Gabriela Brudzyńska-Němec: Polenvereine in Baden. Hilfeleistung süddeutscher Liberaler für die polnischen Freiheitskämpfer 1831-1832, Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2006, 370 S., ISBN 978-3-8253-5117-5, EUR 48,00
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"In Polen ist die Handlung dieser Zeit, in Polen ist der stellvertretende Krieg der europäischen Gegensätze, die Angel, um welche sich alles dreht, die concentrierte europäische Krisis." (50) Wie viele Zeitgenossen betrachtete auch der Journalist Friedrich Wilhelm Giehne in seiner "Übersicht der neuesten politischen Begebenheiten, April bis August 1831" den polnisch-russischen Krieg von 1830/31 als einen grundsätzlichen Ideenkonflikt, als eine Konfrontation der Prinzipien in Europa, wobei die konstitutionell-liberale westliche Welt mit der absolutistisch-konservativen östlichen Macht rang. Der am 29. November 1830 mit einem lokalen Aufruhr beginnende und mit der Kapitulation Warschaus am 7. September 1831 endende Aufstand des Königreichs Polen gegen Russland fand im damals frei gesinnten Europa einen enormen Widerhall. Vor den Augen Europas spielte sich der "Prinzipienkrieg" als realer Kampf zwischen dem konstitutionellen Polen, das sein nationales Selbstbestimmungsrecht einforderte und nach politischer Souveränität strebte, und dem autokratisch regierten Russland als "der mächtigsten Stütze des europäischen Absolutismus" ab (22, 54). In der Folge führte die positive Beurteilung der Ereignisse zu regen Sympathiebekundungen und zahlreichen Solidaritätsadressen an die polnischen Aufständischen und trug gerade auch in der liberalen Öffentlichkeit Deutschlands zur politischen Meinungsbildung bei. Das Einvernehmen mit den Zielen der Unabhängigkeitsbewegung der Polen veranlasste zudem große Teile der Bevölkerung, insbesondere der süddeutschen Länder, zur aufwendigen Hilfeleistung im Sommer 1831 und zur enthusiastischen Aufnahme der geschlagenen Kombattanten bis zum Frühjahr 1833 während ihres Marsches ins westeuropäische Exil; vor allem aber mobilisierte das Kriegsgeschehen die Polenfreunde, sich für die Hilfsaktionen mit Gleichgesinnten in Assoziationen zu vereinigen, die sich bald zu Schlüsselorganisationen der liberalen Opposition im Deutschen Bund entwickelten.
Der weit verbreiteten Polenbegeisterung, den vielfältigen Unterstützungsmaßnahmen für die polnischen Freiheitskämpfer in den Jahren 1831/32 und dem zu diesem Zweck eigens aufgebauten Netzwerk der Polenvereine im Großherzogtum Baden widmet sich nun erstmals umfassend Gabriela Brudzyńska-Němec in einer neuen Studie, einer Fassung ihrer an der Universität Toruń entstandenen Dissertation. Obwohl die Vormärz- und Liberalismusforschung in Deutschland und Polen in den letzten Jahrzehnten eine ganze Reihe von Monographien, Sammelbänden und Fachaufsätzen zur deutschen Polensympathie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hervorgebracht hat, fehlte bislang eine Abhandlung, die sich ausschließlich mit der Polenfreundschaft in einem süddeutschen konstitutionellen Staat im Vormärz beschäftigt und deren Bedeutung für die gesellschaftliche Emanzipationsbewegung und politische Liberalisierung aufzeigt. Diese Forschungslücke kann jetzt Brudzyńska-Němec mit ihrer grundlegenden, überaus kenntnis- und materialreichen Darstellung schließen. Gestützt auf einen ergiebigen Quellen- und Literaturkorpus - der neben der einschlägigen Fachliteratur und ausgewählten Quellensammlungen auch bisher kaum ausgewertete Akten der Vereine und Dossiers des badischen Innenministeriums umfasst -, verfolgt die Historikerin den Verlauf der organisierten Polenhilfe in Baden von ihren Anfängen im Umfeld des badischen Landtags und der von ihm ausgehenden Vereinsgründungen im Sommer 1831 bis zu ihrem Ausklang im Zuge der Bundestagsbeschlüsse vom 5. Juli 1832 und des darin ausgesprochenen Verbots der Assoziationen.
