Rezension über:

Matteo Burioni: Die Renaissance der Architekten. Profession und Souveränität des Baukünstlers in Giorgio Vasaris Viten (= Neue Frankfurter Forschungen zur Kunst; Bd. 6), Berlin: Gebr. Mann Verlag 2008, 205 S., 32 Abb., ISBN 978-3-7861-2559-4, EUR 59,00
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Rezension von:
Monika Melters
Lehrstuhl für Theorie und Geschichte von Architektur, Kunst und Design, Technische Universität München
Redaktionelle Betreuung:
Julian Jachmann
Empfohlene Zitierweise:
Monika Melters: Rezension von: Matteo Burioni: Die Renaissance der Architekten. Profession und Souveränität des Baukünstlers in Giorgio Vasaris Viten, Berlin: Gebr. Mann Verlag 2008, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 9 [15.09.2008], URL: https://www.sehepunkte.de
/2008/09/14067.html


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Matteo Burioni: Die Renaissance der Architekten

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Die hier anzuzeigende Studie, die als Dissertation an der Universität Frankfurt eingereicht wurde, bildet durch die materiale Erfassung des sich spezifizierenden Sektors künstlerischer Produktion und dessen Neustrukturierung einen wichtigen Beitrag zum Verständnis des Prozesses horizontaler Differenzierung während der Frühen Neuzeit. Burioni fokussiert seine Analyse dabei auf die Konstruktion und Typisierung des Selbstverständnisses des Architekten. Die konstitutiven Parameter dieses Selbstverständnisses wurden in den biografischen, als Modelle aufzufassenden Entwürfen der Viten Vasaris paradigmatisch verdichtet und zugleich wirkungsmächtig medialisiert.

Burioni geht davon aus, dass "die Architektur aus ihrer früheren Ausnahmestellung herausgelöst und unumkehrbar mit den emergierenden, bildenden Künsten verschränkt [wird]" (10). Nicht durch Exzeption, sondern durch Partizipation an den Künsten wird die Architektur als "Kunst des disegno" (ebd.) neu legitimiert. Auf diese "Rekonstruktion eines historisch angemessenen Verständnisses vom Berufsbild des Architekten in der frühen Neuzeit" (11) zielt die Studie. Die weitreichende Veränderung in der Stellung und Selbstinterpretation des zum Baukünstler sich nobilitierenden Architekten gruppiert der Autor neu um die Leitbegriffe von Professionalität und Souveränität. Er versteht es anhand der Viten, diese bisher eher markierte, denn genau abgeschrittene Umstrukturierung des Architektenverständnisses historisch neu zu substantiieren

Im ersten Kapitel geht Burioni zunächst dem ebenso signifikanten wie vielschichtigen Bezug der Figuren von Fürst und Architekt bei Vasari nach. Dieser Bezug war zwar schon vor der Renaissance insinuiert und antizipiert worden, erfuhr bei Vasari aber eine bis dahin nicht gekannte Pointierung und Konkretisierung. Herrscher und Architekt wurden auf dem je eigenen campo und durch die dort gezeigten virtutes als metaphorisch äquivalent gedacht. In Anlehnung an Horst Bredekamp wird "die Übergänglichkeit von Kunst und Tat" (26) zu einer Signatur dieses neuen Verständnisses gedeutet. Als zentrale Schlüsselqualifikation situiert Burioni dabei den disegno. Die professio des Architekten trat hierbei als in der Kernkompetenz des disegno ästhetisch fundiert hervor und hob sich damit kontrastiv zu anderen Tätigkeiten innerhalb des Bauprozesses gleichzeitig von diesen ab. Es ist ein Kennzeichen der Arbeit, dass sie die Vielstimmigkeit in den Vorstellungen des Architektenberufs nicht in einer unilinearen Entwicklung dissimuliert, sondern gerade "die Pluralisierung von miteinander konkurrierenden Konzeptionen des Architektenberufes" (41) hervorhebt. Mit diesem Ansatz der Erfassung pluraler Optionen vermeidet es Burioni, die historische Vielschichtigkeit und Interdependenz einzuebnen und anachronistische Konfrontationen dem historischen Material überzustülpen. Fruchtbar gemacht wird dies auch in der Frage der Autorschaft der Viten. Burioni verzichtet darauf, in der Traditionslinie philologischer Quellenkritik des 19. Jahrhunderts eine noch höhere exegetische Auflösung der Händescheidung vorzutragen, sondern positioniert die Viten in das Spannungsfeld der Accademia Fiorentina bzw. der Accademia del Disegno und verknüpft es zugleich mit dem Autorenkonzept Vasaris, das er als "kooperative Autorschaft" (35) umschreibt. Diese schließt die Nennung eines federführenden eponymen Autors ein, ohne eine Polyphonie und Pluralität von Verfassern anzuschließen.

