Dieter Timpe: Römisch-germanische Begegnung in der späten Republik und frühen Kaiserzeit. Voraussetzungen - Konfrontationen - Wirkungen. Gesammelte Studien (= Beiträge zur Altertumskunde; Bd. 233), München: K. G. Saur 2006, 470 S., ISBN 978-3-598-77845-2, EUR 98,00
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Ein Jahr vor Ende des 2. Weltkrieges bedauerte Will Durant die Entscheidungen des Augustus und des Tiberius, auf eine Okkupation Germaniens zu verzichten. [1] Wenn Germanien erobert und wie Gallien romanisiert worden wäre, hätte nach Meinung Durants fast ganz Europa eine einheitliche Organisationsform sowie eine einzige "Regierung" erhalten und vielleicht eine Sprachgemeinschaft gebildet. Diese These ist unter anderem Vorzeichen eine ähnlich abwegige Wertung, wie sie in der Verformung der Arminiustradition in einer langen Rezeptionsgeschichte zum Ausdruck kommt. Arminius, der im Rahmen der römisch-germanischen Beziehungen zweifellos eine wichtige Gestalt darstellt, wurde durch mythische Fiktionen und fehlgeleitete Heroisierung auch eine problematische Figur der deutschen Bildungsgeschichte. In der deutschen Altertumswissenschaft fand man nach 1945 nur schwer aus dieser Sackgasse in einer langen Arminiusrezeption heraus. Gleichsam einen Befreiungsschlag hat dann Dieter Timpe 1970 unternommen, indem er vermutete, dass die Varuskatastrophe durch eine Meuterei germanischer Hilfstruppen der Römer eingeleitet worden sei. [2] Er hatte damals bereits mehrere wichtige Untersuchungen zur Germanienpolitik des Augustus publiziert. In der Folgezeit weitete er seine Studien zu dieser Thematik erheblich aus. Die Skala reicht von der ethnologischen Begriffsbildung in der Antike und der Entstehung, Bedeutung und Problematik des Germanenbegriffs über die Kimberntradition bis zum Bataveraufstand in der Sicht des Tacitus.
Dass Timpes wichtige Studien zu diesem großen Fragenkomplex jetzt in einem neuen Band bequem zugänglich sind, bedeutet nicht nur eine Erleichterung für jede weitere Beschäftigung mit dem Germanenproblem in den im Buchtitel genannten Epochen. Jeder einzelne Aufsatz bietet eine Fülle von originellen Interpretationen. Geradezu unentbehrlich zum Verständnis der rechtsrheinischen militärischen Operationen der Römer sind Timpes Erläuterungen der Wegeverhältnisse "in Germanien" (114-146). Er verdeutlicht die enormen Schwierigkeiten, die sich durch die Beschaffenheit des Geländes im germanischen Siedlungsraum für die Römer ergaben.
Bereits vor längerer Zeit hat er mit Recht den Beginn der Offensiven des Drusus 12 vor Christus nicht als Auftakt "zu imperialistischer Aggressivität" gewertet, sondern in Maßnahmen zur Sicherung der Grenzen Galliens eingeordnet (170). Eine "flächige" Kontrolle der germanischen "Wälder und Sümpfe" ist für ihn "nicht vorstellbar" (207). Er zweifelt aber nicht, dass etwa zwischen 4 und 9 nach Christus "die zivilisatorische Erschließung und damit die politische Durchdringung des Landes vorangetrieben wurde" (209). Diese These kann sich zwar auf die Nachricht des Cassius Dio 56,18,1 berufen, dass die Römer in Teilen Germaniens "Städte" gegründet hätten. Sie findet auch scheinbar in jüngster Zeit eine gewisse Stütze durch Ausgrabungen in Lahnau-Waldgirmes, wo jetzt eine Stadtgründung in augusteischer Zeit vermutet und hierin eine Bestätigung für einen Plan der Konstituierung einer "Provinz" in Germanien gesehen wird. [3] Ob die Freilegung eines größeren Zentralgebäudes mit Steinfundamenten, in dessen Innenhof ein vergoldetes Reiterstandbild gefunden wurde, sowie die Hinweise auf Aktivitäten einer wohl größeren Zahl von Zivilisten vor allem in der letzten Bauphase des großen Hauptlagers von Haltern als Vorstufen für projektierte zivile Zentren gelten können, bleibt indes dahingestellt. [4] Die Anlagen an beiden Orten wurden etwa gleichzeitig aufgegeben, und zwar wahrscheinlich nach der Varuskatastrophe. Bis dahin waren für die Römer nach unserem älteren Kenntnisstand ihre vorgeschobenen Positionen an der Lippe und im Vorfeld von Mainz von größter strategischer Bedeutung. In dieses Schema fügen sich die Anlagen von Waldgirmes an der Lahn durchaus ein.
In dem vorliegenden Sammelband konnte das schmale Buch von Wilm Brepohl offenbar nicht mehr berücksichtigt werden. [5] Brepohl stellt die jetzt gängige Lokalisierung der Varusschlacht im Raum von Kalkriese infrage und sucht zu zeigen, dass die Römer 9 nach Christus bei einem zentralen Kultort der Istvaeonen, wo sich damals zahlreiche germanische Krieger versammelt hätten, geschlagen wurden. Auch dies bleibt hypothetisch, doch gilt dies gleichfalls für Timpes Annahme, dass eine Erhebung germanischer Hilfstruppen im Heer des Varus zum Untergang von drei Legionen führte. Es fragt sich, wie meuternde Krieger rasch die erforderliche Verstärkung aus der Umgebung erhalten konnten.
Für die Diskussionen über die augusteische Germanienpolitik bleiben die in diesem Buch wieder abgedruckten Beiträge Timpes nach wie vor aber unentbehrlich. Sie bieten vielfache Anregungen zu weiteren Untersuchungen zu Planungen und Zielen der weit ausgreifenden römischen Germanienfeldzüge im frühen Prinzipat.
Anmerkungen:
[1] Will Durant: The Story of Civilization, Volume 3: Caesar and Christianity, New York 1944, 478.
[2] Dieter Timpe: Arminius-Studien, Heidelberg 1970.
[3] Vgl. etwa Siegmar von Schnurbein: Augustus in Germania and his New "Town" East of the Rhine, Journal of Roman Archaeology 16 (2003) 93-108.
[4] Vgl. Ulrike Riemer: Die römische Germanienpolitik. Von Caesar bis Commodus, Darmstadt 2006, 50.
[5] Wilm Brepohl: Neue Überlegungen zur Varusschlacht, Münster 2004.
Karl-Wilhelm Welwei