiel in Mailand verantwortlich waren. Danach riss ihr heißer Draht zur Geschichte aber offenkundig ab, denn sie wussten nicht mehr, was sie mit dem Leichnam des "Duce" anfangen sollten. Schließlich verscharrte man ihn auf einem Mailänder Friedhof - in einem anonymen Grab, dessen Existenz und genaue Lage strengster Geheimhaltung unterlagen.
Zahlreiche Neofaschisten sahen darin eine ungeheuerliche Provokation und setzten deshalb alles daran, den toten Mussolini in ihre Hand zu bringen. Ostern 1946 waren sie am Ziel. Drei junge Aktivisten drangen in der Nacht vom 22. auf den 23. April in den Friedhof ein, legten den Sarg frei und bugsierten ihn dann über die Friedhofsmauern, wo bereits ein Auto darauf wartete, die schon etwas mitgenommene Fracht in Sicherheit zu bringen.
In eine trügerische freilich, denn nun musste natürlich der Staat tätig werden und seine Rechte am toten Diktator behaupten. Die besten Kräfte von Polizei und Carabinieri hefteten sich an die Fersen der Leichenräuber, die ihr Beutestück zuerst in Veltin, dann in einem Franziskanerkloster in Mailand und schließlich in Pavia unterbrachten, ehe sie es, hundert Tage nach dem nächtlichen Raubzug, wieder an den Staat verloren.
Auch jetzt war die italienische Regierung aber nicht schlauer als im Frühjahr 1945. Den Leichnam an die Familie zurückzugeben oder ihn auf Staatskosten öffentlich zu begraben - das alles wollte die Regierung nicht, weil sie fürchtete, Mussolinis Grabmal würde sich in eine Gedenkstätte für unbelehrbare Faschisten verwandeln. Also wurde der tote "Duce" erneut versteckt; nur einige wenige Politiker, hohe Beamte und Kirchenmänner wussten, dass er in einem Kapuzinerkloster in der Nähe von Mailand nach christlichem Ritual bestattet worden war.
Dort blieb der Leichnam elf Jahre. Erst 1957 übergab man ihn der Familie, die ihn in Predappio, dem Geburtsort des "Duce", nun zur wirklich letzten Ruhe bettete. Die neuerliche Transaktion hatte übrigens einen politischen Hintergrund: Die neofaschistische Partei hatte einer in Not geratenen Minderheitsregierung der Christdemokraten Schützenhilfe versprochen, wenn sie Mussolinis Überreste endlich freigab.
Sergio Luzzatto, ein junger Historiker, der an der Universität Turin lehrt, hat über die groteske Odyssee des toten Mussolini ein ebenso originelles wie faszinierendes und jetzt endlich auch auf Deutsch vorliegendes Buch geschrieben, das viel mehr ist als die Biografie eines Leichnams. Es ist ein äußerst subtiles Stück Gesellschafts- und Geistesgeschichte einer Nation, die sich weit auf den verbrecherischen Faschismus eingelassen und danach nicht wenig Mühe hatte, sich aus dem Dickicht faschistischer Lügen und Mythen zu befreien und die Mentalitäten zu überwinden, die im Faschismus und nicht zuletzt auch in der erbitterten Auseinandersetzung mit ihm entstanden waren.
Orientierung und Nachhilfe in Sachen Demokratie konnten hier nur wenige bieten, wie sich aus Luzzattos Buch lernen lässt. Gewiss nicht die Neofaschisten, die noch so sehr in der Vergangenheit des Faschismus lebten, dass sie selbst aus dem toten Mussolini noch Kraft für Gegenwart und Zukunft gewinnen wollten. Nur schwerlich auch die dezidierten Antifaschisten, die demokratische und rechtsstaatliche Grundsätze nicht nur im Bürgerkrieg gegen die Faschisten mit Füßen traten, sondern auch danach noch missachteten. Dies zeigt vor allem die Tatsache, dass sie in der Hinrichtung Mussolinis eine Art Modell für die Behandlung politischer Gegner erblickten, an dem sie sich noch in den fünfziger und sechziger Jahren orientierten. Selbst die seit 1945 von den Christdemokraten geführte Regierung stolperte bei der geistigen Bewältigung der Hinterlassenschaft des Faschismus von einer Verlegenheit in die nächste. Fast möchte man sagen, sie fürchtete sich vor dem toten Diktator und hätte die Erinnerung an die Vergangenheit am liebsten ganz einfach getilgt.
Der tote "Duce" blieb so noch lange lebendig - für die einen als Vorbild, für die anderen als Feindbild und für die gesamte Gesellschaft als Gradmesser für die Stabilität von Demokratie und Rechtsstaat, die sich immer auch am Umgang mit der Vergangenheit ablesen lässt.
Hans Woller