Dieter Timpe: Antike Geschichtsschreibung. Studien zur Historiographie, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2007, 336 S., ISBN 978-3-534-19353-0, EUR 79,90
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Unter den zahlreichen Themenfeldern, die Dieter Timpe im Laufe seines Lebens bearbeitet hat, nimmt die Untersuchung antiker Geschichtsschreibung einen wichtigen Platz ein. Seit seinem Aufsatz über "Römische Geschichte bei Flavius Josephus" aus dem Jahr 1960 bis in die jüngste Vergangenheit durchzieht das Interesse an diesem Thema wie ein roter Faden seine Forschungen. Der von Uwe Walter herausgegebene Sammelband vereinigt nun Dieter Timpes wichtigste Aufsätze zu diesem Bereich; lediglich kleinere und ohnehin leicht zugängliche Arbeiten sind der Beschränkung des Buchumfangs zum Opfer gefallen. [1] Dafür werden die älteren Arbeiten durch zwei Originalbeiträge ergänzt.
Insgesamt enthält der Sammelband zehn Titel, die von der Geschichtsschreibung bei den Westgriechen bis in die Spätantike reichen. Es handelt sich um die Aufsätze: "Westgriechische Historiographie" (9-63), "Memoria und Geschichtsschreibung bei den Römern" (64-85), "Mündlichkeit und Schriftlichkeit als Basis der frührömischen Überlieferung" (86-108), "Römische Geschichte und Weltgeschichte" (109-131), "Fabius Pictor und die Anfänge der römischen Historiographie" (132-181), "Catos Origenes und die lateinische Historiographie" (182-208), "Erwägungen zu jüngeren Annalistik" (209-236), "Geschichtsschreibung und Prinzipatsopposition" (237-258), "Römische Geschichte bei Flavius Josephus" (259-291) und schließlich "Was ist Kirchengeschichte? Zum Gattungscharakter der Historia Ecclesiastica des Eusebius" (292-328). Zu den älteren Aufsätzen muss nur weniges gesagt werden: Einige davon besitzen ohnehin seit Jahren kanonischen Rang, werden immer wieder gelesen und ebenso oft zitiert. Sie sind durchgesehen und an einigen Stellen auch ergänzt worden; neuere Literatur wurde aber nicht eingearbeitet.
Ausführlicher soll im Folgenden auf die beiden Originalbeiträge eingegangen werden: Im ersten Beitrag des Sammelbandes versucht Timpe den "Sonderweg" der westgriechischen Geschichtsschreibung nachzuvollziehen: Ausgehend von der Einordnung der Gattung in Jacobys Fragmente Griechischer Historiker und der seitdem zu beobachtenden Stellung als Zwitter zwischen Lokalgeschichte, mit der sie ihre Form teilt und gesamtgriechischer Geschichte, mit der sie den überlokalen Horizont und die Konzentration auf die Zeitgeschichte gemein hat, fragt Timpe, "wie sich die in der westgriechischen Historiographie verbundenen Aspekte selber zueinander verhalten: das panhellenische Ganze und das regional Partikulare." (15) Hierzu verfolgt Timpe zunächst die Entwicklung der Gattung vom sagenhaften Hippys von Rhegion, der, wenn er denn historisch sein sollte, was Timpe wie schon Jacoby für unwahrscheinlich hält, im 5. Jahrhundert v.Chr. geschrieben hat, bis zu Silenus von Kaleakte und dem Ende der sizilischen Geschichtsschreibung mit dem Beginn der Provinzialisierung der Insel durch die Römer (17-34). Timpe arbeitet hierbei den ambivalenten Charakter der westgriechischen Historiografie heraus: Er verweist zum einen auf den durchgängig westgriechischen Bezugsrahmen sowie die fast durchgängig aus Sizilien stammenden Autoren. Beides spreche gegen ein Verständnis der Sikelika als einer Sonderform der Universalgeschichte. Zum anderen betont er, dass die Gattung zu politischer Geschichte habe werden können und zugleich mit dem Ende der politischen Unabhängigkeit der Insel zu Ende gegangen sei. Dies stehe dem Verständnis als Lokalgeschichte entgegen. In einem zweiten Schritt (34-43) interpretiert Timpe den Befund, dass westgriechische Geschichte von Beginn an die gesamte Region und nicht