Im zweiten Kapitel nähert sich der Autor dem Architekturverständnis Vasaris in den Viten in zweifacher Weise: einerseits durch die Analyse des Paratextes der Viten und andererseits in der Auslotung der ästhetischen Diskurse innerhalb der Accademia del Disegno als dem institutionellen und intellektuellen Umfeld insbesondere der zweiten Ausgabe der Viten. Mit interpretatorischer Sensibilität gelingt es Burioni, aus dem scheinbar schnell Übergangenen bildsprachlicher Spuren in den Titelblättern und Künstlerporträts der Viten-Ausgaben die Signaturen aufzudecken, die die Architektur in den sich neu formierenden Kontext der Künste einfügt. Die sich hier visualisierende Architekturauffassung stellt er als einen unmittelbaren Reflex auf die kunsttheoretische bzw. ästhetische Diskussion an der Accademia del Disegno zum Zeitpunkt ihrer Gründung 1563 dar. Die Festlegung von deren Statuten zwang angesichts der "disziplinären Durchlässigkeit" (66) zur Lösung der Positionierung einzelner Künste zueinander. Von besonderer Bedeutung hierfür stellt der Autor die bisher unedierten Selva di notizie des Vincenzo Borghini als Schlüsseltext eines neuen Architekturverständnisses vor. Man würde die Reichweite dieses Textes verkürzen, wenn man darin bloß den Versuch einer affirmativen Hierarchisierung der Künste sähe. Vielmehr ging es darum, "die Autonomie des künstlerischen Handelns unter der Bedingung der frühabsolutistischen Herrschaft theoretisch zu institutionalisieren und historisch zu legitimieren" (82).

Die unterschiedlichen Stränge der Arbeit werden in der Analyse exemplarisch ausgewählter Biografien gebündelt. Burioni sichtet dabei nicht einzelne architekturtheoretische Themen in den Biografien oder subsumiert sie systematisch, sondern versucht die "innere Logik der jeweiligen Vita" (93) kontextuell zu wahren. Durch dieses sukzessive Abschreiten wird "Biographie als Theorie" (ebd.) verstanden. Die so gewählte Vorgehensweise entzieht sich naturgemäß dem komprimierenden Referieren. Als Beispiel sei auf die Biografie Brunelleschis verwiesen. Dieser wird von Vasari als "erste Verkörperung des Künstlerarchitekten" (104) inszeniert. Der autoritativen Kompetenz eines Architekten "kann Brunelleschi, so argumentiert Vasari, nur dank seiner vielseitigen, künstlerischen und theoretischen Ausbildung gerecht werden" (107). Es wird schon hier deutlich, wie z.B. in der Viten-Figur Brunelleschis Vasari das zeitgenössische Architektenverständnis konkret-personal kondensiert und zugleich historisch zu legitimieren sowie prospektiv festzuschreiben versucht.

Blickt man von hier auf Burionis Studie zurück, so ist zu konstatieren, dass die Plausibilität mancher Thesen auf der Suggestivität eines großzügig einbezogenen Indizienspektrums beruht, das von semantischen Begriffsanalysen über die Einbeziehung institutionsstruktureller Rahmungen, textkritischer Evaluierung bis hin zur feinmaschigen Dechiffrierung von alludierenden Bildimplikationen reicht. Man kann dieses Vorgehen zu Recht als Gewinn ansehen, man kann aber auch Anfragen stellen, falls dieses auf Kosten der einzelnen Argumentationssubstanz geht. Wenn z.B. in einer Überblendungstechnik die Semantik von disegno und dessin/dessein aufgrund etymologischer Verwandtschaft gekoppelt wird und unter Hinzuziehung der Polyvalenz von disegno ein "metaphorischer Bezug zwischen Kriegstat und Kunst" (24) belegt werden soll, so wird das historische explanandum zum explanans umfunktioniert. Auch ob man manch kühnen Brückenschlag vom frühneuzeitlichen Kunstverständnis ins 20. Jahrhundert, wie z.B. zu Adornos ästhetischer Theorie (174), nachvollziehen mag, sei dahingestellt.

Insgesamt aber erweist sich die Lektüre dieser Studie vor allem angesichts der Fülle von hier nicht anführbaren Beobachtungen als ausgesprochen ertragreich und bietet auch und gerade in den nicht konsenszwingenden Thesen und Argumenten wichtige materiale Impulse für die weitere Diskussion.

Monika Melters