Alexander Schmidt: Vaterlandsliebe und Religionskonflikt. Politische Diskurse im Alten Reich (1555-1648) (= Studies in Medieval and Reformation Traditions. History, Culture, Religion, Ideas; Vol. 126), Leiden / Boston: Brill 2007, xiii + 512 S., ISBN 978-90-04-16157-3, EUR 129,00
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Die Dissertation von Alexander Schmidt, 2004 an der Friedrich-Schiller-Universität Jena angenommen, untersucht den frühmodernen Patriotismus innerhalb der Territorien des Heiligen Römischen Reiches während des konfessionellen Zeitalters. Die Liebe zum Vaterland stellte bereits während der Antike eine zentrale gemeinschaftsbildende Norm dar, gleich ob sie sich auf eine Stadt oder ein Territorium, auf eine Monarchie oder eine Republik bezog. Die humanistische Rezeption antiker Denkfiguren führte im 16. Jahrhundert zur Einbeziehung der Vaterlandsliebe in das politische Denken in dreierlei Gestalt: In die Politiktheorie, wie sie in akademischen Bildungsstätten gelehrt wurde, in die Imagination eines "deutschen" Vaterlandes im frühnationalen Sinne und in die Diskurse der gedruckten Traktate in ihrer heterogenen Provenienz (16).
Schmidt gliedert demnach seine Arbeit in drei Hauptteile. Im ersten Hauptteil entwickelt er den Vaterlandsbegriff aus der "patria"-Vorstellung, die während der Antike breit geläufig und insbesondere von Cicero ausformuliert worden war. Der römische Staatsdenker erfuhr denn auch zahlreiche gedruckte Ausgaben seiner Werke in unterschiedlichen Sprachen und wurde erstmals für alle Gelehrten einer Generation verfügbar (24f.). Der zentraleuropäische Späthumanismus des 16. Jahrhunderts griff hierauf, ebenso wie auf Livius und Tacitus, gern zurück. Eine Figur wie der "Vater des Vaterlandes" wurde auch von Landesfürsten oder sonstigen Hochadligen, beispielsweise von Wilhelm von Oranien, in Anspruch genommen.
Zahlreiche Begriffe bedurften einer Umwidmung, um unter den politischen Bedingungen des Reformationsjahrhunderts verständlich zu werden. So bedeutete "res publica" nicht in erster Linie eine nichtmonarchische Staatsform, sondern eher "Gemeinwohl" oder "gemeiner Nutz" (25). Besonders zur Wahrung des vaterländischen Zusammenhalts waren die Berater des Monarchen aufgerufen, daneben die Magistrate, worunter Ständeversammlungen in den Territorien ebenso verstanden wurden wie Stadträte. Grundlegende Bewährungsproben des Patriotismus stellten - für Herrschaftseliten wie für Untertanen gleichermaßen - militärische Bedrohungen dar: War hier von Theoretikern jedes Zeitalters Tapferkeit bis zum Einsatz des eigenen Lebens gefordert, so stellten sich die vaterländischen Pflichten zum Widerstand gegen "ungerechte" Herrschaft als wesentlich problematischer dar, weil sich die Bewohner eines Landes in der Regel konkurrierenden Konstruktionen von Herrschaftslegitimationen und Pflichtzusammenhängen ausgesetzt sahen. Schmidt beendet den ersten Hauptteil mit zwei Abschnitten über das Vaterlandsverständnis bei Justus Lipsius.
Im zweiten Hauptteil geht es um die Konstruktion "Deutschlands" als Vaterland, wobei die frühneuzeitlichen Denker herausgefordert waren, eine gemeinschaftsbildende Entität jenseits des Heiligen Römischen Reiches und der territorialen oder städtischen Politikeinheit zu schaffen, in denen sie jeweils als Untertanen lebten. Alexander Schmidt kann dabei von Vorarbeiten profitieren, die gerade in Jena in den vergangenen fünfzehn Jahren zur frühmodernen deutschen Nation unternommen worden sind. [1] Er betont, dass der Nationaldiskurs des ausgehenden 15. Jahrhunderts über den Augsburger Religionsfrieden hinweg wirksam blieb. Dies betraf zunächst die positiv konnotierte geografische Dimensionierung Deutschlands, dazu das Lob der kulturellen Leistungen der Einwohner dieser Lande. In welchem Verhältnis das als vorteilhaft beschriebene "deutsche Klima" zur heraufziehenden "Kleinen Eiszeit" stand, darüber erfährt der Leser allerdings nichts (138-140). Die aus diesem Land stammenden "Helden" wurden 1565/66 in einem dreibändigen monografischen Werk von Heinrich Pantaleon beschrieben. Seine Helden qualifizierten sich durch gedenkwürdige Taten für die deutsche Nation in Krieg/Politik, Religion oder Gelehrsamkeit. Päpste, Kaiser, Anhänger aller Konfessionen des 16. Jahrhunderts stehen einträchtig neben Adam, Noah und Jesus Christus.
