Rezension über:

Johannes Laudage / Yvonne Leiverkus (Hgg.): Rittertum und höfische Kultur der Stauferzeit (= Europäische Geschichtsdarstellungen; Bd. 12), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2006, 326 S., ISBN 978-3-412-34905-9, EUR 29,90
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Rezension von:
Jörg Schwarz
Historisches Seminar, Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg/Brsg.
Redaktionelle Betreuung:
Jürgen Dendorfer
Empfohlene Zitierweise:
Jörg Schwarz: Rezension von: Johannes Laudage / Yvonne Leiverkus (Hgg.): Rittertum und höfische Kultur der Stauferzeit, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2006, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 10 [15.10.2008], URL: https://www.sehepunkte.de
/2008/10/9966.html


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Johannes Laudage / Yvonne Leiverkus (Hgg.): Rittertum und höfische Kultur der Stauferzeit

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Auf unkonventionelle Weise Studierende an forschendes Lernen heranführen, sich weniger an die Spezialisten wenden als an solche, die nach Orientierungswissen suchen - dies nahm sich eine Tagung vor, die am 2./3. Juni 2005 an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf stattfand. Die Zusammenkunft, deren Vorträge von dem hier anzuzeigenden Band vereinigt werden, beschäftigte sich mit dem Thema "Rittertum und höfische Kultur in der Stauferzeit". Sie verklammerte somit Themenbereiche, die von geradezu "osmotischen Verschmelzungen" (Thomas Zotz) geprägt sind, die aber insofern auch getrennt voneinander betrachtet werden können, weil es bekanntermaßen auch "rein höfische Kulturen" gegeben hat. [1] Gleichwohl gehört, sieht man auf das Ganze, die ritterlich-höfische Kultur des Mittelalters zu den "merkwürdigsten und bedeutendsten Phänomenen der mittelalterlichen Welt" (Josef Fleckenstein), repräsentiert sie doch "für viele Jahrhunderte die europäische Laienkultur schlechthin" (Otto Brunner). [2] Mag man über das Repräsentative auch streiten können, ein faszinierender Stoff ist das Thema jenseits (oder vielleicht gerade wegen) aller nach wie vor bestehenden Forschungsprobleme allemal.

Am Beginn des Bandes steht eine Einführung in die Gesamtproblematik ("Rittertum und höfische Kultur der Stauferzeit. Eine Einführung", 11-35) aus der Feder des Mitherausgebers Johannes Laudage. Anschaulich und quellenah beschreibt Laudage die - in enger Verflechtung mit der höfischen Kultur einhergehende - Entstehung des Rittertums seit dem 11. Jahrhundert und hebt dabei das Lehnswesen als eine der Hauptwurzeln hervor. Dezidiert spricht er im Hinblick auf die geistlichen Ritterorden hingegen auch von "religiösen Leitgedanken" des Rittertums und lässt somit die Ambivalenz des Phänomens greifbar werden.

Mit dem Beitrag "Die 'Ehre des Reiches' (honor imperii)" präsentiert Knut Görich "Überlegungen zu einem Forschungsproblem". Görich - der derzeit unumstrittene Spezialist dieses Schlüsselbegriffs, dessen Auslegung der Verfasser durch weitgespannte Forschungen mittlerweile bis in feinste Verästelungen geführt hat - betont die Multivalenz dieser Formel, stellt fest, dass unterschiedliche Erkenntnisinteressen unterschiedliche Deutungen mit sich brachten; allein die Schwierigkeit, den häufig zwischen den Bedeutungen von 'Recht' und 'Ehre' oszillierenden Begriff honor zu übersetzen, sei an sich schon ein bedeutsamer Befund und mache auf die Andersartigkeit einer Rechtskultur aufmerksam, die ungeachtet aller Bildungsexpansionen eine "ungelehrte" gewesen sei. Auf andere, an einem konkreten Objekt verankerte Weise fortgesponnen werden Görichs Überlegungen von Laudage in einem unter dem plakativen Titel stehenden Beitrag "Rittertum und Rationalismus. Friedrich Barbarossa als Feldherr", 291-314). Der als Meister in den Bereichen Logistik, Disziplin und strategische Planung geschilderte Barbarossa habe auf Ehrverletzungen nicht wie der Pawlowsche Hund auf die Glocke reagiert, sondern mit Pragmatismus und rationalem Kalkül; der Widerspruch zwischen höfischem Ritterideal und vernunftorientiertem Handeln sei hier mit Händen zu greifen, er werde aber aufgelöst in einer Haltung, die Laudage als "Rationalismus der Ehre" bezeichnet.

Die Beiträge (noch einmal, zum drittenmal in dem Band) von Laudage ("Der Hof Friedrich Barbarossas. Eine Skizze", 75-91) und von Theo Kölzer ("Der Königshof im normannisch-staufischen Köngreich Sizilien", 93-110) müssen in einem Zusammenhang gesehen werden. Während Laudage das Schillernde, Ambivalente des Hofs Friedrich Barbarossas herausarbeitet (erstaunlich niedriger Grad an institutioneller Verfestigung bei gleichzeitig hoher Integrationskraft, 92), unterstreicht Kölzer den Charakter des Palermitaner Königshofes als Zentrum von Geist und Poesie, als das "konkurrenzlose politisch-administrative und geistige Zentrum des Regno", das zugleich die ethnisch-religiöse und die kulturelle Vielgestalt des Königreichs wie in einem Brennspiegel bündelte.

