Heinz Schilling / Silvana Seidel Menchi (eds.): The Protestant Reformation in a Context of Global History. Religious Reforms and World Civilizations (= Annali dell'Istituto storico italo-germanico in Trento; 33), Bologna: il Mulino 2017, 225 S., ISBN 978-88-15-27407-6, EUR 24,00
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Im Rahmen des Jubiläums der Reformation 2017 sind zweierlei Arten von Sammelbänden veröffentlicht worden. Einerseits diejenigen, die ein bestimmtes, präzises Thema, verbunden mit den Geschehnissen des 31. Oktober 1517, erforscht haben (so z.B. die Bände, die sowohl in Deutschland als in Frankreich zum Anliegen die Geschichte und Bedeutung des Ablasses im Spätmittelalter hatten). Andererseits Bände, die sich einem breitangelegten Thema widmen. Das vorliegende Buch, Frucht einer internationalen Tagung in Trient (28.-29. Oktober 2016) gehört zu der letzteren Kategorie: "Eurocentric questions are increasingly replaced or supplemented by global-historical perspectives." (7f.)
Auch wenn die Vorträge auf Deutsch, auf Französisch oder auf Italienisch gehalten worden waren, sind sie für die Publikation alle ins Englische übersetzt worden. Leider: War die Reformation nicht mit der Renaissance der verschiedenen Nationalsprachen Europas verbunden? Die Beiträge werden durch ein Vorwort ("Preface", 7-21) eingeleitet. Beachtenswert ist es, dass beide Herausgeber sich nicht mit einem knappen Geleitwort begnügt haben - wie dies allzu oft bei Sammelbänden geschieht -, sondern dass dieses Vorwort eine wesentliche Einleitung zu dem Band und zu seinen verschiedenen Beiträgen bietet.
Diese Beiträge sind in drei Abteilungen geordnet: 1. "Balances and Perspectives" (4 Beiträge); 2. "Distant Comparisons, Close Comparisons" (4 Beiträge) und 3. "Events of 1517, Accents of 2017".
1. In seinem Beitrag "Globalization of Religion" stützt sich Wolfgang Reinhard auf die Werke und Kategorien von Max Weber (aber auch auf die Werke von Hans Joas), zeigt aber zugleich die Grenzen der Analyse Webers auf, u.a. weil sie zu "eurocentric" sei.
Paolo Prodis Aufsatz "Europe in the Age of Reformations. The Modern State and Confessionalization", der eine Art Testament Prodis darstellt, basiert seinerseits auf der Theorie der Konfessionalisierung, auf dem Prinzip der gegenseitigen Beeinflussung von Religion und Politik ("osmosis") und auf der Dialektik von Sünde ("sin") und Verbrechen ("crime").
Bei Thomas Kaufmann ("Politics, Theology, and Religion in the Reformation") steht der Historiker auf einem festeren Boden: Die Interpretation wird nicht von soziologischen Theorien bestimmt, sondern stützt sich auf Quellen. Kaufmann fragt nach den Ursachen der Reformation und ihres Erfolgs. Dabei verwirft er die oft angegebenen utilitaristischen Ursachen - die Landesherren wollten ihre Macht und ihren Besitz vergrößern -, um eher "immaterielle" Gründe zu unterstreichen: so etwa, wie er am Beispiel Spalatins verdeutlicht, die Übernahme geistlicher Aufgaben durch die Laien, für die Luther in seiner Schrift "An den christlichen Adel [...]" plädiert hatte.
Der Titel des Aufsatzes von Antoine Fabre, "Devotion and Institutions in the Age of the Reformations", scheint uns ein bisschen irreführend, denn es handelt sich nicht um eine allgemeine Beschreibung der Frömmigkeit - und der Frömmigkeitseinrichtungen - wie man sie z.B. in mehreren Arbeiten von Berndt Hamm finden kann. Der Autor, Spezialist für die Geschichte der Jesuiten, fokussiert seinen Aufsatz auf das Trienter Konzil und seine Folgen und hätte u.E. die Konkurrenz zwischen der protestantischen und der katholischen Theologie (siehe S. 91) ausführlicher behandeln können.
2. Die vier Beiträge des zweiten Teils beziehen sich auf die Reform in der russischen Orthodoxie, im Judentum, im Islam und im Hinduismus. Der Aufsatz von Martin Tamke ("Reform Movements in Russian Orthodoxy") umschreibt eine Zeitspanne von mehreren Jahrhunderten. Roni Weinstein ("Jewish Culture in Early Modernity. The Global Turn") konzentriert sich auf die messianische Bewegung von Sabbetai Zvi, die in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts das ganze Judentum betraf. Gudrun Krämer interessiert sich für "Renewal and Reform in Sunni Islam"; in diesem Islam entdeckt sie auch eine Art Konfessionalisierung, als Verbindung zwischen der Religion und der Konstruktion des Staates. Brian K. Pennington ("Reform and Revival, Innovation and Enterprise") widmet sich dem modernen Hinduismus und bestreitet die These einer Modernisierung Indiens unter dem Einfluss Europas.
Ist für diese vier Gebiete der Vergleich mit der evangelischen Reformation zutreffend? Was die russisch-orthodoxe Reform anbelangt, war sie im Großen und Ganzen unabhängig von der Reformation. Dagegen wurde das messianische Judentum durch die Reformation - und noch mehr durch den posttridentinischen Katholizismus - beeinflusst. In seiner sehr aufschlussreichen Studie listet Weinstein eine Reihe von beeindruckenden Parallelen zur Reformation auf, so z.B. die Rolle eines neuen Autoritätsträgers, die Bedeutung des Buchdrucks, die Wichtigkeit der "Sünde" und der "Reue" oder die Etablierung einer strukturierten Theologie. Krämer warnt vor oberflächlichen Vergleichen und zeigt überzeugend, dass die Unterschiede zwischen Islam und Christentum viel größer als die Ähnlichkeiten waren; so z.B. das Fehlen eines institutionalisierten Klerus oder die Verwerfung des Konzepts "Reform".
3. In dem dritten - und kürzeren - Teil widmet sich zuerst Silvana Seidel-Menchi der Frage des Märtyrerods ("Martyrdom") im 16. Jahrhundert - und den verschiedenen Weisen, wie dieser Tod zelebriert wurde; dann unternimmt sie einen Vergleich mit dem Judentum und dem Islam.
In seinem Essai "The Protestant Factor in Contemporary European Freedom of Religion or Belief" behandelt Marco Ventura den Begriff der Religionsfreiheit, die die europäischen Juristen der "Gewissensfreiheit" vorzogen.
In seinen Schlussbemerkungen ("Reform, Reformation, Confessionalization. The Latin Christian Experience") unterstreicht Heinz Schilling u.a. die Entwicklung, die in den letzten Jahrhunderten von einer monarchistischen triumphalen Sicht Luthers bis zu einer demokratischen, ökumenischen und transnationalen Perspektive der Reformation geführt hat.
An und für sich ist jeder Beitrag dieses Bandes von sehr großem Interesse, auch wenn der Kenner der verschiedenen Autoren von dem Inhalt ihrer Aufsätze wenig überrascht sein wird. Liefert aber die "Global History", wie sie hier dargestellt wird, eine Erklärung zu der "Protestant Reformation"? Am Ende der Lektüre dieses reizenden Buchs bleibt u.E. diese Frage offen.
Matthieu Arnold