Nach einer ausführlichen Schilderung der polenfreundlichen öffentlichen Meinung sowie der politischen Interessen und des karitativen Engagements der Polenfreunde in Baden untersucht Brudzyńska-Němec das sich im gesamten Großherzogtum ausbildende Vereinswesen und geht in diesem Zusammenhang hauptsächlich auf die für Männer bestimmten Vereine ein. Doch auch die Frauen-Polenvereine kommen nicht zu kurz, und in einem eigenen Kapitel wird ihr Beitrag zum weiblichen Emanzipationsprozess dargelegt. Weitere Schwerpunkte der Arbeit liegen in der Erforschung der literarischen Spuren und politischen Funktionen der Polenfreundschaft von 1831/32 in Baden. Während dabei einerseits die Analyse der Inhalte und Rhetorik der von einheimischen Dichtern wie namhaften Schriftstellern verfassten Polenlieder im Vordergrund steht, richtet sich das Erkenntnisinteresse andererseits auf den politischen Hintergrund der Polenbegeisterung und auf die Veränderung der polenfreundlichen Bewegung. Dem Wandel des Poleninteresses auf der Spur, werden dafür die Polenempfänge und politischen Feiern betrachtet, die Beziehungen der Polenkomitees zu den Burschenschaften und dem Preß- und Vaterlandsverein erläutert und schließlich die Stellung der Polenfreunde auf dem Hambacher Fest ausgelotet.
Am Ende ihrer Ausführungen spricht Brudzyńska-Němec zu Recht von einer "badisch-polnische(n) liberale(n) Wahlverwandtschaft" (325), da die Konsolidierung des gemäßigten Liberalismus und das Wiederaufleben der linksbürgerlichen Protestbewegung in den 1830er Jahren in Süddeutschland nicht nur auf die Pariser Julirevolution 1830 zurückgeführt werden kann, sondern auch durch den Aufstand in Polen ausgelöst worden ist. Vornehmlich das fortschrittlich-liberal gesinnte Besitz- und Bildungsbürgertum, das der Verfassung und dem Monarchen im Großherzogtum loyal gegenüberstand und zu den Trägern der polonophilen Bewegung in Südwestdeutschland gehörte, fand in den Polenvereinen einen Wirkungsplatz mit breitem öffentlichem Spielraum.
Mit ihren Untersuchungsergebnissen reiht sich Brudzyńska-Němec in neuere Forschungsrichtungen ein, nach deren Ansicht der Transfer der fortschrittlichen freiheitlichen Ideen in der europäischen Geschichte des 19. Jahrhunderts eben nicht nur aus einer Richtung von West nach Ost, von den konstitutionellen Mächten England, Frankreich und den Vereinigten Staaten von Nordamerika her erfolgte, sondern auch aus der entgegengesetzten Richtung kam. Die polnische Historikerin hat mit ihrer empirisch dichten Studie diesen Befund eindrucksvoll bestätigt und an den badischen Polenvereinen gezeigt, wie deutsche Liberale und Demokraten den Unabhängigkeits- und Freiheitskampf der Polen bewerteten, mit welchen Erwartungen und Interessen sie um 1830 ihre Blicke nach Osten richteten, und wie sehr endlich die liberale Bewegung in Baden davon profitierte.
Abschließend seien noch ein paar kritische Bemerkungen erlaubt. Leider fehlt in dem Buch ein aussagekräftiges Personen- und Sachregister, das den Zugang zu den behandelten Persönlichkeiten und den Zugriff auf die erörterten Sachprobleme hätte erleichtern können. Ebenso vermisst der aufmerksame Leser eine gründliche Endredaktion, die sich der stilistischen Schwächen und vielen orthographischen und grammatikalischen Fehler angenommen hätte (zum Beispiel: "Michail Krusnic" statt "Michail Krausnick", 282; "einen reichen und reizenden Stoff für die weiteren Untersuchungen", 332). Darüber hinaus muss auch die unzureichende Einbindung der Studie in den liberalismus- und regionalgeschichtlichen Forschungskontext sowie die nicht immer gelungene Identifizierung und die Falschschreibung der Namen einzelner Persönlichkeiten beklagt werden (etwa: "Gihné" statt "Giehne", 50; "der anonyme Artikel: Polen und Europa von U...*" statt "Ludwig Uhland", 51). Diese störenden Mängel können im Falle einer Neuauflage des Buches schnell behoben werden - den positiven Gesamteindruck trüben sie ohnehin nur unwesentlich.
Birgit Bublies-Godau