Ein wichtiges Attribut der Deutschen war die "teutsche Freiheit", die sowohl als Freiheit vor äußerer Einmischung (z.B. durch den Papst) als auch vor monarchischer Despotie (durch den Kaiser, wovor das Reichstagssystem schützte) verstanden wurde. Hieran schließt Schmidt die protestantische Deutung des Konfessionskonflikts an, im Rahmen dessen die "teutsche Freiheit" als durch (katholischen) kirchlichen Uniformitätszwang bedroht gesehen wurde.
Der dritte Hauptteil hat die zeitgenössische Publizistik zum Gegenstand. Zunächst geht Schmidt auf die Vaterlandsvorstellungen in zwei Traktaten des Naumburger Bischofs Julius Pflug und des Generals und Beraters Maximilians II., Lazarus Schwendi, ein. Der Begriff "patria" wird von Pflug auf 103 Druckseiten achtzigmal verwendet (201). Dennoch charakterisiert Schmidt die Reichsvorstellung von Pflug als "kaiserlich-universal", während Schwendis Überlegungen eher als "kaiserlich-national" gekennzeichnet werden (239). Sehr markant - und zugleich konfessionsübergreifend - kommt das publizistische Vaterlandsverständnis in den Traktaten zur Türkenbedrohung zum Ausdruck, ein Kommunikationszusammenhang, der früher schon von Winfried Schulze eingehend analysiert worden ist. [2] Ein weiterer Abschnitt handelt vom protestantischen Patriotismus zwischen dem Kölner Krieg 1583 und den 1620er Jahren, während im Folgeabschnitt die Vaterlandsdebatte im Umfeld des Prager Friedens 1635 im Mittelpunkt steht.
Schmidt kommt zu dem Ergebnis, dass der Patriotismus im Alten Reich dem Kontext der Tugenddiskussion zuzuordnen ist. Wenn der Begriff "Vaterland" verwendet wurde, dann zeigte dies eine Bedrohung der herrschenden gesellschaftlichen und politischen Ordnung an. Bedrohung ging dabei nicht nur von auswärtigen Mächten (Frankreich, Osmanisches Reich) aus, sondern auch vom konfessionellen Gegner, von der mittelalterlichen Reichstradition sowie den herrschaftlichen Verdichtungsprozessen des frühmodernen Fürstenstaates. Die Brücke zur antiken res publica ließ sich daher schwieriger schlagen als im Spätmittelalter. Die Begrifflichkeiten des Patriotismus waren variabel genug, dass dadurch Integration im jeweils herrschaftlich gewünschten Kontext erzielt werden konnte. Dies geschah in Herrschaftsverhältnissen aller Konfessionen. Eine ideologiekritische Auseinandersetzung mit der politischen Indienstnahme des Vaterlandsbegriffes fand nicht statt.
Die Dissertation von Alexander Schmidt zeichnet den "patria"- bzw. "Vaterlands"-Diskurs auf breitem Quellenmaterial nach (allein die selbstständigen Quellenwerke machen 38 Seiten im Quellenverzeichnis aus), der Konfessionskonflikt spielt daneben eine viel geringere Rolle. Der Titel hätte daher genauso gut "Vaterlandsliebe im Zeitalter der Religionskonflikte" heißen können. Das soll den Wert einer Arbeit nicht schmälern, die mit überlegter Gliederung der vielfältigen Verwendung dieses fundamentalen integrativen Denkmusters des Patriotismus nachgeht. Bei allen beobachtbaren Nuancierungen geht der rote Faden nicht verloren, sondern im Resümee kann Schmidt zeigen, dass gerade protestantische Publizisten den Begriff in motivierender Weise anwandten, um umstrittene Aktionen mächtiger Glaubensgenossen positiv zu konnotieren. Hilfreicherweise ist dem Werk ein Personenregister angefügt worden.
Anmerkungen:
[1] Vgl. vor allem Georg Schmidt: Geschichte des Alten Reiches. Staat und Nation in der Frühen Neuzeit, 1495-1806, München 1999.
[2] Winfried Schulze: Reich und Türkengefahr. Studien zu den politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen einer äußeren Bedrohung, München 1978.
Johannes Arndt