Heinz Schilling (Hg.): Konfessioneller Fundamentalismus. Religion als politischer Faktor im europäischen Mächtesystem um 1600 (= Schriften des Historischen Kollegs; Bd. 70), München: Oldenbourg 2007, 320 S., ISBN 978-3-486-58150-8, EUR 49,80
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Den Umschlag des vorliegenden Sammelbandes, der die Beiträge eines Kolloquiums vom Juni 2005 am Historischen Kolleg in München dokumentiert, ziert ein für das konfessionelle Zeitalter typisches illustriertes Flugblatt aus dem Jahr 1632: In emphatischer Pose zeigt es König Gustav Adolf von Schweden als Verteidiger und Retter der evangelischen Sache. Mit Waffengewalt kämpfe der von Gott gesalbte und auserwählte Kriegsheld für die Wahrheit der Augsburgischen Konfession, deren Fundament altkirchliche Kleriker und Mönche, bewaffnet mit Lanzen, Hellebarden und Kanonen, zu vernichten suchten. Durchsetzen in dem heiligen, von Gott gewollten und gebilligten Waffengang aber werde sich, so die Kernaussage des Flugblatts, der Schwedenkönig, der sein Schwert wie ein zweiter Judas Makkabaeus als siegverheißendes Geschenk Gottes handhabe. Die thematischen Schwerpunkte der einzelnen Beiträge sind durch die Umschlagabbildung, die exemplarisch von der Gewalt der Bilder zeugt, präzise angekündigt: Es geht um Aspekte der Mächtebeziehungen im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts, eschatologisches Endzeitringen, Apokalyptik und Bewältigungsstrategien kollektiver Angstzustände sowie allgemein um das Zusammenspiel von Politik, Gewalt und Religion - und damit um Fragen, die den Herausgeber, den an der Humboldt-Universität Berlin wirkenden Frühneuzeithistoriker Heinz Schilling, im Kollegjahr 2004/05 in besonderer Weise beschäftigten, als er an seiner großen Synthese der internationalen Beziehungen im Jahrhundert zwischen 1559 und 1660 arbeitete. [1]
Über die spezifische, im Titel prominent in den Vordergrund gerückte Begrifflichkeit des "Konfessionellen Fundamentalismus", die in der Forschung bisher nicht mit vergleichbarem Verallgemeinerungsanspruch herangezogen wurde, um Religion als politischen Faktor im europäischen Mächtesystem um 1600 zu identifizieren, erfährt der Leser allerdings erstaunlich wenig. Der Begriff "Konfessionsfundamentalismus" solle, so Schilling nur knapp in seinem Vorwort, "primär dazu dienen, die Strukturen und Ereignisse am Vorabend des großen europäischen Konfessions- und Staatenkrieges zu beschreiben und die Ursachen und Mechanismen der Ausbrüche von Gewalt innerhalb und zwischen den Staaten zu analysieren, aber auch und nicht zuletzt die Bedingungen der Überwindung dieser konfessionsfundamentalistischen Falle und der Hinwendung zu einer friedlich-schiedlichen Austragung der Gegensätze zu klären" (VII f.). Präzisere sachliche, vor allem aber auch theoretisch-methodische Ausführungen zu diesem Neuansatz gibt es zwar, doch wurden sie, da wenige Wochen vor dem Kolloquium in einem öffentlichen Kollegiatenvortrag vorgetragen, separat im "Jahrbuch des Historischen Kollegs" abgedruckt. [2] "Christlicher Konfessionsfundamentalismus" stehe - verkürzt gesprochen - für die in Europa um 1600 signifikante und "enge Allianz von religiösem Wahrheitsanspruch und politischem Machtwillen, verbunden mit der Bereitschaft, beides mit Gewalt durchzusetzen, besonders ausgeprägt im calvinistischen und katholischen Lager". [3]
Die einzelnen Fallstudien, die sich mehrheitlich einem recht weit gesteckten Zeitraum von der Mitte des 16. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts widmen, sind für sich genommen von großer Anschaulichkeit. In einem ersten, stärker systematisch nach konfessionellen Feindbildern und Antagonismen fragenden Teil werden die krisenhaften Züge und das Gewaltpotential der Jahrzehnte um 1600 erhellt, in heilsgeschichtlichen Bezügen die Kampf- und Kriegsbereitschaft auf illustrierten Flugblättern nachgewiesen, die Melange von Memoria und Aggression am Beispiel des Reformationsjubiläums von 1617 aufgezeigt und einzelne Akteure näher in Augenschein genommen: Papsttum, Kurie und Jesuiten auf der einen, evangelische Theologen und Publizisten - und hier besonders die im antijesuitischen Kampf auftrumpfende lutherische Geistlichkeit sowie die calvinistisch orientierte späthumanistische Intelligenz - auf der anderen Seite. Ein zweiter, Deutungen und Erscheinungsformen konfessioneller Konkurrenz und Aggression vor allem in der Mitte Europas, ansatzweise aber auch in einzelnen Regionen des westlichen und östlichen Europa untersuchender Teil steuert regionale, teilweise lokale Beispiele bei, von der Reichs- und Außenpolitik der Kurpfalz und den Bedrohungsszenarien in einzelnen lutherischen Ratsstuben bis zu innerkonfessionellen Differenzen in den Niederlanden und Kriegsmotiven in Polen-Litauen.