Werner Rösener betont in seinem Beitrag über "Die ritterlich-höfische Kultur des Hochmittelalters und ihre wirtschaftlichen Grundlagen" (111-135) die Interdependenzen der ritterlich-höfischen Kultur des hohen Mittelalters mit der günstigen wirtschaftlichen Konjunktur der Zeit; nur durch den immensen Aufschwung der Wirtschaft und den wachsenden Wohlstand haben sich die Fürstenhöfe und das Rittertum während des 12. und 13. Jahrhunderts in einem so erstaunlichen Maße entfalten können. Damit in Verbindung stehend, beschäftigt sich Jens Ullrich mit einem der bekanntesten Dokumente hochmittelalterlicher Wirtschaftsgeschichte überhaupt, dem "Tafelgüterverzeichnis" ("Iste sunt curie... Randnotizen zum Tafelgüterverzeichnis", 136-145). Er postuliert, wer unter welchen Umständen das Verzeichnis, das für ihn ein auf einem Brief basierendes Antwortpapier darstellt, angefordert haben könnte. Vieles verweist in Richtung Italien. Auch wenn eine genaue Bestimmung des Verzeichnisses unmöglich bleibt, könnte doch sein, dass dessen Verfasser bei einem Italienzug nicht die normale Größe eines königlichen Hofes, sondern ein weitaus größeres Heer (und seine Versorgung) in seine Berechnungen eingeplant habe. Wiederum verklammern lassen sich die - einigen Fürstenhöfen in Frankreich wie etwa dem der Grafen von Blois-Champagne - gewidmeten Überlegungen Alheydis Plassmanns ("Höfische Kultur in Frankreich. Die Sicht von außen", 146-169) mit dem - abstrakteren, theoretischen - Räsonnement Jan Ulrichs Keupps ("Verhöflichte Krieger? Überlegungen zum 'Prozess der Zivilisation' am stauferzeitlichen Hof", 217-245). Keupp sieht den bekannten, von Norbert Elias skizzierten Verhöflichungs-Prozess als "bedingt tragfähig" (244) an, erblickt in ihm einen Schlüssel zum Verständnis zahlreicher zeitgenössischer Quellenzeugnisse. Dennoch, so Keupp, gelte es Elias' eigenen Anspruch ernster zu nehmen und das Mittelalter nicht als einen "versteinerten Wald" zu betrachten.

Gerhard Lubich geht in seinem Beitrag "Tugendadel. Überlegungen zur Verortung, Entwicklung und Entstehung ethischer Herrschaftsnormen der Stauferzeit" (247-287) der sozialen Dynamik innerhalb des Rittertums nach. Er stellt dabei heraus, dass bis zur Jahrtausendwende der sogenannte "Herkunftsadel" dominiert und dass durch den Aufstieg der "Ministerialen" seit dem 11. Jahrhundert eine neue Gruppe den Kreis betrete, die sich verstärkt über den sogenannten Tugendadel definierte und sich von der bäuerlichen Bevölkerung abhob.

Einer der möglicherweise wichtigsten, weiterführendsten Beiträge des Bandes überhaupt stammt meiner Meinung nach von der Literaturwissenschaftlerin Barbara Haupt ("Der höfische Ritter in der mittelhochdeutschen Literatur", 170-192). In dezidierter Auseinandersetzung mit Josef Fleckensteins These von 1988, wonach der erweiterte Ritterbegriff maßgeblich vom Ethos einer militia Christi geprägt sei, sieht Haupt in der Entstehung der großen Höfe in West- und Mitteleuropa eine der Grundbedingungen für das Leitbild des adeligen, höfischen Ritters. Primär an den großen Höfen seien - so Haupt in Erneuerung einer älteren These Fleckensteins - die kunstvollen Formen und Normen des Rittertums ausgebildet worden.

Der schöne Band - ergänzt durch mit guten Illustrationen versehene Ausführungen der Mitherausgeberin Yvonne Leiverkus über "Das äußere Erscheinungsbild des staufischen Ritters" (193-215) - bietet in seinen Beiträgen gewiss nichts Umstürzendes, allen Weiterführungen im Einzelnen zum Trotz. Er will dies auch gar nicht tun. Er führt aber geschickt in ein Thema ein, das ganz besonders geeignet ist, gerade Anfänger zum Mittelalter hinzuführen. Der sicherlich auch etwas eklektische Charakter des Bandes wird abgemildert durch die Zusammenfassung von Thomas Zotz (315-326). Das Buch ist auch ein Vermächtnis des kürzlich tragisch verstorbenen Johannes Laudage, der jedem unvergesslich bleibt, der ihn in seiner sympathisch-fröhlichen Art einmal auf Tagungen erlebt hat.


Anmerkungen:

[1] Werner Paravicini: Die ritterlich-höfische Kultur des Mittelalters (= Enzyklopädie deutscher Geschichte; 32), 2. Aufl. München 1999, 1.

[2] Zitate nach Paravicini, ebd.

Jörg Schwarz