Wolfgang Behringer: Kulturgeschichte des Klimas. Von der Eiszeit bis zur globalen Erwärmung, München: C.H.Beck 2007, 352 S., 44 Abb., ISBN 978-3-406-52866-8, EUR 22,90
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Bücher, die das Wort "Kulturgeschichte" im Titel führen, befassen sich in der gegenwärtigen akademischen Landschaft in aller Regel mit vormals als "weich" diskreditierten Faktoren wie Identitäten, Perzeptionen, Emotionen oder Ritualen. Wolfgang Behringer liefert jedoch in seinem gut 300 Seiten starken Werk nicht etwa eine Diskursanalyse der Klimageschichte; den Ansatzpunkt bietet vielmehr ein traditionell-materialistisches Verständnis menschlicher Kulturen, deren Anfang der Autor in der neolithischen Revolution, also der graduellen Ablösung von Jäger- und Sammlergesellschaften durch sesshafte Ackerbaugesellschaften, ausmacht. Insofern könnte man bei dem hier besprochenen Werk eher von einer Klimageschichte der Kultur als von einer Kulturgeschichte des Klimas sprechen.
Behringers Parforceritt durch die Erd- und Menschheitsgeschichte - vom Urknall über das Roman Climatic Optimum und die Kleine Eiszeit bis hin zur gegenwärtigen globalen Erwärmung - macht mehr als deutlich, dass sich vergangene Gesellschaften immer wieder an wechselnde klimatische Bedingungen anzupassen hatten. Konnte etwa im relativ warmen Hochmittelalter in Pommern und Ostpreussen ebenso wie in Schottland und Norwegen noch Wein angebaut werden, so war schon im Spätmittelalter das Zufrieren der Ostsee keine Ausnahmeerscheinung mehr. Die anhaltende Kälte während der Kleinen Eiszeit (ca. 13. bis 19. Jahrhundert), der in Behringers Darstellung besonders viel Platz eingeräumt wird, schränkte nördlich der Alpen den Lebensraum der Anopheles-Mücke so stark ein, dass Malaria in dieser Region kaum noch auftrat. Gleichzeitig wuchsen die Gletscher in den Alpen, was lokal zu großen Problemen führen konnte. So hielt Martin Zeller über die Ausdehnung des Grindelwald-Gletschers im 17. Jahrhundert fest: "[D]ass dieser Berg dergestalt wachse und seinen Grund oder Erden vor sich her schiebe, dass wo zuvor eine schöne Matten oder Wiesen gewesen, dieselbe davon vergehe und zum rauen wüsten Berg werde; Ja an etlichen Orthen man ihme umb seines Wahsthumbs willen mit denen darauff und daran stehenden Bawren Häusern oder Hütten habe weichen müssen." (124f.)
Es ist ein Verdienst von Behringers Studie, dass sie einem breiten Publikum die historische Variabilität fundamentaler Naturprozesse vor Augen führt. Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Diskussion, in der manchmal der Eindruck entsteht, dass jeder Gletscher und jede Eisscholle unter "Naturschutz" stehe, ist es durchaus sinnvoll, darauf hinzuweisen, dass langfristige und zum Teil gravierende Temperaturänderungen ebenso normal sind wie der Anstieg und das Absinken von Meeresspiegeln, das Entstehen und Verschwinden von Gletschern oder das Auftreten von Dürrephasen. Der Autor weist darauf hin, dass, selbst wenn es im vergangenen Jahrhundert deutlich wärmer geworden sei, wir immer noch in einer Eiszeit leben, - einem Ausnahmezustand in der Geschichte unseres Planeten, "denn während mehr als 95% der Erdgeschichte gab es hier kein permanentes Eis. Statistisch gesehen sind Warmzeiten das charakteristische Klima der Erde, also Zeiten, in denen es sehr viel wärmer war als heute." (33)
Behringer belässt es allerdings nicht bei der Schilderung des historischen Umgangs mit Klimaschwankungen, sondern leitet aus seinem empirischen Material ein Plädoyer für Gelassenheit im Umgang mit der gegenwärtigen Klimakrise ab. Ausgangspunkte dieser Argumentation sind Zweifel an apokalyptischen Szenarien (mit dem berechtigten Verweis auf im Rückblick spektakuläre Fehlprognosen in den 1960ern) und die These, dass Abkühlung "immer in schwere Erschütterungen der Gesellschaft" mündete, während Erwärmung "manchmal kulturelle Blüte" bewirkte (287).