Es liegt in der Natur von Kolloquien dieser Art, dass die für das Vorhaben gewählte und in gewisser Weise vorgegebene Terminologie (die es durchaus verdient hätte, begriffsgeschichtlich - und zwar in europäisch vergleichender Perspektive - betrachtet zu werden) von den einzelnen Beiträgern zumindest ansatzweise aufgegriffen wird. In vier Fällen wird der Begriff "Konfessioneller Fundamentalismus" bzw. "Konfessionsfundamentalismus" (Klaus Garber, Anton Schindling, Winfried Schulze) oder - im Fall von Ungarn und Siebenbürgen - "Religiöser Fundamentalismus" (István György Tóth) bereits im Titel genannt. Beschrieben und analysiert werden damit freilich recht unterschiedliche Phänomene und Sachverhalte:
Für Garbers literaturgeschichtliche Überlegungen ist der Begriff im Grunde vollständig entbehrlich (23-46); Schindling konstatiert bei der Betrachtung der Oberrheinregion zwar eine ohne Frage große Zahl "konfessionelle[r] Konflikte, auch Verschärfungen, Verhärtungen und Eskalationen", vermag aber jenseits der offiziellen kontroverstheologischen Standpunkte auf katholischer wie evangelischer Seite nicht zu erkennen, dass die einzelnen Differenzen "tatsächlich ein aggressives Verhalten der Menschen" (164) zur Folge gehabt hätten; Tóth wiederum gibt bereits im ersten Satz seines Beitrags zu verstehen, dass er auf dieser Tagung, die dem konfessionellen Fundamentalismus gewidmet sei, "mehr über Toleranz als über Fundamentalismus" (273) sprechen wolle; und Schulze, der im Gegensatz zu Schindling hinter den Begriff "Konfessionsfundamentalismus" im Titel seines Beitrags kein Fragezeichen gesetzt hat, bekennt relativ rasch, dass seiner Ansicht nach "die bislang verwendeten Begriffe der Charakterisierung politisch-konfessioneller Grundeinstellungen um 1600 im Prinzip ausreichen, um die entscheidenden Fragen nach den Motivationen und Handlungsspielräumen der beteiligten handelnden Personen zu stellen". Bislang jedenfalls sehe er "keinen Grund zur strategischen Verwendung des Begriffs 'Fundamentalismus'", ja seines Erachtens treffe die Frage nach einem solchen Konfessionsfundamentalismus "für eine Gesamtanalyse des politischen Verhaltens im Vorfeld des Dreißigjährigen Krieges [...] nicht den Kern des Problems" (141, 148).
Gewiss, es gibt auch andere Auffassungen und Wertungen, wenn etwa Holger Th. Gräf dem protestantischen Fundamentalismus in Hessen und der Wetterau eine "kriegstreibende Wirkung" (208) attestiert oder Hans-Jürgen Bömelburg im polnisch-litauischen Staatsgefüge des 16. Jahrhunderts jenseits des in der Forschung lange dominierenden Pathos der Toleranzidee einen katholischen Konfessionsfundamentalismus beobachtet (285-309). Insgesamt aber ist in den einzelnen Beiträgen doch ein Unbehagen an der vorgeschlagenen Begrifflichkeit zu spüren, und zwar aus völlig unterschiedlichen, inhaltlichen wie methodisch-theoretischen Gründen. Aufschlussreich für den Leser wäre in diesem Fall eine Dokumentation der Diskussion gewesen, wie sie beispielsweise dem von Heinz Schilling 1986 herausgegebenen Band zur reformierten Konfessionalisierung in Deutschland beigegeben war.
Anmerkungen:
[1] Heinz Schilling: Konfessionalisierung und Staatsinteressen. Internationale Beziehungen 1559-1660 (=Handbuch der Geschichte der Internationalen Beziehungen; 2). Paderborn u.a. 2007.
[2] Heinz Schilling: Gab es um 1600 in Europa einen Konfessionsfundamentalismus? Die Geburt des internationalen Systems in der Krise des konfessionellen Zeitalters. In: Jahrbuch des Historischen Kollegs (2005), 69-93.
[3] Ebd., 89.
Joachim Bahlcke