John Gooch: Mussolini and His Generals. The Armed Forces and Fascist Foreign Policy, 1922-1940 (= Cambridge Military Histories), Cambridge: Cambridge University Press 2008, x + 651 S., ISBN 978-0-521-85602-7, GBP 25,00
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Das wichtige Buch von John Gooch steht in der Tradition einer internationalen historiografischen Debatte, die sich um eine entscheidende Frage dreht: Warum erwiesen sich die italienischen Streitkräfte in Mussolinis Kriegen als so wenig effektiv? Diese Frage rührt an eine Reihe von Themen, die bereits unmittelbar nach dem Zusammenbruch des faschistischen Regimes von zahlreichen Protagonisten in ihren Publikationen angesprochen wurden. Vermutlich war der erste, der seine diesbezüglichen Überlegungen öffentlich äußerte, Mussolini selbst in seinem schon 1944 erschienenen, viel zitierten (aber wenig gelesenen) Buch "Geschichte eines Jahres. Enthüllungen über die tragischen Ereignisse zwischen dem 25. Juli und dem 8. September 1943". Mussolini konnte sich das Versagen des Militärs nur durch den Verrat seiner offensichtlich der Monarchie ergebenen Generäle erklären, die alles getan hätten, um die Kriegsanstrengungen Italiens zunichtezumachen und seine Herrschaft zu Fall zu bringen. Nicht zuletzt um derartigen Anwürfen zu begegnen und die Schuld an der mangelhaften Vorbereitung des Landes auf einen großen Krieg dem faschistischen Regime zuzuschieben, haben hochrangige Offiziere wie Pietro Badoglio, Mario Roatta, Carlo Favagrossa, Giovanni Messe, Sebastiano Visconti Prasca oder Mario Caracciolo (um nur einige zu nennen) in mehr oder weniger verlässlichen autobiografischen Schriften ihre Sicht der Dinge dargelegt.
Von den Historikern, die sich mit dieser Materie beschäftigt haben, waren es vor allem angloamerikanische Kollegen (an erster Stelle Denis Mack Smith), die in Mussolinis Vorgehen nicht mehr sahen als einen gigantischen Bluff - Machtpolitik, so könnte man auch sagen, die vor allem auf geschickten propagandistischen Drohungen und weniger auf tatsächlicher militärischer Stärke beruhte. Italienische Gelehrte, und hier vor allem der Mussolinibiograf Renzo De Felice, glaubten dagegen, in der italienischen Politik eine gewisse Rationalität und im "Duce" einen Staatsmann zu erkennen, der kein aufschneiderischer Prahlhans, sondern ein Regierungschef mit klaren außenpolitischen Zielen gewesen sei. Giorgio Rochat gab der Debatte eine neue Richtung und arbeitete heraus, dass das italienische Heer eher innenpolitischen Zielen dienen als tatsächlich Krieg führen sollte. Damit wandelte die Politik des faschistischen Regimes aber auf den Spuren seiner liberalen Vorgänger, die den Hauptfeind für den italienischen Staat und seine herrschende Klasse stets im Innern gewittert hatten. Unter diesen Voraussetzungen, so der Turiner Historiker, blieben die Streitkräfte notwendigerweise schwach, sodass der Außenpolitiker Mussolini kaum anders konnte, als seine Absichten mit Bluffs und leeren Drohungen zu verfolgen. Mac Gregor Knox hat schließlich die Unzulänglichkeit der italienischen Militärs hervorgehoben, die er auf die wirtschaftliche, technologische und kulturelle Rückständigkeit des Landes zurückführte.
John Gooch reiht sich in diese Tradition ein und nimmt in seiner Studie Außen- und Militärpolitik gleichermaßen in den Blick. Der Autor rekonstruiert für die zwanziger und dreißiger Jahre minutiös Mussolinis Schritte auf dem glatten Parkett der Großmachtpolitik und zeigt zugleich - Schritt für Schritt - die Entwicklung der drei Teilstreitkräfte Heer, Marine und Luftwaffe auf. Gooch stützt sich dabei auf eine beeindruckende Menge ungedruckter Quellen, wobei die Akten der Commissione Suprema di Difesa, eines Kollegialorgans, das sich auf Befehl Mussolinis einmal jährlich zusammenfand und die Sicherheitslage Italien analysierte, eine besondere Rolle spielen. Die Protokolle zeigen ein deprimierendes Maß an mangelnder Professionalität und zwar sowohl beim Diktator selbst als auch bei seinen Generälen. Die Aussprachen waren kurz und unergiebig, verloren sich in Details und hatten nichts mit der allgemeinen politischen Lage zu tun. Gooch macht Mussolini als Hauptschuldigen an dieser Misere aus, aber spricht auch der kraftlos-rückständigen militärischen Elite und der ineffizienten faschistischen Militärpolitik ein gerütteltes Maß an Schuld zu, dass Italien so unvorbereitet auf die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs zusteuerte.
Bei all seinen Verdiensten hat das Buch eine bedenkliche Leerstelle, denn Gooch hat es versäumt der Frage nach dem Einfluss des Faschismus auf das Heer und die anderen Teilstreitkräfte nachzugehen. Von wenigen Hinweisen abgesehen, erfährt man nichts darüber, welche Rolle die Ideologie für die Streitkräfte und ihre soziokulturelle Binnenstruktur gespielt hat. Die Außen- und Militärpolitik Italiens wird, mit anderen Worten, so analysiert, als habe man es mit einem "normalen" Staat zu tun und nicht mit einer ihrem Anspruch nach totalitären Diktatur. Gerade an diesem Punkt sollte die künftige Forschung ansetzen.
Aus dem Italienischen übersetzt von Thomas Schlemmer.
Amedeo Osti Guerrazzi