einzelne Poleis zum Gegenstand hat. Gegen die Betonung der Bedeutung Herodots oder einer neuen Konzeption einer einheitlichen Geschichte der Sikelioten verweist Timpe auf die Besonderheit der überragenden Stellung von Syrakus und den engen Zusammenhang der Apoikien, der zur Verflechtung der westgriechischen Geschichte geführt habe, ohne dass die Gattung der Lokalgeschichte grundsätzlich gesprengt worden sei. Die Sikelika seien, so folgert Timpe, keine den Hellenika entsprechende universalgeschichtliche Gattung. Dies führt zur Frage nach den Charakteristika der Gattung (43-54). Hierbei hebt Timpe zum einen die Bedeutung der westgriechischen Historiografie für die Entwicklung der Chronologie hervor. Besonders Timaios habe sich durch die Arbeit an der Olympionikenliste um die Rationalisierung der italischen Überlieferung verdient gemacht (47). Zum anderen verweist er auf die Ausweitung des geografischen Horizontes, vor allem die Einbeziehung des Barbaricums und die Behandlung der mythistorischen Vergangenheit als Besonderheiten der Gattung. Insgesamt zeigt Timpe die Spezifika westgriechischer Historiografie auf, weist aber ebenso überzeugend nach, dass sich diese nicht zu einer "gedanklich selbständigen Geschichtsschreibung" (56) entwickelt hätte.
Der zweite Originalbeitrag behandelt das Verhältnis von römischer Geschichte und Weltgeschichte: Timpe geht dabei von der Beobachtung aus, dass zusammen mit dem Aufstieg Roms zur Weltherrschaft die senatorische Geschichtsschreibung ein Modell der Geschichte übernahm, "das dem traditionellen Selbstverständnis, dem begrenzten Horizont und den politischen Interessen konkurrierender Stadtstaaten entstammte" (114) und fragt im Folgenden nach den Ursachen des Verzichts, entsprechend der Weltherrschaft auch Weltgeschichte zu schreiben. Hierzu verfolgt Timpe die Entwicklung der römischen Geschichtsschreibung in einem ersten Schritt von der Entstehung der Gattung mit Fabius Pictor bis in die späte Republik. Timpe interpretiert die Konzentration auf Rom und das Fehlen eines universalgeschichtlichen Moments dabei nicht als Atavismus, als einen Überrest, der aus der westgriechischen Historiografie übernommen und nicht den veränderten Umweltbedingungen angepasst worden wäre, sondern vertritt die These, dass das Vorbild einen "universalen Bezug" (121) besessen habe, der infolge der Adaption durch die römische Elite zurückgetreten sei und betont die Funktion lokalhistorischer Form. In einem weiteren Schritt geht Timpe der Frage nach, inwieweit der durch Prinzipatsordnung und Informationsmangel verursachte Niedergang der annalistischen Geschichtsschreibung in der Kaiserzeit dazu geführt habe, mittels neuer historischer Konzepte römische Geschichte als Weltgeschichte zu konzeptionalisieren und zu vermitteln. Ansätze sieht er auch hier vor allem bei Weltchroniken griechischer Autoren, wie sie Kastor von Rhodos oder Dionysios von Halikarnassos entwickelten und wie sie durch römische Autoren übernommen wurden. Allerdings sei hierdurch "das Fehlen ernsthaft verstehender politischer Universalgeschichte ebenso wenig [kompensiert worden] wie es die weiterlebende senatorische Annalistik der Cremutius Cordus, Fabius Rusticus oder Tacitus vermochte." (131)
Die Aufsatzsammlung wird schließlich durch ein Personen-, Sach- und Stellenregister erschlossen (329-336). An dem Wert des Sammelbandes kann kaum ein Zweifel bestehen: Zum einen vereinigt er Timpes wichtigste Arbeiten auf diesem Themengebiet und erschließt sie über ein umfangreiches Register. Zum anderen bietet die chronologische Ordnung der Beiträge dem Leser die Möglichkeit, die einzelnen Aufsätze im Zusammenhang als eine Art von antiker Literaturgeschichte zu lesen.
Anmerkung:
[1] Vgl. mit der Nennung der Titel das Vorwort von Uwe Walter, 8.
Jan Timmer