Dieser vermeintlich enge Zusammenhang zwischen Klima und Kultur kann oftmals jedoch nur durch Spekulationen hergestellt werden. "Vielleicht" hingen fundamental religiöse Transformationen im Vorderen Orient zu Beginn des Holozäns "direkt mit dem positiven Klimawandel der Periode zusammen" (61); Mythen von einem "Goldenen Zeitalter" könnten sich "auf die anhaltend warmen Klimaregime der Jungsteinzeit und der Bronzezeit beziehen" (70), und ebenso "könnte [es] sich zeigen, dass die Herausbildung nichtbäuerlicher unterbürgerlicher Schichten nicht zuletzt auch das Resultat eines traditionellen, klimainduzierten Misserntezyklus gewesen ist." (217) Was sich nicht ins Schema fügen will, wird aus einer eurozentrischen Perspektive heraus passend gemacht. So korreliert Behringer zum Beispiel den Aufstieg Roms mit einem Klimaoptimum, also einer Warmphase, während die "Expansion der Araber mit anschließender Ausbreitung der islamischen Religion [...] zum Zeitpunkt eines ungünstigen Klimas in ihren traditionellen Siedlungsgebieten" erfolgte und als Krisenphänomen interpretiert wird (91).
Behringer räumt ein, dass etwa "ein welthistorischer Vorgang wie der Aufstieg Roms von einem italienischen Stadtstaat zur Weltmacht [natürlich] nicht als Folge einer Klimaveränderung gesehen werden" kann (87). Genau dieser Zusammenhang wird aber durch den Verweis auf Korrelationen und Koinzidenzen immer wieder suggeriert und am Ende auch explizit als Ergebnis präsentiert: "Wenn wir etwas aus der Kulturgeschichte lernen können, dann dieses: Die Menschen waren wohl 'Kinder der Eiszeit' - die Zivilisation ist aber ein Produkt der Warmzeit." (287) Gravierender als derartige methodische Probleme sind die Schlussfolgerungen, die Behringer aus seiner Kulturgeschichte des Klimas zieht. Im Epilog des Buches schreibt sich der Autor regelrecht in Rage und wettert gegen all diejenigen, die die Zukunft des Planeten weitaus pessimistischer betrachten als er selbst, die "Priester des Bestehenden" (286). Nicht näher definierte "Naturschützer" müssen sich erklären lassen, dass sie "nicht 'die Natur' erhalten [möchten], sondern eine gewohnte Art von Natur, einen ökologischen Zustand, der so viel oder so wenig 'natürlich' ist wie jeder andere Zustand." In Wahrheit gehe es beim Naturschutz "weniger um die Natur als um menschliches Wohlbefinden", und das "große Wort vom Klimaschutz" verdecke nur "die Angst vor Veränderung" (282).
Kein Verständnis hat Behringer schließlich für die Forderung nach einer stärkeren Belastung der Industriestaaten - vorgebracht von den "Ideologen der Schuldkultur", die "nicht nur Reue und Buße, sondern Strafe im Namen der Opfer des Klimawandels" verlangten, wenn nötig, "mit Hilfe einer ökostalinistischen Weltregierung" (286) Schuld am vermehrten CO2-Ausstoss sei im Grunde "jeder Erdenbewohner [...]: der südafrikanische Buschmann, der mit Hilfe von Buschfeuern Land rodet oder jagt, ebenso wie der argentinische Großfarmer, dessen Rinder Methan produzieren, jeder Reisbauer auf Bali und der chinesische Banker, der in einem klimatisierten Büro Finanzgeschäfte macht." (281) Über derartige Polemik und Stereotypisierung vergisst der Autor, dass es sehr asymmetrische geschichtliche Prozesse waren, die zu den Problemen geführt haben, mit denen wir es heute zu tun haben. Folgt man Behringer, könnte man meinen, es hätte Kolonialismus, Imperialismus und "uneven development" nie gegeben. Die vom Autor selbst eingeräumten Implikationen einer solchen Politik sind für manche allerdings im wahrsten Sinne des Wortes fatal. En passant wird mitgeteilt, dass zu den Leidtragenden des Klimawandels neben den "sozial benachteiligten Schichten" auch die "Angehörigen indigener Völker" gehören werden, "deren eigene Kulturen oft nicht die Ressourcen bieten, um unter veränderten klimatischen Bedingungen zu überleben." (268)
Insgesamt bietet Behringers Klimageschichte zwar etliche interessante Einblicke in gesellschaftliche Adaptionen von dynamischen Naturprozessen; die empirische Basis für ein Klima-Appeasement, wie es Behringer in seinem Epilog skizziert, liefert sie jedoch nicht.
Uwe Lübken